Ein illustres Kartoffel-Sammelsurium
Vom 16. September bis zum 3. Oktober finden sie statt – die Odenwälder Kartoffelwochen. In zahlreichen Gasthöfen werden in diesem Zeitraum Gerichte angeboten, bei denen sich alles um die Knolle des Nachtschattengewächses dreht. Da wünschen wir guten Appetit und servieren als Beilage sozusagen mehr oder weniger Wissenswertes. Entscheidet selbst.
Wer nun knallharte Fakten und zielführende Adressen zu den Odenwälder Kartoffelwochen sucht, findet auf der eigens dafür verursachten Website ganz prima Informationen. Wir gehen da jetzt mal anders ran. Also: Rinn in die Kartoffeln.
Eine ziemlich persönliche Kulturgeschichte der Kartoffel
„Dein Vater braucht seine Kartoffel.“ So meine Mutter, wenn ich als Vorpubertierender meine Nudel brauchte – das Wort Pasta war damals noch nicht in das südniedersächsische Hameln vorgedrungen, durch das ich meine gebügelten Nietenhosen trug. Bei aller Doppeldeutigkeit sei zur Ehrenrettung meiner Mutter gesagt, dass sie beides konnte – Country und Western. Deshalb bekam der Papa seine Kartoffel und der Sohn sein Miracoli, jedenfalls manchmal. Doch der kulinarische Kollateralschaden war verursacht: Ich war Teil einer Generation geworden, die Kartoffeln nur als Pommes auf dem Teller duldeten und sonntags als Kroketten. Auch wenn mein Vater seine Kartoffel brauchte, die Nudel ging vor.
Aber inzwischen habe ich mich von der „Generation Nurnudel“ losgesagt und esse jetzt öfter Kartoffeln als Pasta, wenn nicht sogar am alleröftesten, wie einst ein Studienkollege zu sagen pflegte. Und inzwischen hadert eher meine Mama mit dem zeitgemäßen Kartoffel-Verputzen. Denn dass sich die Kartoffeln in Schale werfen, verzeiht ihnen meine Mutter bis heute nicht und pellt sie gnadenlos vor oder nach dem Kochen, also je nachdem.
Speis und Trank im Odenwald
1981 erschien die erste Auflage dieses informativen Buches, geschrieben vom Reichelsheimer Kurt Schwinn. Das themenbezogene Kapitel dieser Ausgabe präsentieren wir an dieser Stelle mit der freundlichen Genehmigung der Söhne:
Kartoffeln
Wenn es auch in vielen Berichten heißt, die Odenwälder hätten reichlich und gut gegessen, so darf jedoch nicht vergessen werden, dass nach Getreidemissernten große Not eintreten konnte. Eine schlechte Ernte machte sich sofort bemerkbar. Sie konnte sich noch im nächsten Jahr auswirken, wenn es an Saatgut mangelte.
Nach Einführung der Kartoffel wurden witterungsbedingte Hungersnöte seltener. Der Kartoffelanbau verbreitete sich im 18. Jahrhundert zunächst zögernd. Dann aber zeigte es sich, dass der Odenwald durch Klima und Bodenbeschaffenheit ein hervorragendes Anbaugebiet für dieses Knollengewächs war.
Die Kartoffel wird im Frühjahr gesteckt. Sie ist gegen Kälte sehr empfindlich. Von ihr heißt es: „Steckt ihr mich im April, kumm ich, wann ich will. Steckt ihr mich im Mai, kumm ich glei.“ Ohne Maschinen war der Kartoffelanbau recht zeitaufwendig. Die Pflanzen mussten gehackt und gehäufelt werden. Die Ernte mit der Hacke erstreckte sich über viele Tage. Die Schulkinder bekamen Kartoffelferien, um mithelfen zu können. Viele Kinder, deren Eltern nur kleinere Kartoffeläcker besaßen, verdienten sich gern bei den Großbauern außer gutem Essen noch ein paar Mark dazu.
Vormittags waren die Felder vom Tau oft noch zu feucht. Erst am Nachmittag ging es mit Hacken, Körben und Säcken aufs Feld. Gestaffelt hintereinander standen Männer und Frauen und ernteten, jeder eine Reihe für sich, den Acker ab. Die großen Kartoffeln wurden in einen Korb geworfen, die kleinen von Kindern aufgelesen. Die vollen Körbe leerte man in Säcke. Zur Kenntlichmachung wurde bei den kleinen Kartoffeln ein Krautstengel mit eingebunden. Gegen vier Uhr wurde die Arbeit unterbrochen. Alle Helfer setzten sich auf umgestülpte Körbe oder auf den Boden und tranken Malzkaffee. Brot mit Butter und Latwerge (Pflaumenmus) oder Schmierkäse konnte jeder essen, so viel er wollte. Die Kaffeekannen waren in Tücher eingehüllt mitgenommen oder von der Bäuerin aufs Feld gebracht worden.
