Auf der belämmerten Weide
In den Neunzigern des letzten Jahrhunderts hat sich Chemielaborant Reiner Stürz entschlossen, sein Leben umzukrempeln. Er hatte sich schon vorher ehrenamtlich im Naturschutz engagiert, aber jetzt machte er aus der Passion eine Profession – als Landschaftspfleger und Schafhirte. Wir haben den konsequent handelnden Mann und Anna Schecker, eine angehende Schäferin, inzwischen einige Male besucht und hier ist der zweite Teil unseres Berichts.
Ich sitze hinten in Anna Scheckers Auto. Neben mir sitzt ein riesiger schwarzer Zottelhund, dem nicht recht gefällt, dass ich da bin. Aber er hat Glück. Ich bin friedlich. Also arrangieren wir uns. Er sieht links aus dem Fenster, ich rechts.
Soooooo süüüüüß – aber Anfassen ist strengstens verboten
März 2017. Es ist ein Frühlingstag wie aus dem Bilderbuch – warm, sonnig, gemacht für einen Aperitif im Straßencafé oder eben um Schafe bei der Geburt zu beobachten.
Anna hat uns auf dem Parkplatz am Erlensee abgeholt und bugsiert uns jetzt zu der Runddachhalle, die wir bereits von der Schafschur im vorangegangenen Sommer kennen. Auf dem Beifahrersitz hat Michael Frank Platz genommen. Aufgrund seiner wechselhaften Beziehungen zu Hunden hält er das für ratsam. Ich nicht.
Es ist nur eine kurze Fahrt und wir steigen aus. Der schwarze Hund entspannt sich sichtlich und fläzt sich hin. Vor uns weidet ein großer Teil der Herde vom Landschaftspfleghof Stürz. Die Herde, insgesamt aus rund fünfhundert Muttertieren bestehend, ist in freudiger Erwartung. Und erwartet werden bis Anfang April so um die siebenhundert Lämmer.
Viele davon sind schon da und springen munter zwischen den bräsig weidenden Schafen herum. Sie tollen durch die Gegend und entdecken neugierig die Welt. Da sind schwarze, weiße, braune und gemusterte Lämmer – alle erst wenige Tage, wenn nicht nur wenige Stunden alt. Soooooo süüüüüß – aber Anfassen ist strengstens verboten. Sie sollen sich an ihre Herde gewöhnen, nicht an Menschen.
Die Geburt zweier Lämmer
Wir steigen über den Elektro-Zaun und Anna führt uns zu einem Schaf, das unmittelbar vor der Geburt ist. Bis auf etwa zwanzig Meter dürfen wir heran, dann stoppt uns die junge Frau, die berufsbegleitend ihre Ausbildung zur Schäferin absolviert. Sie erklärt uns, dass die werdende Mutter nicht gestört werden soll. Verständlich, oder?
Durchschnittlich 150 Tage ist ein Schaf trächtig. Das Braune da vor uns hat es fast geschafft. Es hat sich ein wenig von der Herde entfernt und die Wehen haben bereits eingesetzt. Es legt sich immer wieder hin, steht wieder auf, scharrt im Boden. Die Fruchtblase ist bereits geplatzt und hängt heraus.
Einige Minuten später erkennt man schon die Vorderhufe des Lamms. Und dann, dann flutscht ein schwarzes Bündel heraus und landet auf dem Boden. Das Muttertier beginnt sofort mit der Reinigungsprozedur. Zuerst werden die Atemwege freigeleckt, dann der Rest. Das kann Stunden dauern. In dieser Phase erfolgt auch die Prägung, das heißt Mutter und Kind bauen ihre Beziehung auf. Geruch und Stimmen sind dabei die Merkmale, an denen man sich erkennt.
Und typisch für Fluchttiere, versuchen die Neugeborenen auch schnell aufzustehen – einige sofort, andere brauchen einige Minuten. Unser schwarzes Lamm ist wohl eher ein ruhiger Vertreter und lässt sich Zeit, aber schließlich – nach einigen unbeholfenen Versuchen – steht es und sucht die Zitzen der Mutter. Doch die ist gerade mit der Geburt ihres zweiten Lamms beschäftigt – diesmal ist es ein weißes. Auch das wird gesäubert.
Wir lassen Schaf und Lämmer allein. Über uns kreisen Milane, die scharf auf die Nachgeburt sind. In der Natur kommt eben nix weg. Und wenn nach einigen Tagen die Herde aus Gründen der Hygiene die Weide wechselt, kommen die Störche und holen den Rest.
Problemkinder
Leider läuft nicht immer alles so glatt, wie eben. Und es kann immer wieder zu Komplikationen kommen. Ein natürlicher Verlust ist vorprogrammiert. Insbesondere sind Einjährige als Muttertiere noch unbeholfener als im zweiten Jahr. Deshalb werden die Schafe dieser Herde erst im zweiten Jahr gedeckt. Sie sollen sich erst mal entwickeln.
Trotz allem müssen einige Lämmer mit der Flasche aufgezogen werden. Die werden alle drei Stunden von Anna einzeln gefüttert. Und doch werden sie niemals Teil der Herde. Denn sie werden früh geschlachtet, weil sie sich zu sehr an die Menschen gewöhnt haben und deshalb Unruhefaktoren sind.
Wir drehen noch eine Runde mit Reiner Stürz über die Weide, hören zu und lernen. Und dann sitze ich wieder im Auto neben dem schwarzen Hund, der sich aber nicht mehr für mich interessiert. Unser Arbeitstag endet jetzt, für Reiner Stürz und Anna Schecker geht es noch lange weiter. Den letzten Kontrollgang über die Weide machen sie mit der Taschenlampe, wenn die Nacht längst hereingebrochen ist und den ersten morgen früh dann wieder um vier.
Weiter geht es bald im dritten und letzten Teilen unseres Berichts über den Landschaftspflegehof Stürz mit der Schafschur.
Fotografie: Thomas Hobein
Lest mehr über die Schafe:
Landschaftspflegehof Stürz (Folge 1) – Von Menschen und Schafen
Landschaftspflegehof Stürz (Folge 3) – Voll in der Wolle
(Beim Schreiben u.a. gehört: „Maurice“ “ ein Instrumental-Stück von Stephan Sulke – habt ihr nicht gedacht, oder?)