Sieben auf einen Streich
Rom wurde auf sieben Hügeln erbaut, Darmstadt nicht. Dafür hat Darmstadt einen Wanderweg mit dem Namen „Sieben-Hügel-Steig“. Der schlängelt sich im Osten an der Stadt vorbei und führt im Zick-Zack vom Ostbahnhof im Norden nach Darmstadt-Eberstadt im Süden. Oder andersrum.
Die meisten Wegbeschreibungen des Steigs beginnen im Norden am Ostbahnhof, aber: „ I’m not like other guys,“ wie Micheal Jackson schon auf Thriller sang. Und deshalb starte ich in Eberstadt und ende hoffentlich trotzdem nicht am Ostbahnhof. Das hat kulinarische Gründe, denn im Norden der Strecke eröffnen sich einige Möglichkeiten zur Einkehr nach vollendeter Wanderung – wenn die auch teils einen kleinen Umweg erfordern.
Warum eigentlich sieben Hügel?
Ich bin diese Strecke das erste Mal im September 2014 gelaufen und habe mich schon damals gefragt, warum der Weg eigentlich Sieben-Hügel-Steig heißt. Denn die Anhöhen sind nur mehr oder weniger bekannt und einen perfekten Aussichtspunkt bietet auch nicht jede dieser Höhen. Nicht mal besonders hoch sind sie.
Aber gut – Sieben ist die ultimativ magische Zahl. Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen, der Mensch besitzt sieben Energiezentren (Chakren), in der Antike berichtete man von den sieben Weltwundern, noch heute befahren wir die sieben Weltmeere und die Gruppe Karat sang von den sieben Brücken, über die du gehen musst – also warum nicht auch über sieben Hügel bei Darmstadt. Eine bessere Idee habe ich nicht, das ist eben so – genau so, wie die Piemont-Kirsche in Mon Chéri oder die Jod-S 11 Körnchen im Vogelfutter. Der Mensch braucht halt was (scheinbar) Greifbares.
Gar nicht scheinbar, sondern völlig real ist die Streckenlänge von zwölf bis fünfzehn Kilometern (schwankt je nach Quelle). Ich habe jedenfalls rund vier Stunden gebraucht, die ausgedehnte Schnitzelpause nicht eingerechnet.
Durch Eberstadt und die Streuobstwiesen
Im frühen Septemberlicht fahre ich aus der Darmstädter Innenstadt mit der Straßenbahnlinie „7“ (schon wieder diese Zahl) nach Süden. In Eberstadt steige ich an der Haltestelle „Wartehalle“ aus und marschiere durch die Thomasstraße nach Osten. Nach rund zweihundert Metern erreiche ich die Heinrich-Delp-Straße. An einem Laternenpfahl zeigt ein rotes „S auf weißem Grund“ nach links, nach Norden. Folgsam wie ich bin, füge ich mich diesem Zeichen, dass mich dann auch über den gesamten Weg bis ans Ziel führt.
Nach etwa fünfhundert Metern Heinrich-Delp-Straße geht es rechts endlich in die Natur, in die größte zusammenhängende Streuobstwiese der Bergstraße. Der Freundeskreis Eberstädter Streuobstwiesen e.V. pflegt und schützt seit 1995 dieses kulturell und ökologisch bedeutende Areal. Und tatsächlich erkennt man der Erfolg der Baumpflege schon allein daran, dass die sonst in der Region allgegenwärtigen Misteln an den Obstbäumen fehlen.
Links vom Weg entdecke ich einige Quittenbäume und die Apfelbäume entlang meines Weges hängen voller Früchte und rufen mir zu: „Ach bitte, rüttel mich, schüttel mich! Meine Äpfel sind alle miteinander reif.“ Aber natürlich bleibe ich hart und die Äpfel bleiben dran – so wie es sein soll, ganz im Sinne des Freundeskreises.
Vom Prinzenberg zur Ludwigshöhe
Zuerst sanft, dann etwas steiler zieht sich der Weg durch die Streuobstwiesen hinauf auf den ersten der sieben Hügel, auf den Prinzenberg (241m). Im Süden erhebt sich der Melibokus und nach Westen öffnet sich das Rheintal mit den Erhebungen Rheinhessens am Horizont. Der bewaldete Hügel war einst ein baumloses Feld, auf dem gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts nichtheimische Baumarten angepflanzt wurden und eine Schutzhütte errichtet wurde.
