Dieter Krellmann
Dieter Krellman – Gestalter, Künstler, Ökologe, Aktivist, Unternehmer, Hutträger, Darmstädter – leistet Widerstand gegen die Hoffnungslosigkeit eines dystopischen Weltbilds. Für ihn sind Utopien zum Greifen da. Sie sind Ausdruck einer möglichen positiven Zukunft. Also geht er in den Garten und überall hin, um sie zu pflanzen – mit Freunden, Spaß und wachsendem Erfolg.
Es ist Mitte August. Umgeben von Grün sitzen wir in der Klause, dem Biergarten und Zentrum der Initiative Essbares Darmstadt e.V. am Darmstädter Hauptbahnhof. Es ist angenehm warm, aber Regen hängt in der Luft. Der Wind wogt hin und her. Mal ganz sanft und mal ganz schön kräftig. Dazu singen folgsam, aber nicht unterwürfig, die Äste und Blätter der Pflanzen in der Klause ihr Lied – fast so, als wollten sie sich in unser Gespräch einbringen. In ein Gespräch, das mich immer wieder an die Erzählung Der Mann, der Bäume pflanzte von Jean Giono erinnert.
Der Zustand der Welt ist hoffnungsvoll
Dieter und ich sehen uns nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal reden wir eher über den Menschen Dieter Krellmann als über seine Projekte. Beides ist sicherlich untrennbar miteinander verbunden, mich interessiert heute aber mehr der Typ hinter den Projekten.
Ich frage ihn ganz unverblümt, wie er den Zustand der Welt einschätzt. Dieters Resümee lautet kurz: „Hoffnungsvoll.“ Das hört man ja nicht so oft, denke ich. Doch diese spontane Antwort entspringt nicht etwa irgendeiner neuronalen Schwachstromentladung; sie ist Ausdruck tiefer Überzeugung. Selbstverständlich ist für ihn sonnenklar, dass akuter Handlungsbedarf besteht und das betont er: „Wir müssen jetzt handeln.“
Aber auch diese Dringlichkeit ändert nichts an seiner Haltung. „Wir haben alle Möglichkeiten, eine positive Zukunft zu gestalten … zu pflanzen. Vegetation löst unser Klima-Problem. Das Wissen und die nötigen Technologien dazu existieren. Wir müssen nur wollen und weil immer mehr Menschen wollen, besteht begründete Hoffnung.“
Wer ist dieser Typ, der so nach vorne blickt?
Dieter Krellmann wächst in den sechziger Jahren im Rheingau auf. Dort, wie überall in der bundesdeutschen Provinz, liegt zu der Zeit jungen Menschen die Welt nicht gerade zu Füßen. Er lernt, das Wenige genau zu betrachten und das Beste daraus zu machen, Dinge konsequent zu Ende zu bringen. Eine lebensfrohe Mutter und der illustre Freundeskreis der älteren Schwester erlauben ihm jedoch, mal hier und da über den Tellerrand des Rheingau zu blicken. Es entsteht auch frühzeitig ein Kontakt in die Welt der Kunst, die ihn bis heute inspiriert und motiviert. Sein Weg führt ihn schließlich nach der Fachoberschule an die Mathildenhöhe in Darmstadt, wo er Kommunikations-Design studiert. Anschließend gründet er Anfang der Neunziger das Büro Skoda – ein Büro für Gestaltung. Denn der studierte Diplom Designer bezeichnet sich aber selbst lieber als Gestalter. Der Begriff Design ist ihm viel zu eng mit industriellen und kommerziellen Anforderungen verbunden. Ihm geht es um mehr. Dieter Krellmann will die Wahrnehmung der Umwelt schärfen und so positive Veränderungen gestalten oder mitgestalten.
Man kann nur verändern, was man wahrnimmt
„Erst wenn wir etwas wahrgenommen haben, interessieren wir uns dafür“, sagt der Gestalter und erzählt von der Eberraute. Das ist ein optisch eher unspektakulärer Korbblütler, der auch in der Klause wächst. Das mäßige Interesse an dieser Heil- und Gewürzpflanze wächst erst schlagartig durch ihren Geruch und Geschmack, der an Cola erinnert. Deshalb nennt man die Eberraute auch Cola-Kraut. Und schon will der ein oder die andere mehr wissen. Das Interesse ist geweckt.
