Wenn ein Riese fällt, fällt er nicht leise
Am 29. April 2018 gegen 20:00 Uhr stirbt der etwa vierhundert Jahre alte Baum. Und wie es sich gehört, entschläft er nicht etwa sanft, sondern bricht mit gewaltigem Getöse auseinander – hörbar noch hunderte Meter entfernt. Für die Menschen in Momart ist es wohl so, als sei einer der Ihren gegangen – ein Zeichen dafür, dass die Verbindung zwischen Mensch und Natur nicht überall zerrissen ist.
Als wir an einem Mittwoch im August 2018, auf dem Bio-Hof Weiße Hube in Momart zu Gast sind, erzählt Landwirt Hans Trumpfheller, dass es die Momarter Eiche nicht mehr gibt. Das trifft mich, obwohl ich die alte Traubeneiche am Ortausgang des zu Bad König gehörenden Höhendorfes nur einmal gesehen habe. Das war rund ein Jahr zuvor.
Donnerstag, 30. März 2017
Wir haben einen Tipp bekommen, wo man im Odenwald ganz prima Ziegenkäse bekommen kann. Deshalb ist die Weiße Hube, ein Bio-Hof mit Käserei, in Momart unser Ziel. Also erklimmen wir mit dem Auto die Steigung von Bad König und entern Momart. Und wie man das so nach dem Motto „Augen zu und durch“ macht, machen wir es auch und fahren an unserer Destination völlig blind vorbei. Wir lassen den Ort hinter uns, schließlich liegen landwirtschaftliche Betriebe nicht unbedingt innerhalb eines Ortes. Aber als wir am Sportheim dann doch beschließen zu wenden, steht sie vor uns – die Momarter Eiche. Einparken, aussteigen, ansehen, heißt es.
Ich fasse es in diesem Augenblick zwar nicht in Worte, aber ich bin beeindruckt. Beeindruckt nicht nur von der Größe, sondern auch vom Lebenswillen dieses uralten Burschen, der da zerfurcht und gebeutelt vom langen Leben vor mir steht. Gestützt von den Menschen, die ihn nicht aufgeben wollen.
Wir gehen drum herum, ich mache ein Bild. Dann steigen wir wieder ins Auto und finden schließlich unserer Ziel. Das Bild landet im Archiv auf der Festplatte, meine Erinnerung an den alten Baum verblasst.
Zurück im August 2108
Als Hans Trumpfheller beim Probieren von Apfelweinbrand und Quittenlikör den Tod des Baumes erwähnt, sage ich nur: „Echt?“ Doch sofort erscheint das Bild wieder vor meinen Augen. Und irgendwie fühle ich mich ertappt. Ich weiß, dass ich nichts hätte tun können, aber trotzdem. Den spontanen Gedanken sich den Rest des Baumes anzusehen, verwerfe ich gleich wieder. Denn dann würde ich mir so vorkommen wie die Dumpfbacken auf der Autobahn, die extra langsam fahren, um das Unglück anderer besser sehen zu können. Und Bilder machen, will ich schon gar keine.
Zuhause starte ich sofort den Rechner, sehe mir das Bild an, dass ich ein Jahr zuvor gemacht habe und schreibe diese Zeilen. Ich will hier auch gar nicht mehr Informationen liefern, aber wer mehr über die Eiche wissen möchte, findet alles auf Wikipedia. Und wer sich fragt, warum ich als Stadtmensch das hier schreibe – ich weiß es auch nicht. Aber ich habe schon Anfang der Neunziger meine Diplomarbeit den Bäumen gewidmet und in meinem Blog findet ihr einen kurzen Rundgang durch den Urwald an der Sababurg in Nordhessen.
Bleibt noch die Frage, wie die drei Stileichen, die keine hundert Meter weiter an der Straße stehen es aufgenommen haben, als der alte Riese fiel. Schließlich weiß man ja inzwischen, dass Bäume über komplexe Netzwerke miteinander kommunizieren.