Das dürre Kartoffelkraut wurde zu Haufen zusammengetragen und verbrannt. Der Rauch zog über die Felder und erfüllte die Luft mit einem unverkennbaren Geruch. Die Kinder brieten gern Kartoffeln in der heißen Asche. Gegen Abend kam der Bauer mit seinem Pferde- oder Kuhgespann und fuhr die gefüllten Säcke ins Haus. Auf hölzernen Rutschen rollten die Kartoffeln an ihren Aufbewahrungsort. Das Ende der Kartoffelernte konnte man erkennen, wenn die Bauern die gewaschenen Säcke zum Trocknen an die Gartenzäune hängten.
Wenn viele Jahre hintereinander die gleiche Kartoffelsorte gepflanzt wird, dann zeigen sich Abbauerscheinungen. Die Ernte wird geringer, die Stöcke krankheitsanfälliger. Deshalb muss die Sorte immer wieder gewechselt werden. Mit der Neuzüchtung von den Kartoffeln aus den Samen in den grünen Beeren befasst sich seit Jahrzehnten die Groß-Bieberauer Familie Böhm, die über den Odenwald und Deutschland hinaus bekannt geworden ist.
Außer zur menschlichen Ernährung dienten die Kartoffeln im Odenwald bis zum Aufkommen des Maisanbaus als Viehfutter und zur Herstellung von Schnaps.
Der Stolz der Odenwälderinnen war es, die Kartoffeln in recht abwechslungsreicher Art auf den Tisch zu bringen. Schon beim einfachen Abkochen bestehen drei Möglichkeiten. Als Gequellte werden sie mit der Schale in klarem Wasser abgekocht. Zur Bereitung von Kartoffelstücken oder Schnitzkartoffeln werden die rohen Kartoffeln geschält, zerschnitten und in Salzwasser gekocht. Bei einer Zwischenform, den Geringelten, wird nur in der Mitte ein Ring der Schale entfernt. Ihr Kochwasser wird ebenfalls gesalzen.
Soweit Kurt Schwinn über die Kartoffel(n).Das Buch ist momentan leider nur antiquarisch erhältlich, aber unerlässlich. Mehr über das Buch erfahrt ihr an anderer Stelle unserer Website.
Ueber die Kartoffeln, Erdäpfel, Erd- oder Grundbirnen
Während 1818 in England „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ von Mary Shelly erschien, widmete sich in Bayern Johann Georg Friedrich Jacobi lieber der Kartoffel. Sein Werk nannte er:
Ueber die Kartoffeln, Erdäpfel, Erd- oder Grundbirnen – deren verschiedene Arten, Anbau und zweckmäße ökonomische Anwendung, besonders in der Küche. Aus den besten Schriften, daraus gemachten Versuchen und aus Selbsterfahrungen gesammelt und herausgegeben von G. Fr. Jacobi.
Und tatsächlich: Das Buch versammelt so ziemlich alles, was man damals über die Kartoffel wusste, beziehungsweise dachte, besonders aber, was man in der Küche damit anfangen konnte. Es ist ob der antiquierten Sprache ein kurzweiliges Vergnügen und dennoch aufschlussreich. Hier zwei Rezepte aus dem urheberechtsfreien Werk:
Zuckergebackenes aus Kartoffeln.
Unter Kartoffelmehl Zucker, Zimmt, Eyerdotter, und etwas Butter gemischt, giebt einen schönen Zuckerpläzchen-Taig, der auf heißen Blechen leicht bäckt, und gebacken sehr gut schmeckt. Aus diesem Taige kann man allerley Figuren formen, und sie als Konfekt zum Nachtische aufsezen.
Kartoffelbier
Die gedörrten Kartoffelwürfel oder das Kartoffelmalz werden geschroten, mit Gerstenmalz vermischt und daraus mit Zusatz von Hopfen auf die gewöhnliche Weise, Bier gebraut, das angenehm schmeckt und kräftig ist.
Das Buch ist als kostenloserer Download in der Kindle Edition, oder als gebundene oder als Taschenbuch-Version bei Amazon erhältlich.
Kindle-App für Android, iOS, PC, Mac und mehr herunterladen.
Garantiert unlangweilig
Bereits 2015 haben wir das hohe Lied der Vielfalt auf die Kartoffel gesungen. In einem abwechslungsreichen Potpurri haben wir so einige Sorten in Wort und Bild portraitiert – darunter auch die Odenwälder Blaue aus Groß-Bieberau. Und jetzt ist genau der richtige Moment zum Entdecken oder Wiederentdecken dieses Artikels. Wenn nicht jetzt, wann dann?
So – genug gelesen für heute, ihr Stubenhocker. Raus aus die Kartoffeln. Ab in den Odenwald. Zu den 27. Kartoffelwochen. Einkaufen und reinhauen. Aber tüchtig.
(Beim Schreiben u.a. gehört: „The Ultimate Collection“ von ELO und dabei immer wieder „Mr. Blue Sky“, „Last Train To London“, The Diairy Of Horace Whimp“ und „Here Is The News“)