Surf ’n Turf im Odenwald
Mitte September im Odenwald. Es ist so heiß, dass sich der Asphalt in Kaugummi zu verwandeln droht. Wer nicht schwitzt ist ein Alien oder ein Flusskrebs. Und genau denen geht es jetzt an den Kragen – durch konsequentes Aufessen. Aber zuerst müssen wir sie noch fangen.
Wir haben uns mit Barbara Scharff und Florian in Fränkisch-Crumbach getroffen. Mutter und Sohn haben sich bereit erklärt, mit uns Flusskrebse zu fangen. Oder um genau zu sein, uns mitzunehmen, wenn Florian welche fängt. Denn der sechzehnjährige Gymnasiast hat außer Sachverstand und Erfahrung – er angelt bereits seit seinem dritten Lebensjahr – noch drei Dinge, die wir auch nicht haben: Eine erfolgreich abgelegte Fischereiprüfung, den Hessischen Fischereischein und den Fischereierlaubnisschein (umgangssprachlich Gewässerkarte). Wilderer und Dieb ist derjenige, der ohne diese Legitimationen zu Werke geht. Und das wollen wir ja nun wirklich nicht sein. Oh, nein. Eine spezielle Genehmigung für die Flusskrebse braucht man dagegen nicht.
Von Edelkrebsen und Signalkrebsen
Von Fränkisch-Crumbach geht es in flirrender Hitze nach Wersau an die Gersprenz. Ein Wimpernschlag und dir läuft der Schweiß den Rücken runter. Die Bäume am Ufer des Flusses spenden dann wohltuenden Schatten. Florian bereitet seine Angeln und Kescher vor. Auch Eimer mit Wasser für die Beute werden bereitgestellt. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was uns gleich erwartet.
Er dagegen weiß ziemlich genau, wo er die beidseitig bescherten Gesellen im Wasser trifft. Und es dauert nicht mal eine gefühlte Minute, da ist der erste Gefangene gemacht. Der Signalkrebs ist so um die zehn Zentimeter lang und nicht im Mindesten mit seiner veränderten Lebenssituation einverstanden. Er zappelt aufgeregt und fuchtelt mit seinen Scheren herum. Nützt ihm aber alles nix. Er landet im Eimer.
Signalkrebse erkennt man daran, dass die Unterseite der Krebsscheren rot gefärbt ist und an den weißen Flecken auf der Oberseite der Scheren. Diese Merkmale sind allerdings mal mehr oder weniger deutlich – abhängig davon, wann die letzte Häutung stattgefunden hat.
Dieses „Neozoon“ – ein Tier, das durch den Menschen in Gebiete gebracht wurde, in denen es ursprünglich nicht vorkam – verdrängt erfolgreich die einheimischen Edelkrebse (geschützt), durch die Übertragung der Krebspest, gegen die es selbst resistent ist. Wo sich die Signalkrebse erst mal festgesetzt haben, machen sie auch schnell einhundert Prozent der Population aus. Deshalb haben Signalkrebse in Deutschland keine Schonzeit. Wohl aber eine Saison, in der man sie am besten fangen kann – von Juni bis Oktober.
Florian fängt jetzt im zweiten Jahr an der Gersprenz die eingewanderten Krustentiere. Vorher waren sie für den jungen Angler nur ein Ärgernis, heute sind sie ein leckeres Ärgernis. Barbara erzählt, dass man mal zweihundert in einer Stunde erwischt und mal nur zehn, was sie dann wieder ausschließlich zum Ärgernis macht.
Aktiver Umweltschutz durch Vertilgung der Schädlinge macht eben doppelt Spaß, wenn sie lecker und auch lecker zubereitet sind. Und dann: Was können wir denn dafür, dass die Krebse so spitz auf die Leber sind, die wir so überhaupt nicht zufällig dabei haben.
Für’n Groschen Leber
Ich kannte mal einen Tankwart, der muss die Reinkarnation eines Flusskrebses gewesen sein. Denn der stand genau so auf rohe Leber wie unsere kleinen gepanzerten Freunde aus der Gersprenz. Die gieren dermaßen danach, dass sie bereits gefangen immer noch futtern. Und so entscheiden sich dann etwa einhundert dieser wuseligen Fresssäcke für einen Arbeitsplatz in Chris Keylocks Pfanne.
Anders als beim Fliegenfischen braucht man keine besondere Ausrüstung. Eigentlich reicht ein Stock mit einer etwa zwei Meter langen Angelschnur und einem angebundenen Stück Schweineleber. Und schon verlassen die Krebse ihre Verstecke im Wasser. Der unwiderstehliche Lebergeruch magnetisiert sie. Willenlos verlassen sie ihr Verstecke und schnellen hinter Steinen her oder aus Höhlen und Fugen am Grund des Gewässers.
Florian Scharff zeigt uns aber auch wie man schneller größere Mengen ernten kann. Dazu hängt er einen Kescher an eine Angel und lässt ihn auf den Grund der Gersprenz sinken. In der Mitte des Netzes ist natürlich das obligatorische Stück Leber festgebunden. Nach etwa einer Minute hebt er dann den Kescher ruckartig aus dem Wasser. Das muss schnell gehen, sonst machen sich die flinken Flussbewohner sozusagen aus dem Staub. Das wiederholt der Angler einige Male und es klappt mit wechselndem Erfolg, aber irgendwann haben wir genug. Und die Signalkrebse wahrscheinlich auch.
Wir verstauen die Ausrüstung und das zappelnde Fangergebnis in den Autos, kurbeln die Scheiben herunter. Ellenbogen aus dem Fenster und ab nach Güttersbach, wo Chris dann am heimischen Herd übernimmt.
