Tafeltrauben aus Heppenheim
Jeder Deutsche isst jährlich etwa viereinhalb Kilogramm Weintrauben1, Tafeltrauben um genau zu sein. Und die kommen vorwiegend aus Italien, Griechenland oder Spanien in den Handel, aber auch aus Übersee. In Deutschland ist dagegen der Anbau von Tafeltrauben noch ein zartes Pflänzchen und an der Bergstraße ein noch viel zarteres.
Eigentlich wollten wir bereits 2017 über die Tafeltrauben von der Bergstraße berichten, aber da bekamen wir das zeitlich nicht gebacken. Und nach der Saison wollten wir dieses Thema nicht mehr bringen. Also vertagten wir uns auf 2018 – um wieder fast zu spät zu sein. Denn der heiße Sommer verursacht eine sehr frühe Lese in der Augustmitte. Normal werden deutsche Tafeltrauben zwischen September und Oktober gelesen und frisch in den Handel gebracht. Aber dieses Jahr ist eben so einiges ganz anders. Gut, dass Reinhard Antes uns eine entsprechende Nachricht geschickt hat. Und hier kommt ein frischer Bericht, pünktlich zur Saison – entstanden aus der Aufzeichnung des Gespräches mit Anja und Reinhard Antes im September 2017 und ergänzenden Recherchen.
Bevor es losgeht noch ein kurzer Exkurs zum Thema Wein für die Pilstrinker aus Buxtehude und auf Hiddensee: Als Rebe wird die gesamte Pflanze bezeichnet, die Traube ist der Fruchtstand der Rebe, die sich wiederum aus den einzelnen Beeren zusammensetzt.
Fakten, Fakten, Fakten.
In Deutschland wird auf etwa 100.000 Hektar Wein angebaut. Davon sind lediglich 160 Hektar mit Tafeltrauben bepflanzt.1 Weltweit dagegen ist das Verhältnis von Kelter- und Tafeltrauben nahezu ausgeglichen. Im Jahr werden rund um den Globus etwa 75,1 Millionen Tonnen Trauben produziert. Davon werden 39,6 Millionen Tonnen gekeltert und zu Wein, Most oder Saft verarbeitet. Der Rest kommt als Tafeltrauben auf den Markt oder wird zu Rosinen getrocknet.2
Die vergleichsweise geringe Anbaufläche in Deutschland ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass hier erst seit der Jahrtausendwende Tafeltrauben angebaut werden dürfen. Der Anbau fällt auch nicht mehr unter das Weinrecht – Tafeltrauben gelten als Obst und dürfen nicht gekeltert werden. Für Neuanlagen werden deshalb im Gegensatz zu Keltertrauben auch keine Pflanzrechte mehr benötigt und die Flächen müssen auch nicht innerhalb eines anerkannten Weinbau-Gebietes oder -Geländes liegen.
In der Pfalz und am Bodensee haben sich seit der Reformation des Weinbaurechtes im Jahre 2000 einige Betriebe entwickelt, die sich auf den Anbau von Tafeltrauben spezialisiert haben. Die größte Anbaufläche in dieser Region liegt zwischen Groß-Umstadt und Otzberg. Auf etwa einem Hektar baut hier der Landwirt Holger Schütz einige Sorten Esstrauben in Bio-Qualität an. Die kleinere Versuchsanlage der Familie Antes liegt an der B 3 zwischen Heppenheim und Bensheim und beherbergt eine Vielzahl unterschiedlicher Rebsorten. Denn hier geht es auch nicht um Ernte-Menge, sondern um eine ganze Menge Erkenntnis.
Es gibt mehr als tausend verschiedene Tafeltraubensorten
Sie heißen Anja, Katharina, Heike oder Lina. Tafeltrauben tragen überwiegend Frauen-Namen, habe ich den Eindruck, so wie früher die Tiefdruckgebiete. Es gibt aber auch welche mit Männer-Namen, wie inzwischen auch männliche Tiefdruckgebiete.Einige der Esstrauben sind auch als Zierreben geeignet.