Weiter geht es dem „S“ folgend durch den Wald. Hier geht es teilweise auf schmalen Pfaden zuerst bergab und dann wieder bergauf. Bei feuchterer Witterung kann es hier schon etwas rutschig sein, und deshalb empfiehlt sich auf diesem Weg vernünftiges Schuhwerk zum Wandern.
Schließlich erreiche die Marienhöhe. Hügel Nummer Zwei ist zweihunderteinundfünfzig Meter hoch und war einst eine spärlich bewaldete, großzügige Parkanlage. Nach dem zweiten Weltkrieg ist der Park völlig verwildert und heute erzählen nur noch die Säulenstümpfe des einstigen Marientempels vom ehemaligen Park. „Tempel“ ist im hiesigen Sprachgebrauch übrigens eine etwas blumige Bezeichnung für Schutzhütte und entsprechend trägt auch die neu errichtete Hütte den Namen Marientempel.
Von hier ist es nicht mehr weit zur Ludwigshöhe (242m), dem Bessunger Hausberg. Es geht leicht bergauf durch den Wald, vorbei an der Volkssternwarte Darmstadt zur Ludwigsklause, der ersten Chance auf ein kühles Bier und einen Imbiss.
Hinter der Hütte öffnet sich der Wald hin zu einer Aussichtsplattform auf der sich der Ludwigsturm erhebt. Von hier bietet sich eine prima Aussicht auf Darmstadt und bei guter Sicht auch auf die Frankfurter Skyline und den Feldberg im Taunus. Was mich ganz persönlich an der Ludwigshöhe fasziniert: Hier befand sich früher so etwas wie ein Wintersport-Zentrum – mit Skisprungschanze und Bob-Bahn. Aber das ist lange her und heute irgendwie kaum noch vorstellbar.
Waldkunst, Goethe und der Herrgottsberg
Jetzt führt mich der Steig nach Nord-Osten zum Herrgottsberg (227m) und wird dabei für ein paar Kilometer zum „Internationalen Waldkunstpfad“. Eine spannende Abwechslung, denkt der wandernde Diplom-Designer und betrachtet alles sehr genau, bis ihm eine Gruppe ungemein wichtig blickender und schwadronierender Kunstkenner entgegenkommt. So wie diese Wichtigtuer reden und gestikulieren ist der Weltuntergang ein Scheißdreck (sorry, muss aber sein) gegen ihren Kunstpfad. Und ich bin abgetörnt, aber so was von.
Als ich Goetheteich und Goethefelsen passiere, geht es wieder besser. Hier frage ich mich, inwieweit der Dichterfürst zur Namensgebung beigetragen hat. Außer, dass er mal im Kreis der Empfindsamen hier mal abgehangen haben soll, haben meine späteren Recherchen aber nix wirklich Beweisbares ergeben.
Hinter dem Teich umkreise ich den Herrgottsberg (227m). Um diesen „vierten Gipfel“ ranken sich zahlreiche Sagen und Geschichten. Zum Beispiel sollen die Bessunger, den Teufel dazu gebracht haben, auf dem Hügel eine christliche Kirche zu bauen – die Martinskapelle, die aber bereits seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht mehr existiert. Wenn es aber so war: Hut ab, vor diesen Bessunger Schelmen.
Über die B 449 zum Dommerberg und zum Dachsberg
Nach Umkreisung des Herrgottsbergs schickt mich das „rote S“ für einige hundert Meter entlang der Bundesstraße in Richtung Trautheim (siehe auch den Tipp weiter unten). Schließlich überquere ich die Straße und erklimme den Dommerberg (mit 263m der höchste Punkt dieser Wanderung) ) auf einem Weg, der durch einen lichten Wald führt. Auf der Höhe erwartet mich der Darmstädter Bismarckturm, gebaut 1904-08 als Aussichtsturm, aber inzwischen baufällig und nicht mehr zugänglich.
