Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Von Menschen und Schafen

Über den Landschaftspflegehof Stürz (Teil 1)
Weidende Schafe bei Nieder-Beerbach

In den Neunzigern des letzten Jahrhunderts hat sich Chemielaborant Reiner Stürz entschlossen, sein Leben umzukrempeln. Er hatte sich schon vorher ehrenamtlich im Naturschutz engagiert, aber jetzt machte er aus der Passion eine Profession – als Landschaftspfleger und Schafhirte. Wir haben den konsequent handelnden Mann und Anna Schecker, eine angehende Schäferin, inzwischen einige Male besucht und hier ist der erste Teil unseres Berichts.

 

Südlich von Nieder-Beerbach steht vor mir ein Schaf und blökt mich an. Ich will es fotografieren, also dreht es sich um und zeigt mir seinen Hintern. Danke.

 

Der ewige Kreislauf

Es ist so gegen achtzehn Uhr. Unter grauem Himmel an einem Hang weidet eine Herde Schafe, die sich nicht im mindesten für uns interessiert. Ich zähle sie nicht, sondern schieße mit meinem iPad ein Bild und poste es auf Instagram. Im Gegensatz zu den desinteressierten Schafen nehmen das innerhalb kurzer Zeit einige hundert Menschen sehr wohl zur Kenntnis.

Wir warten auf Anna Schecker und Reiner Stürz vom Landschaftspflegehof Stürz. Denn heute wollen sie Lämmer aussuchen, die geschlachtet werden müssen. Doch wir warten vergeblich. Am Telefon erfahren wir, dass es Probleme mit einem lammenden Schaf gab. Und dass weder Lamm noch Muttertier gerettet werden konnten. Das wirft die beiden kurzfristig so aus der Bahn, dass sie alles Weitere für diesen Tag absagen und damit natürlich auch unseren Termin.

Das Wohl ihrer Schafe geht dem Hirten und der angehenden Schäferin eben sehr nah. Ihre Beziehung zu den Tieren ist in keiner Weise vergleichbar, mit der zynischen Tierhaltung zur Produktion von Billigfleisch für die Supermarkt-Kühltheken. Aber es ist auch keine romantisierend verkitschte Disney-Geschichte voller süßer Lämmchen, sondern ein natürlich respektvolles Verhältnis von Mensch und Tier. Und dabei geht es auch um Leben und Tod, aber genau so um ein artgerechtes Leben der Schafe und die Vermeidung unnötiger Qualen im ewigen Kreislauf des Lebens.

Und wir – wir machen uns leise auf den Heimweg und beschließen, trotzdem oder gerade deswegen von unseren vorangegangenen Begegnungen mit Anna Schecker und Reiner Stürz zu berichten.

 

Erste Begegnung: Juni 2015

Schafe bei Pfungstadt

Irgendwo zwischen Griesheim und Pfungstadt. Es ist so ein warmer Sommertag mit stickiger Luft. Reiner Stürz zieht mit seiner Herde von einer Lichtung auf eine andere um. Wir ziehen mit. Es sind nur einige hundert Meter, aber alles geht im Affenzahn und staubt wie die Sau.

Der Hirte ruft die Schafe, rennt voran, sie folgen ihm.

Schafe bei Pfungstadt mit Reiner Stürz

Schafe bei Pfungstadt

Schafe bei Pfungstadt mit Reiner Stürz

Schafe bei Pfungstadt

Die neue Weide ist bereits vorbereitet, das heißt sie ist von einem netzartigen mobilen Zaun (Schafnetz) eingefasst. Nur eine Seite ist offen und da geht es rein. Die Tiere kommen schnell zur Ruhe und beginnen zu fressen. Man kann auch sagen, sie nehmen ihre Arbeit auf. Denn sie sind nämlich Landschaftspfleger und ihr Chef ist der Herr Stürz. Der schließt erst mal die Lücke im Zaun, damit niemand auf Abwege gerät und alle sich auf die Arbeit konzentrieren kann. Und dann nimmt er sich etwas Zeit für uns.

Chemielaborant bei Röhm in Darmstadt – das war Reiner Stürz in einem anderen Leben, bevor er vor vielen Jahren entschied, Schafhirte oder besser Landschaftspfleger zu werden. Tatsächlich ist das heute sein „Kerngeschäft“ und nicht etwa die Fleischproduktion oder das Geschäft mit der Wolle.

Seine rund fünfhundert Schafe beweiden im Auftrag von Gemeinden oder dem Landkreis im Rahmen von Naturschutzmaßnahmen definierte Flächen. So sollen wertvolle Flächen erhalten bleiben und die Artenvielfalt wieder gesteigert werden. Auf ihren Wanderungen mähen die Tiere nämlich nicht nur den Rasen; sie tragen zum Beispiel auch dazu bei, dass seltene Pflanzenarten sich wieder besser verbreiten können.

Schafe bei Pfungstadt

Während Stürz erzählt ist er immer wieder durch einen neuen Hund abgelenkt. Der ist nämlich ein wenig auf Krawall gebürstet und betrachtet die Schafe wohl eher als Opfer, die er piesacken kann, denn als Herde, die er zusammenhalten soll. Dieser Hund und der Hirte werden wohl kein Dream-Team werden.

Doch zurück zum Thema. Natürlich werden auch Tiere geschlachtet und verwertet, aber eigentlich nur um eine organisch intakte Herde zu gewährleisten. Auf so etwas wie das Geschäft mit Osterlämmern, die im November auf die Welt kommen, ist Reiner Stürz nicht erpicht. Aus ethischen Gründen verkauft er auch nur ganze, aber handlich zerlegte Lämmer an Privatpersonen. Die Produktion von Wurst und Schinken übernimmt die Lammtheke Schwarz in Lampertheim. Und die Wolle, die einmal im Jahr nach der Schafschur anfällt, geht an die Lebensgemeinschaft e.V. in Schlitz oder wird zu Düngepellets verarbeitet.

Genügsam im Dienst der Sache ist auch der Lebensstil. Anna und Reiner leben in einem Bauwagen. Und der steht immer dort, wo er gebraucht wird – bei den Schafen.

Muss man wollen, denke ich, schalte die Kamera aus und freue mich auf ein kühles Bier in meiner Wohnung.

Schafe bei Pfungstadt

Fotografie: Thomas Hobein

 

Lest mehr über die Schafe:
Landschaftspflegehof Stürz (Folge 2) – Auf der belämmerten Weide
Landschaftspflegehof Stürz (Folge 3) – Voll in der Wolle

 

(Beim Schreiben u.a. gehört: „Born To Run“ von Bruce Springsteen)

 

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