Wer es genauer wissen möchte findet unter www.traubenshow.de – das ist die Website der Antes Weinbau Service GmbH in Heppenheim – Informationen zu den wichtigsten Sorten. Interessierte können hier auch Reben für den eigenen Garten ordern und werden fachgerecht beraten – hinsichtlich der Lage des Gartens, der Bodenbeschaffenheit und des Verwendungszwecks. Hier ein Beispiel: Rote Trauben eigenen sich nicht für die Sitzecke im Garten. Denn Vögel und Wespen mögen die Roten halt lieber als die Weißen. Und das hat neben unliebsamem Besuch zur Folge, dass die angefressenen Beeren faulen und runter fallen.
Die inneren Werte
Im Handel werden Tafeltrauben in den drei Klassen angeboten: Extra (makellos), I (gute Qualität) und II (marktfähig). Wie es schmeckt, lässt sich aber daraus nicht ableiten.
Die Beeren sollen frisch, groß und saftig sein. Mit dünner Schale und ohne Kerne. So die Idealvorstellung der Händler und der Konsumenten. Tatsächlich, so Reinhard Antes, hat sich auch ein Produzent in Süddeutschland auf kernlose Tafeltrauben spezialisiert, um ausschließlich von Gebissträgern bewohnte Altersheime zu beliefern.
Mich erinnert diese naturfremde Idealvorstellung an Tomaten, die großartig aussehen, die haltbar über einen längeren Zeitraum sind und die ganz prima nach Nichts schmecken. Oder anders ausgedrückt: Außen hui, innen pfui. Wir probieren einige Trauben-Sorten und erfahren dabei, dass deutsche Trauben eher kleinere Beeren haben, aber meistens fruchtiger schmecken und einen höheren Zuckeranteil aufweisen als ihre Import-Kollegen. Und auch die ungeliebten Kerne in den Beeren spielen eine Rolle. Kernlose Tafeltrauben sind in der Regel längst nicht so intensiv im Geschmack.
Vom Sensibelchen Tafeltraube
Es gelangt nur ein Teil der Erntemenge in den Verkauf. Denn die Ernte der Tafeltrauben gestaltet sich wesentlich komplizierter als die Lese der Keltertrauben. Das Obst muss perfekt aussehen, keine Beere darf beschädigt sein. Sonst bleibt es im Regal liegen. So schmecken beispielsweise Trauben mit einer rostigen Einfärbung (wie ein leichter Sonnenbrand) am besten, aber niemand will sie.
Damit all das gelingt, wird während der Ernte jede Traube nur einmal in die Hand genommen. Auch werden Spezial-Handschuhe getragen, um zu verhindern, dass die natürliche Wachsschicht der Beeren verwischt wird. Und da die Trauben einer Rebe nicht unbedingt zur gleichen Zeit erntereif, wird auch nicht in einem Rutsch geerntet, sondern in mehreren Gängen. Doch wie dem auch sei – so kommen die Tafeltrauben aus Heppenheim sozusagen taufrisch in den Handel.
Bei der Importware kommt noch dazu, dass die empfindlichen Früchtchen schlecht für den Transport geeignet sind. Sie müssen reif geerntet werden, da sie nicht wie Tomaten oder Bananen während des Transports nachreifen. Oder in Küchendeutsch ausgedrückt: Im Augenblick der Ernte sind sie à point. Um sie danach einigermaßen bei Laune zu halten, müssen sie heftig gekühlt werden. Die optimale Lagertemperatur liegt bei einem Grad Celsius und eine zusätzliche Begasung muss vor Oxidation schützen. Das alles erhöht den Verkaufspreis. Und über die ökologische Sinnhaftigkeit kann auch trefflich diskutiert werden, aber das ist eine andere Geschichte.
So, wir danken Anja und Reinhard Antes für ihre Zeit und die Informationen, vor allem aber für ihre Geduld. Und wer jetzt Lust auf die Tafeltrauben aus Heppenheim hat, kann sie bei EDEKA Jakobi in Bensheim oder im Viniversum der Bergsträßer Winzer eG in Heppenheim ergattern. Natürlich nur jetzt. Und natürlich nur solange der Vorrat reicht.
Fotografie und Bildbearbeitung: Thomas Hobein
(Beim Abhören der Aufzeichnung, beim Erinnern und beim Schreiben u. a. gehört: „One Day Like This“ von Elbow)
Quellen:
1 IVA Magazin, https://bit.ly/2M86Aok
2 Internationale Organisation für Rebe und Wein, https://bit.ly/2ARlZVp