Über den Dachsbergweg – jetzt wieder im dichteren Wald – erreiche ich bald den benachbarten Dachsberg (258m), auf dem ein weiterer „Tempel“ Schutz vor Regen bietet und schräg gegenüber die massive Wand eines Wasserspeichers irgendwie irritiert.
Von nun an geht’s bergab
Der Weg führt noch einige Zeit durch Wald hinab auf den Campus Lichtwiese der Technischen Universität Darmstadt. Kurz danach erreicht man das Vivarium. Der Name leitet sich aus den Aquarien und Terrarien ab, wo sich Fische, Reptilien, Amphibien und Insekten Neugierigen präsentieren. Inzwischen erwartet aber auch eine große Zahl kuschligerer Gesellen in diesem kleinen Zoo ihre geneigten Besucher. Ich bin aber heute nicht geneigt. Ich habe nämlich Hunger.
Nach so viel Zick und Zack bricht man sich auch keinen Zacken aus der Krone, wenn man einen kleinen Umweg macht, denke ich – und an ein Kochkäs-Schnitzel in der Fischerhütte, denke ich. Oder lieber eine Forelle? Wie dem auch sei – ich nehme ich diesen ganz prima Umweg gern in Kauf.
Dazu verlasse ich den Weg etwa einhundert Meter nach dem Wasserspeicher auf dem Dachsberg, indem ich mich nicht wie vorgegeben links halte, sondern einfach geradeaus gehe. Nach weiteren einhundert Metern biege ich links ab. Jetzt geht es etwa für dreihundert Meter schnurstracks geradeaus und dann rechts über die Bahngleise. Auf dem „Kirchweg“ geht es direkt zur Fischerhütte und dem Schnitzel und Bier.
Auf die Rosenhöhe und dann ans Ziel
Nach der Pause fehlt mir leiblich nix, aber noch der siebte Hügel – die Rosenhöhe. Der Weg zum Vivarium von den Fischerhütte ist gut ausgeschildert. Dort gelange ich zurück auf den offiziellen Sieben-Hügel-Steig und nach kurzer Zeit durchquere ich den Botanischen Garten Darmstadt. Da halte ich mich aber nicht weiter auf. Heute geht es um die sieben Hügel. Auf verschlungenen Pfaden überquere ich Bahnlinien und die B 26 und lande schließlich am Hofgut Oberfeld. Hier könnte man im Café durchaus auch noch einmal einkehren, um sich den belegten Broten oder Kuchen zu widmen, aber ich habe ja heute schon …
Also vorbei am Hofgut Oberfeld und rauf auf die Rosenhöhe, das „S“ zeigt wieder den Weg. Nachdem ich das Tor zu dem 1810 angelegten Landschaftsgarten passiert habe, erreiche ich den Spanischen Turm. Dieses kuriose Gebäude gibt bis heute eine Reihe ungelöster Rätsel auf. Denn da weder das Jahr der Erbauung, noch der Auftraggeber oder der Architekt bekannt sind, lässt sich ganz vortrefflich über all das spekulieren.
Nur wenige Meter weiter in Richtung Darmstadt liegt das Rosarium. Da ich keine Ahnung habe, wann Rosen so blühen, bin ich sehr erfreut, ein buntes Blütenmeer vor mir zu sehen und mit meiner Kamera ein letztes Mal für heute einzufangen, was der Weg bietet.
Unterhalb des Rosengartens liegt der Ostbahnhof, offizieller Zielpunkt. Ich aber – einmal mein Fahrgestell auf Touren gebracht – gehe noch durch die Stadt nach Hause ins Johannesviertel. Dort endet im zweiten Stock meine Wanderung entlang des Sieben-Hügel-Steigs. Und ein kaltes Bier auf dem Sofa, sage ich euch, ist nach so einem Marsch über die sieben Hügel das achte Weltwunder. Echt jetzt.
Die fotografischen Notizen von unterwegs stammen von Thomas Hobein.
(Beim Schreiben dieser Zeilen habe ich nicht Karat gehört, sondern „seven o’clock news“ von Pizzicato Fiveund natürlich „Happy Sad“ – meinen Lieblingstitel von den Japanern)