Alles auf Anfang
Fast ein Jahr lang haben wir im Auerbacher Fürstenlager den Winzer Hanno Rothweiler bei der Neuanlage von zwei Rebflächen begleitet. Zeitweise waren wir mehrmals pro Woche vor Ort, um die Fortschritte zu beobachten, kennenzulernen und zu dokumentieren, manchmal einen ganzen Monat gar nicht. Jetzt ruht die Vegetation im Weinberg. Zeit, darüber zu berichten, was wir erlebt und gelernt haben.
Es ist der zweite Januar. Draußen schneit es. Und es ist so kalt, dass der Schnee sogar im Darmstädter Johannesviertel liegen bleibt. Von der Straße dringen diese schmatzenden Geräusche hoch an meine Fenster, die von Autoreifen verursacht werden, wenn sie den matschigen Schnee auf der Fahrbahn verdrängen. Ich sitze im Warmen und betrachte die Bilder, die im Laufe des letzten Jahres im Fürstenlager entstanden sind, erinnere mich, ordne die Aufzeichnungen, korrigiere, ergänze, fasse zusammen und beginne zu schreiben.
Es geht los, lange bevor es losgeht
Anfang März und es ist saukalt. Ein eisiger Wind fegt über die kahlen Rebstöcke und beißt uns in die Ohren. Aber schon blühen die ersten Mandelbäume und zeigen, dass der Frühling den Kampf gegen den Winter bereits aufgenommen hat. Nur wenige hartgesottene Wanderer begegnen uns. Eine Frau sammelt emsig wilden Feldsalat zwischen den Rebstöcken. Sonst sind wir allein im Fürstenlager.
Hanno Rothweiler zeigt uns eine hoch über Auerbach gelegene Brache, eingerahmt zwischen Ehrenfelser und Dornfelder. Hier will er Auxerrois anbauen und dazu muss der Wingert neu angelegt werden. Diese Neuanlage, genau wie die tiefer gelegene Steillage für einen Syrah, werden wir in den nächsten Monaten so einige Male hoch und runter laufen. Das wissen wir im Moment aber noch nicht und sind einfach nur gespannt, wie so ein Wingert entsteht.
Und während wir da so stehen und frieren, fragen wir, wie der Winzer entschieden hat, welche Sorte, er an welcher Stelle pflanzt. Schließlich sollen die Rebstöcke ja über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, beste Qualität liefern. Aber die Antwort kommt prompt. Obwohl beide Fläche nicht einmal fünfhundert Meter von einander getrennt liegen, unterscheiden sie sich deutlich in ihrer Bodenbeschaffenheit. Die obere Fläche eignet sich durch einen leichteren Boden besser für den aromatischen Auxerrois, der darauf eine fruchtigere Note entwickelt. Der Syrah dagegen liebt den steinigen Boden des unteren Wingerts, der ihn mit ausreichender Feuchtigkeit versorgt.
Mehr gibt es an diesem Tag nicht zu sehen und zu lernen. Wir tauchen ins Auto ab, lassen den kalten Wind hinter uns und wissen: Dieses Projekt wird mit weinseliger Winzerromantik so rein gar nichts zu tun haben.
Der Boden wird bereitet
Es ist Ende März. Drei Wochen sind vergangen seit wir im Fürstenlager waren. Es ist deutlich wärmer, aber auch nicht gerade warm. Der Rebschnitt im gesamten Weinberg ist längst geschehen; die jungen Fruchtruten sind auf eine gleichmäßige Höhe gebogen und mit Draht fixiert. Um uns herum ist alles so aufgeräumt wie der Spind eines Rekruten beim Stubendurchgang. Nur unsere beiden noch brach liegenden Flächen durchbrechen diese Ordnung. Aber das soll sich jetzt ändern. Die Arbeiten beginnen.
Hanno stellt uns Reinhard vor. Der ist für die meisten Arbeiten im Weinberg verantwortlich. Und verantwortlich meint, er macht sie. Nicht alle und nicht immer allein, aber er macht sie.
Gemeinsam warten wir dann auf den Mann mit dem Bagger, der auch bald auftaucht und dann auf der steilen Fläche unter Anleitung von Reinhard nervös über den steinigen Boden wuselt und baggert, was das Zeug hält. Und so wird in etwa einer Stunde der tiefergelegene Wingert nivelliert und die zu bepflanzende Fläche definiert. Sie soll in sich nicht verdreht, sondern möglichst eben sein. Das ist nötig, um den Weinberg später maschinell bepflanzen und bearbeiten zu können.
