Kontor im Ort
Deutsche Innenstädte bieten vielerorts ein trauriges Bild. Leerstände und wenig attraktive Läden locken nicht gerade zum launigen Shopping-Nachmittag. Doch im südhessischen Dieburg entstand eine Idee, die der Tristesse und Ideenlosigkeit entgegenwirken soll, sozusagen wieder Leben in die Buden bringen soll.
Mit Aufklebern zugekleisterte »Schaufenster« von Handyläden, 1-Euro-Shops, Back-Shops und leestehende Geschäfte – solch hässliche Flecken prägen selbst romantischste Innenstädte und der einstige Gedanke »Fußgängerzone« wir ad absurdum geführt. Denn da will man nicht hin; da geht man nur hin, wenn es nicht anders geht. Klar, die Verlagerung zum Internt-Shopping, gepaart mit Corona bedingten Schließungen, macht es dem traditionellen Einzelhandel sicherlich nicht leicht. Und realistisch betrachtet haben einige tradierte Geschäftsmodelle wohl auch keine Zukunft mehr. Aber oft fehlt es auch nur an frischen Impulsen, um die Kundschaft hinter’m Ofen vor zu locken und neugierig zu machen. Attraktive Ideen sind gefragt. Hier ist eine:
Fünf für die Zuckergasse
Es sind nicht die »Fünf Freunde« sondern Geschwister, Cousins und Cousinen – insgesamt aber eben fünf Damen und Herren aus Dieburg. Und diese Fünf hatten eine Idee. Sie kauften ein altes Haus in der Fußgängerzone ihrer Heimatstadt und begannen es zu sanieren. Mit dem ganz konkreten Ziel, ein attraktives Ladengeschäft als auch Wohnraum unter einem Dach zu vereinen. Aus dieser architektonischen Konstellation leitet sich auch der Name des Projekts ab: Kontor im Ort. Denn wie einst in den Hansestädten dient das Gebäude sowohl merkantilen als auch privaten Zwecken. Und so soll es in doppelter Weise die Innenstadt beleben, also den Einzelhandel um eine attraktive Einkaufsmöglichkeit erweitern und gleichzeitig Lebensraum schaffen.
Zum Zeitpunkt meines Besuchs befindet sich im Erdgeschoss der Zuckerstraße 43 – also dort, wo ehemals ein Gemüseladen war – das brandneue Ladenlokal mit etwa 35qm Verkaufsfläche. In den zwei Stockwerken darüber entsteht die Wohnung.
Der Pop-up-Store
Nun wollen sich die Fünf nicht selbst hinter eine Ladentheke stellen, sondern anderen die Möglichkeit bieten, Waren und Ideen an den Mann und die Frau zu bringen. Deshalb haben sie sich für den Pop-up-Store entschieden. Das heißt Händler oder Produzenten können den Laden komplett für eine bestimmte Zeit mieten und ihr Angebot selbst präsentieren oder im Verbund mit anderen Anbietern auch nur Regale oder Flächen belegen (rent-a-rack).
Vor den Dieburgern soll sich so ein abwechslungsreiches Angebot entfalten und ihnen die Möglichkeit geben, immer mal wieder Neues, Schönes oder Leckeres zu entdecken. Potenziellen Mietern bietet sich dagegen eine Vielfalt von Möglichkeiten mit kalkulierbarem Risiko. So können sich junge Unternehmer ohne große Investitionen ausprobieren. Kleine Manufakturen von Lebens- und Genussmitteln, Mode- und Designwaren oder Künstler haben hier die Gelegenheit ihre Produkte zu präsentieren. Aber auch zeitlich begrenzte Verkaufsaktionen oder Produkt-Promotions finden hier Raum. Fast alles ist möglich, wenn … ja, wenn es in das »Kontor im Ort« passt.
Kein Platz für Ramsch
Der Raum ist liebevoll gestaltet und hochwertig möbliert. Offene, flexible Regale bieten die Möglichkeit zur anspruchsvollen Produktpräsentation. Die Kundschaft soll sich beim Stöbern wohlfühlen und das Besondere der Waren sofort spüren.
„Es geht um Wertschätzung,“ sagt Benjamin Schultheis. Er ist einer der Inhaber und fährt fort: „Sonst hätten wir hier auch Regale aus einem Billig-Möbelhaus reinstellen können. Hier ist aber kein Platz für Ramsch. Denn genau daran kranken ja die Innenstädte.“
Das klingt selbstbewusst. Aber vor mir steht kein Besserwisser, sondern ein ambitionierter Realist. „Wir werden sehen, wie unsere Idee bei Mietern und Kunden ankommt. Aber sicher ist, dass so eine Innenstadt wie hier in Dieburg frische Ideen und Bewegung braucht.“
Der Anfang ist gemacht
Im November präsentierten als erste Mieter der Fotograf Ansgar Ritter seine Bilder und die Handweberei Siebörger aus Ober-Ramstadt, Schals, Tücher und Decken aus eigener Produktion, ergänzt durch passenden Schmuck und Kleidung anderer Manufakturen.
Jetzt lädt eine Reihe regionaler Anbieter gemeinsam ein, vor Weihnachten mal vorbeizuschauen. Es gibt einiges zu entdecken. Darunter sind auch einige alte Bekannte, die ich hier schon einmal vorgestellt habe (die jeweiligen Artikel sind verlinkt).
Blackbird Olivenöl, Mossautal
Feligreno, Bio-Weingut, Darmstadt
deicht/Kuriose, Emmerkorn und Kaffeelikör, Dieburg
Trüffel-Freunde, Delikatessen, Rodgau
Ikari, Bio-Tassen und Becher, Dieburg
Hanna Marie Gropper, Goldschmiede, Mühltal
Siebörger, Handweberei, Ober-Ramstadt
Also nix wie hin, in das »Kontor im Ort« in der Zuckerstraße 43. In Dieburg. Hier in Hessens tiefem Süden.
Interessierte Anbieter/Mieter schreiben einfach ein E-Mail an info@kontorimort.de
Fotos: Thomas Hobein
(Beim Schreiben u.a. gehört: »We Listen Everyday« von The Go! Team)