Alles beginnt also mit einer sinnlichen Erfahrung, indem wir etwas sehen, riechen, tasten, spüren oder schmecken – es wahrnehmen und unser Interesse daran geweckt wird. Das ist für Dieter der Ausgangspunkt für positive Veränderungen. „Erst wenn wir unsere Welt und unser Klima wahrgenommen haben, interessieren wir uns dafür. Lernen, verstehen und werden stetig achtsamer. In uns verändert sich etwas und irgendwann passt ein SUV eben nicht mehr in unser neues Weltbild.“
In seinen Projekten verschmelzen Ökologie, Kunst und Gestaltung zu einem neuen interdisziplinären Weltverständnis, das durch Sachverstand, Kreativität und das große Vergnügen mit anderen gemeinsam etwas zu bewegen – eben wahrnehmbar zu machen und damit positive Veränderungen in Gang zu setzen. Alles ist Kunst und Klimaschutz ist es erst recht.
Dieter Krellmann trägt einen Hut, hat aber nicht bei allen Projekten den Hut auf
Er leistet floralen Widerstand gegen die Gleichgültigkeit an allen denkbaren Fronten – aber nahezu niemals im Alleingang. „Wenn du mit anderen zusammen etwas schaffst, schmeckt das gemeinsame Feierabendbier viel besser, als wenn du allein vor dich hingewerkelt hast.“ Der Spaß daran, miteinander etwas zu bewegen, ist für diesen „Stadtgestalter“ ein genauso wichtiger Erfolgsfaktor, wie fundiertes Wissen und gute Ideen. Und nur durch „viele vernetzte Widerständler“ erzeugt man eine breite Wirkung und schafft Lust mitzumachen.
Und vernetzt ist er nun wirklich. Das macht ein Blick auf die wegen momentaner Umstrukturierungen unvollständige Liste der Weblinks mit Projekten und Unternehmen deutlich, in denen „Krellmann“ drin ist.
- www.buero-skoda.de
- https://stiftunglebensraum.org
- www.essbaresdarmstadt.de
- https://lern-und-genusswege.de
- https://16000baeume.de
- www.facebook.com/golddererde
- www.facebook.com/InitiativeEssbaresDarmstadt
- https://www.instagram.com/initiativeessbaresdarmstadt/
Auf der Liste fehlt – im Augenblick – außerdem noch die 2020 gegründete „Werkstatt für angewandte Ökologie GbR“. Sie ist dort aktiv, wo eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht machbar ist. Forschungsprojekte, private Beratung und Planung sowie intelligente Hochbeete stehen im Aussaatbuch der Werkstatt.
Da verliert man leicht die Übersicht. Und ihm ist klar, dass man sich bei dieser Vielfalt an Tätigkeiten schnell verzetteln kann. Deshalb versucht er sich diszipliniert immer auf ein Projekt zu konzentrieren und lässt andere dann mal warten. Sagt er. Da ich aber ebenfalls Gestalter bin, weiß ich, wie schnell eine Idee zur nächsten führt – getragen von ungebremster Begeisterung und wie schwer es dann ist, bei der Sache zu bleiben.
Ideen ohne Ende
Deshalb stelle ich nach etwa eineinhalb Stunden Dieter meine letzte Frage. Wir haben über Politik, Ökologie, Beuys, Marx, Bladerunner und sogar Glam Rock gesprochen. Aber bevor wir jetzt gemeinsam ein abschließendes Bier trinken, will ich noch wissen, was sein nächster Coup ist. Er lacht, spricht wieder von „wir“ – von der Zusammenarbeit mit einem Elektrotechniker und einem Schreiner, von beweglichen Beeten und einer Choreographie der Pflanzen im öffentlichen Raum. Klingt utopisch. Und damit greifbar für ihn. Hier in Darmstadt. In Hessens tiefem Süden. Aber längst nicht nur hier.
(Beim Nacherzählen des Treffens u.a. gehört: “Big Yellow Taxi“ featuring Vanessa Carlton von den Counting Crows. Das ist eine Coverversion von Joni Mitchells Original aus den Siebzigern. )
Fotos: Thomas Hobein
Mehr im Blog über Projekte, an denen Dieter Krellmann beteiligt ist:
Moin zusammen!
Der Artikel über Dieter Krellmann und die Initiative ist gelungen und schön geschrieben. Ich wünsche mir daß noch einige mehr Leute in Darmstadt und Umgebung von den Aktivitäten erfahren und sich für ihr eigenes Tun dazu inspirieren lassen.
Dem kann ich mich nur anschließen. Ein interessanter, neu entdeckender Beitrag, der zudem die Sprache zelebriert und lebensecht wirkt. Danke für die Arbeit, die drinsteckt.
Ich bin glücklich, mit Dieter in unserer Stiftung zusammenarbeiten zu dürfen getreu dem Motto: „Eine andere Welt ist pflanzbar.“
Danke für dieses Feedback