So bereitet Chris die Beute zu
So langsam verabschieden sich Hand in Hand die Hitze und das Tageslicht. Es ist eben nicht mehr Sommer sondern bereits September. Wie dem auch sei: Zeit für ein Gläschen kühlen Weißweines und für Surf’n Turf aus Odenwälder Flusskrebsen und Tatar aus Kalbsrücken.
Und schon legt der Küchenmeister los. In einem großen Topf bringt er ausreichend Wasser mit dem Eisenkraut und dem Meersalz zum Kochen. Währenddessen spült er die noch lebenden Krebse mit viel Wasser ab. Als das Kochwasser sprudelt, gibt er immer nur eine Handvoll der Krebse hinein (zu viele Krebse auf einmal kühlen das Wasser ab, der Kochvorgang wird unterbrochen und der eigentlich sekundenschnelle Tod der Krebse verlängert sich unnötig). Nach etwa drei Minuten fischt der Koch die jetzt knallroten Krebse wieder heraus.
Während Chris in der Küche weiter werkelt, sitzen auf der Terrasse alle um den Tisch herum und lösen das Fleisch aus den Krebsen. Eine mühselige, fummelige Aufgabe, aber gemeinsam kein Problem. Auch Katharina, die Freundin von Chris, hat sich zu uns gesellt und zerlegt ebenfalls tapfer die gegarten Krebse.
Es gilt, pro Krebs das Fleisch der zwei Scheren und des Schwanzes zu befreien. Dazu werden zuerst die Scheren, dann der Kopf und dann die Schwanzflosse vorsichtig abgedreht. Von den Scheren wird das kleinere bewegliche Scherenblatt herausgedreht. Das Fleisch lässt sich dann leicht herausziehen. Der große Teil der Schere wird dann mit einem Messe geknackt und das Fleisch herausgefriemelt. Jetzt noch der Schwanz. Der wird mit beiden Daumen zu den Seiten hin aufgebrochen. Fleisch entnehmen. Fertig. Und das ganze einhundertmal.
Nur der Fotograf muss nix pulen. Denn mit Fischfingern die D5 Mark iii angrabbeln, das geht nun wirklich nich. Was’n Pech. Aber ein Schluck Grüner Sylvaner geht trotz Fotografieren immer.
Meanwhile
Beim Kalbstartar macht Meister Keylock jetzt auf James Bond – „geschnitten, nicht gewolft“ statt „gerührt, nicht geschüttelt“. Of course they both are Brits, aren’t they.
Mit einem richtig scharfen Messer schneidet er in wiegenden Bewegungen das rohe Fleisch so fein wie möglich. Und wenn ich sage, dass er schneidet, dann meine ich auch dass er schneidet und nicht, dass er hackt. Er will das Fleisch ja nicht zermatschen. Das Tatar schmeckt er mit Salz, Pfeffer, etwas wohl dosiertem Piment d’Espelette (ersatzweise Chiliflocken) und braunem Zucker ab. Dann verarbeitet er die Schalotten zu feinen Würfeln und schneidet den Schnittlauch in kleine Röllchen. Beides hebt er mit einer Gabel unter die Fleischmasse. Einige Spritze Olivenöl runden das Kalbstartar ab.
Für die Senf-Mayo vermengt er die Mayonnaise und den Senf zu gleichen Teilen. Mit einigen Chili-Flocken, etwas Meersalz, Pfeffer und einer Prise Zucker gibt er der Masse die gewünschte Würze.
Inzwischen hat die Bande auf der Terrasse das Krebsfleisch ausgelöst. Jetzt muss es gebraten werden.
Dazu erwärmt Chris in einer Pfanne Kräuterbutter, etwas Salz, eine halbe Knoblauchzehe und den Abrieb einer Zitrone. Er spricht von nur etwa fünfundsechzig Grad, da zu viel Hitze der Konsistenz des Krebsfleisches nicht gut tun würde. Also brät er bei der schwachen Hitze die Krebsteile nur kurz an und gibt zum Schluss nur noch einen Spritzer Zitronensaft dazu.
Als Chris dann auftischt ist es schon stockdunkel. Die Temperatur ist angenehm. Und alle hauen rein. Zum Surf’n Turf serviert Chris noch eingelegte Kapernäpfel und dünne Brot-Chips, die er so ganz nebenbei noch mit Olivenöl, Salz und Pfeffer im Backofen bei 220 Grad geröstet hat.
Dazu trinken wir ein, zwei Fläschchen gut gekühlten Wein von der Odenwälder Winzergenossenschaft aus Groß-Umstadt: Grüner Silvaner, halbtrocken. Wie immer wird noch ein wenig gebabbelt als alles verputzt ist. Dann geht es nach Hause. Inzwischen ist doch kühl geworden im Odenwald. In Südhessen.
Und hier noch eure Einkaufsliste für Odenwälder Surf ‘n Turf nach Christopher Keylock. Ihr braucht für vier Personen:
- 60–70 Signalkrebse
- 3 Zweige Eisenkraut
- Meersalz, Pfeffer
- 125 g Kräuterbutter
- ½ Knoblauchzehe
- 1 Zitrone
- 300 g Kalbsrücken
- Piment d’Espelette (Chiliflocken)
- braunen Zucker
- 2–3 Schalotten
- ½ Bund Schnittlauch
- kalt gepresstes Olivenöl
- hochwertige Mayonnaise
- groben, körnigen Senf (aber keinen süßen Weißwurst-Senf)
- eingelegte Kapernäpfel
- Brot, Sorte nach Belieben
Die Krebse hat Florian gefangen, Chris hat gekocht, gepult haben Barbara, Katharina, Florian und Michael und ich habe fotografiert. Gegessen haben wir alle.
(Beim Schreiben u.a. gehört: „One Day Like This“ von Elbow)