Ackern mit Kollegin Pferd
Außerhalb 28. Das ist die Anschrift des Lindenhofs in Ober-Ramstadt. Und die ist auch irgendwie Programm. Denn hier wird Landwirtschaft abseits konventioneller Gepflogenheiten und Zielsetzungen betrieben – mit Blick auf ein gesundes Miteinander von Mensch, Tier und Natur. Was willst’e mehr.
So ziemlich in der Mitte zwischen Ober-Ramstadt und Georgenhausen (gehört zu Reinheim) verlassen wir die Mainberg Chaussee und folgen dem Schild zum Lindenhof. Einige Kurven später parken wir vor einem frei stehenden Ensemble verschiedener Häuser, die nebst einigen Bäumen und Sträuchern von weitläufigen Feldern umgeben sind. Außerhalb 28 eben.
Der Besitzer Wolfgang Kress hat einer Gemeinschaft von rund achtzig Mitgliedern – zu denen er selbst auch zählt – seinen Hof für ein solidarisches Gartenbauprojekt zur Verfügung gestellt. Die Beteiligten kommen in erster Linie aus den nahe gelegenen Städten, aber es sind auch Frankfurter darunter. Sie alle gestalten gemeinsam das Projekt, tragen die Kosten und Risiken, arbeiten mit und kommen in den Genuss der Erträge. Verkauft wird nichts. Alles wird unter den Mitwirkenden verteilt.
Erst mal ankommen
Wir sind zwar nicht im Westerwald, doch auch hier pfeift der Wind so kalt an diesem Sonntagmorgen im April. Das stellen wir jedenfalls fest, als wir aussteigen und auch, dass ein Jäckchen mehr nicht schaden tät. Doch was soll es. Ich checke die von Dirk geliehene Kamera und wir machen uns auf die Suche nach dem Kartoffelacker.
Dort sind bereits Reinhold Vollmer, seine zwei Kinder Jalinda und Tamino, Moritz Langlotz, und Lara, Kaltblüter und Arbeitspferd, sozusagen zugange. Wir gesellen uns dazu und sagen Hallo.
Reinhold und Moritz, der vor kurzem hier seine Ausbildung zum staatlich geprüften Gemüsegärtner begonnen hat, sind die einzigen Vollzeit-Mitwirkenden des Projekts. Sie gestalten ihre Arbeitstage in Eigenregie, kümmern sich aber auch um die Organisation des Hofs, verteilen die Erträge an die Mitglieder und leiten die Arbeitswilligen an Tagen wie diesem an.
Reinhold Vollmer hat seine Zeit als Motorradmechaniker lange hinter sich gelassen. Seinen Weg hierher exakt zu beschreiben würde den Rahmen sprengen. Stichworte wie Straßentheater, Musiker und eine Gartenbauausbildung bei Demeter in Brandenburg reichen sicherlich aus, um den Weg eines Menschen zu zeichnen, der auf der Suche nach Wahrhaftigkeit ist. In der Region gelandet ist er aber, weil seine Frau Karin aus Darmstadt stammt.
So, und jetzt aber ran an die Kartoffeln.
Angespannt und doch gelassen
Das ist Lara, eine von zwei Kaltblüter-Stuten auf dem Lindenhof. Tinka ist die andere. Die war eigentlich auch für die Arbeit auf dem Acker gedacht. Aber ihre Lunge machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Der Tierarzt hatte sie schon aufgegeben, aber die Gruppe beschloss, das Tier zu behalten. Und die Kinder sind dankbar dafür.
Lara hat bereits ihre Ausrüstung angelegt. Sie zieht ein rostiges Gerät hinter sich her, das aus einem Film von Jean-Pierre Jeunet (Delicatessen, Amelié) stammen könnte – vier kleine Schaufeln an einem Rad drehen sich und stechen in regelmäßigen Abständen Löcher in den Ackerboden. Da kommen später dann die Kartoffeln rein. Und hinter der Pferd-Maschinen-Kombination läuft der Reinhold und führt die Zügel.
