Voll in der Wolle
In den Neunzigern des letzten Jahrhunderts hat sich Chemielaborant Reiner Stürz entschlossen, sein Leben umzukrempeln. Er hatte sich schon vorher ehrenamtlich im Naturschutz engagiert, aber jetzt machte er aus der Passion eine Profession – als Landschaftspfleger und Schafhirte. Wir haben den konsequent handelnden Mann und Anna Schecker, eine angehende Schäferin, inzwischen einige Male besucht und hier ist der dritte Teil unseres Berichts: Die Schafschur.
Juni 2016. Verkehrschaos nahe dem Erlensee am Pfungstädter Moor. Aus jeder Richtung kommen Helfer und die Schaf-Scherer in ihren Autos zu der grünen Rundbogenhalle aus Wellblech. Weder Anna Schecker noch Reiner Stürz haben Zeit für uns, wir sollen aber bloß nicht im Weg stehen. Hier muss alles reibungslos ablaufen.
Vorarbeiten
Geschäftige Hektik in der Halle, die an den Stirnseiten offen ist. Am hinteren Ende drängen sich unter dem Wellblechdach bereits die Schafe hinter einem Gatter, während vorne die Schurplätze aufgebaut werden und eine sogenannte Fangbucht entsteht. Das ist ein umzäunter Platz, der die Herde von den Schurplätzen trennt. In dieser Fang- oder Haltebucht werden die Schafe von der Herde separiert, die als nächstes geschoren werden sollen. So entsteht ein kontinuierlicher Fluss im Ablauf, und die Scherer müssen niemals auf Nachschub warten.
Die Schurplätze an der Hallenwand bestehen aus einer Halterung für die elektrischen Hand-Schermaschinen und einer stabilen Holzplatte, die als Boden dient.
Dann werden Getränke für alle bereit gestellt und das mit Benzin betriebene Stromaggregat – Stromerzeuger, wie Fachleute sagen – für die Schermaschinen beginnt zu knattern wie ein alter Käfer-Motor. Die Scherereien können beginnen.
Die Schafe haben keinen Bock
Zuerst werden genügend Schafe in die Fangbucht getrieben oder eher gezogen. Die wollen ihre Wolle eben behalten. Doch ausgewachsene Schafe müssen mindestens einmal pro Jahr vollständig geschoren werden. Sonst wird die Wärmeregulierung ihrer Körper beeinträchtigt, Parasiten haben leichteres Spiel und die Lämmer finden die Zitzen zwischen den Zotteln nicht so leicht. Aber erklärt das mal einem Schaf. Also üben sie sich die Damen in passivem Widerstand, was den Helfern das Leben nicht gerade leichter macht.
Sie bringen die Schafe einzeln aus der Fangbucht an die Schurplätze, was sich je nach Schaf durchaus individuell gestaltet. Einige leichtere werden getragen, andere werden an den Hinterläufen gepackt und zum Scherer gezogen. Und lasst euch gesagt haben: Das ist knüppelharte körperliche Arbeit, die schon beim Zusehen/Fotografieren anstrengt.
Während so nach und nach die Schafe geschoren werden, gönnt man einigen von ihnen auch einen ordentlichen Schluck Medizin aus der Pulle zur Entwurmung. Das hilft dem schafschen Wohlbefinden und dient der Gesunderhaltung, wird aber von den betroffenen Tieren auch nicht gerade befürwortet.
Jetzt aber: Runter mit der Wolle
Am Schurplatz wird konzentriert und schnell nach der Bodenschur-Methode im Bowen-Stil gearbeitet. Dabei weiß der Scherer genau, wie er das Schaf zu halten hat, um bestimmte Körperpartien zu scheren. Es geht natürlich um Geschwindigkeit aber eben auch um Präzision und um eine möglichst „schonende Rasur“.
In den letzten Jahren sind ja immer wieder die brutalen Schurmethoden der Wollindustrie kritisiert worden, wenn Verletzungen der Tiere rücksichtslos in Kauf genommen werden oder die Schafe sogar geschlagen werden, um ihren Widerstand zu brechen. Davon kann hier nicht die Rede sein. Zwar arbeiten die Männer hier auch im Akkord – sie werden nach der Anzahl der geschorenen Schafe bezahlt –, stehen aber nicht so unter Druck wie ihre australischen Kollegen, die nach Menge der geschorenen Wolle bezahlt werden.
Leichte Verletzungen sind auch hier bei aller Vorsicht nicht immer zu vermeiden, aber die geschehen eher aus Versehen und werden sofort versorgt.
Nackig ab zur Herde
Nach vollendeter Rasur lässt der Scherer das Schaf einfach laufen. Und das lässt sich auch nicht lange bitten und wetzt genervt davon. Nach nur wenigen Metern folgen in der Regel zwei Übersprungshandlungen: Strullen und Fressen. Dann wird geblökt und Anschluss an die Herde gesucht.
Währenddessen füllt ein weiterer Helfer die Wolle in Big-Packs, um sie an die Lebensgemeinschaft e.V. in Schlitz zu liefern oder sie zu Düngepellets zu verarbeiten.
Inzwischen geht es auf Mittag zu und es ist noch viel zu tun. Wir aber haben alles gesehen und entfernen uns leise und lassen das monotone Knattern des Stromerzeugers hinter uns.
So, das war vorerst der letzte Teil unseres Berichts über den Landschaftspflegehof Stürz. Sicher werden wir auch in Zukunft hierher zurückkehren und darüber erzählen.
Fotografie: Thomas Hobein
Lest mehr über die Schafe:
Landschaftspflegehof Stürz (Folge 1) – Von Menschen und Schafen
Landschaftspflegehof Stürz (Folge 2) – Auf der belämmerten Weide
(Beim Schreiben u.a. gehört: „Here We Go Then, You And I“ von Morten Abel)