In Keylock’s Labsal
Labsal; Substantiv, Neutrum oder Feminin. Erfrischt den Geist. Belebt die Sinne. Verwöhnt den Gaumen. Ist Raum, Moment, Genuss zugleich. In Michelstadt. Im Odenwald.
„Nächster Halt: Michelstadt. Ausstieg in Fahrtrichtung links.“ Also schnappe ich mir express meine Tasche und verlasse ebenso die Odenwaldbahn als sie hält. Draußen erwartet mich ein recht angenehmer Oktobertag. Den durchquere ich so etwa zehn Minuten lang und dann stehe ich vor dem Labsal. Das liegt im Herzen der Altstadt. Einen Steinwurf weit entfernt vom berühmten Rathaus .
Mitten zwischen dem Designhotel „Die Träumerei“ und der weltmeisterlichen Konditorei „Café Siefert“ hat Chris Keylock im Erdgeschoss eines Fachwerkhauses aus dem achtzehnten Jahrhundert eine Location für anspruchsvolle kulinarische Events geschaffen, die er Labsal nennt. Das ist ein einladender Raum, der sich durch eine komplett durchgängige Fensterfront zur Straße öffnet und auch trennt. Draußen geschichtsträchtiges Kopfsteinpflaster, innen klare Linien und ein moderner Mix aus Holz und Stahl und frischen Farben. In dieser lebendigen Harmonie der Gegensätze kann man feiern, tagen, Kochen lernen. Und noch vieles mehr.
Als ich das Labsal erreiche, werkelt Chris bereits am beeindruckenden Küchenblock. Er steckt mitten in den Vorbereitungen zu dem Kochkurs, den ich für eine Gruppe gebucht habe. Wir, die Gruppe, haben uns vor einiger Zeit bei einem Seminar kennengelernt und frischen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen diese Bekanntschaft immer wieder auf. Gegessen wird bei diesen Treffen immer, aber dieses Mal auch noch gekocht. Unter der Anleitung des Küchenmeisters wollen wir zu fünft ein herbstliches Dreigang-Menü zubereiten, um es anschließend ohne Anleitung zu verspeisen.
Ich treffe als Erster ein, werde mit einem Meisterpils empfangen und dann zum Buttern der gefühlt einhundert Baguette-Scheiben verdonnert. Und während ich so vor mich hin buttere, fällt mir schon jetzt die regionale Philosophie meines Gastgebers auf: Meisterpils von Schmucker aus Mossautal, Brot von Riesinger aus Beerfelden, die Butter natürlich aus Hüttenthal und auch das Reh, dessen Keule vor mir liegt, hat vor gar nicht allzu langer Zeit noch munter den Odenwald durchstreift.
Jetzt aber ran an die kulinarische Werkbank
Nach und nach treffen die vier Teilnehmerinnen ein. Ich bin der einzige Teilnehmer. Die vier trinken Sekt, ich bleibe beim Bier. Und dann wird gekocht. Beziehungsweise wird zuerst alles zurechtgeputzt und -geschnippelt. „Mis en place“ sagt der gastgebende Fachmann, verteilt die Aufgaben, leitet an, korrigiert und das alles ganz entspannt. Und wir – wir schälen, schneiden, hacken, mixen und pürieren. Kochen, braten, backen. So nimmt der Abend seinen Lauf. Und draußen …
… und draußen in der alten Stadt, drücken Passanten sich die Nase platt. Am Labsal, an Keylock’s Labsal.
Tatsächlich kommen einige Leute mehrfach vorbei, bleiben jedes Mal stehen und sehen uns interessiert bei der Arbeit zu. Einige kommen sogar rein, erkundigen sich und nehmen Visitenkarten mit.
Und dann wird gegessen
Wir starten mit einer Maronen-Creme-Suppe, die durch ein feines Wechselspiel von Süße und Säure begeistert. Auch macht sich der Maronengeschmack im Mund nicht so breit, sondern beschränkt sich auf seine Qualitäten. Das habe ich schon ganz anders erlebt.
Der Hauptgang bietet zweierlei von der Rehkeule – rosa gebraten und als Ragout. Begleitet werden die leckeren Hauptdarsteller von Rosenkohl und Serviettenknödeln aus Laugenbretzeln. Heidelbeeren geben der Soße eine fruchtige und überraschende Note. Und ich bin froh, dass mir der übliche Preiselbeermatsch erspart bleibt, der zum Wild so gern in einer Dosenbirnenhälfte serviert wird. Dazu trinken wie einen im Barrique gereiften Syrah von Hanno Rothweiler.
Eine warme Apfel-Tarte und ein sahniges Parfait, begleitet von einem Gläschen Apfelsherry, schließen das herbstliche Menü mehr als würdig ab.
Dann babbeln wir noch ein wenig, trinken einen Espresso und lassen zu, dass sich große Zufriedenheit in uns ausbreitet – verursacht durch ein prima Essen, aber auch durch die gemeinsame Zubereitung der Kreationen des Chefs. So muss ein Abend enden.
Während Chris klar Schiff macht, machen wir uns auf nach Vielbrunn. Da erwarten uns im Parkhotel 1970 fünf Zimmer über dem Hallenbad. Und mich im Speziellen eine Stechmücke. Das Duell endet unentschieden. Ich werde nicht gestochen und das Insekt wird nicht erwischt. Aber die Jagd gibt mir Zeit, den Abend noch einmal Revue passieren zu lassen. War schön in Keylock’s Labsal und ganz schön lecker.
Für das Buttern der Brote, die Vorbereitung des Rosenkohls, das Ausfetten der Kuchenformen und das Fotografieren war Thomas Hobein zuständig, also ich.
(Beim Schreiben gehört: das Album „Waltz for Koop“ von Koop)