Nun ist so ein Pferd ein sensibler Zeitgenosse und so ein Reinhold auch. Beide reagieren ohne Worte auf die Gefühlslage des anderen. Und wird der Mensch ein wenig hektisch, so offenbart auch die kompakte Kaltblüterin ihr Temperament. Teamwork eben.
Aber wenn man die gemeinsam so ackern sieht, ahnt man nicht, dass Reinhold bis vor zwei Jahren immer einen großen Bogen um Pferde gemacht hat. Zwar hat er bereits während seiner Ausbildung Projekte kennengelernt, die sich mit den Auswirkungen von Traktoren oder Ackergäulen auf die Bodenfruchtbarkeit beschäftigt haben, doch brauchte es noch einige Impulse um schlussendlich aufs Pferd zu kommen.
Ein Traktor ist schwer und zieht pro Reihe unterirdisch zwei Verdichtungsbänder, die so kompakt sind, dass Würmer und andere Lebewesen kaum noch durchkommen. Lara ist leichter, sie verdichtet den Boden nur punktuell unter den äußeren Hufrändern. Und so hilft das Pferd dem Boden als vielfältiger Lebensraum wieder zu gesunden.
Die Kartoffeln werden gesetzt
Nachdem alle Reihen gezogen sind, darf Lara sich ausruhen. Später muss sie noch mal ran, um die gesetzten Kartoffeln mit Erde abzudecken. Doch jetzt müssen erst mal die Menschen ihr Tagwerk erledigen. In jedes Loch muss eine Kartoffel. Dazu haben sich junge, ganz junge, aber auch ältere Leute eingefunden. Einige gehören dem Projekt an, doch heute sind die meisten Familien aus Seeheim – Eltern und Kinder, die den Kontakt zu dieser ursprünglichen, gemeinschaftlichen Arbeit erleben wollen.
Reinhold erklärt dem Team, wie es geht. Sie müssen die Kartoffeln einfach in die „gestanzten“ Löcher fallen lassen und mit dem Fuß leicht andrücken. Dann schwärmt die Schar aus und lässt Kartoffeln falle. Gesagt, getan.
Und tatsächlich setzen am heutigen Tag etwa zwanzig Leute und ein Pferd in wenigen Stunden so viele Kartoffeln, dass die Ernte dann hundert Leute für etwa neun Monate mit Kartoffeln versorgen kann. Die gleiche Zeit würden übrigens zwei bis drei Leute mit einem Traktor benötigen.
Geplant ist, dass ganze Kartoffeln gesetzt werden, weil halbierte anfälliger für Fäulnisbildung sind. Doch wird schnell klar, dass nicht genügend Kartoffeln vorhanden sind. Also wird ein Teil halbiert und so gesetzt, dass die Schnittfläche vertikal im Boden steht. So bietet sie weniger Angriffsfläche für Feuchtigkeit und damit für Fäulnisbildung.
Wir sind dann mal weg
Als wir uns verabschieden, sitzen die Kinder gebannt um ein Feuer herum, Tupperschalen mit Mitgebrachtem öffnen sich und es wird gebabbelt – eben so wie es sein muss, wenn Menschen Menschen treffen. Auf dem „Lindenhof“. Mitten zwischen Ober-Ramstadt und Georgenhausen. Am nördlichen Rand vom Odenwald.
Notizen hat sich der Michael Frank gemacht und die Fotos der Thomas Hobein.
(Beim Schreiben u.a. gehört: „Magic In The Air“ aus dem Album „The Hour of Bewilderbeast“ von Badly Drawn Boy)
Lieber Thomas! Vielen Dank für die schönen Bilder und Worte zum Kartoffelsetzen im Lindengarten Oberramstadt-Odenwald. LG Detlef
Hallo Detlef,
danke für dein wohltuendes Feedback. Und über den Lindenhof gäbe, was sage ich, gibt es sicher noch mehr zu erzählen.
Gruß
Thomas