Der weiter oben liegende Wingert für den Auxerrois, ist wesentlich ausgeglichener und die kleinen Unebenheiten wird der Pflug zu einem späteren Zeitpunkt ausgleichen. Also zuckelt der Bagger nach getaner Arbeit den Berg herunter und wir zuckeln mit.
Erstmal locker machen
Drei Tage später sind wir wieder da. Ein mehr als beeindruckender Traktor der Marke Fendt mit mächtigen Pflugscharen hintendran erwartet uns bereits. Er soll den Boden auflockern und wenden, eben pflügen. Das ist nötig, denn schließlich wurde vor der Rodung der alten Rebstöcke der obere Wingert über einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren mit Treckern bearbeitet und so der Boden immer stärker verdichtet. In die aufgelockerte Ackerkrume lassen sich dann später die Stickel – die Weinbergspfähle – leichter in den Boden einschlagen und die Pflanzen können besser wurzeln.
Es geht los. Unaufhaltsam bahnt sich der Traktor immer wieder seinen Weg. Der Pflug dringt dabei etwa achtzig Zentimeter tief in den Boden ein. Dies geschieht von oben nach unten, immer den Hang abwärts fahrend. Der Trecker fährt also immer wieder ohne zu pflügen nach oben, um dann von dort eine neue Furche zu ziehen. Wichtig dabei ist, immer parallel in die gleiche Richtung zu pflügen.
Das alles ist laut, brachial und geht ratzfatz. Wenn man bedenkt, dass das früher von Mensch und Tier in qualvoller, tagelanger Arbeit erledigt wurde, kann man für die Segnungen moderner Technik schon dankbar sein. Wir jedenfalls sind es. Und die Böden sind jetzt bereit für die Pflanzung.
Mathematikstunde im Weinberg
Mitte April ist es soweit. Die Rebstöcke sollen gepflanzt werden. Doch zuerst machen die Wetterkapriolen uns einen Strich durch die Rechnung. Starker Regen macht die Böden rutschig und der Spezialtraktor kann dann in der Steillage nicht eingesetzt werden.
Maschinelle Rebpflanzung ist inzwischen Standard geworden. Dabei werden Traktor und Pflanzmaschine GPS-gesteuert – lediglich an schwer zugänglichen Stellen wird weiterhin von Hand gepflanzt. Dazu werden zwei Positionen (erste und letzte Setzstelle der äußersten Reihe eines Wingerts) mit jeweils einem Eisenstab definiert. An diesen beiden Punkten richtet sich das GPS dann aus und lenkt den Traktor dann entsprechend des eingegebenen Reihenabstands.
Die Mannschaft einer solchen „Setzmaschine“ besteht aus einem Fahrer – trotz GPS – und zwei Setzern, die hinten auf der Pflanzvorrichtung sitzen und die Maschine mit den „veredelten, wurzelnackten Reben“ (das wird irgendwann eine ganz andere Geschichte) füttern. In flachem Gelände schaffen es diese „Halbautomaten“, in der Stunde bis zu achthundert Reben in die Erde zu pfropfen.
Doch zurück ins Fürstenlager. Schließlich klappt es doch noch. An einem Aprilmorgen wie aus dem Bilderbuch stehen wir wieder an unseren Dauerarbeitsplätzen. Und wie immer wetze ich, bewaffnet mit einer Kamera, Wingert auf und ab hinter einem Traktor her, um Bilder zu schießen.
Gepflanzt wird ausschließlich in Fahrtrichtung. So entstehen schnurgerade, gleichmäßige Spuren aus Reben mit einer Setztiefe von rund zwanzig Zentimetern und einem Zwischenraum von einem Meter oder einem Meter zwanzig von Rebe zu Rebe. Ein exaktes Arbeiten ist unabdingbar. Insbesondere die genau festgelegten Abstände zwischen den Reihen sind wichtig, um die maschinelle Bearbeitung des Wingerts zu ermöglichen.
Dann sind Auxerrois und Syrah gepflanzt und vom Schnee vor meinem Fenster ist nur wenig geblieben oder er hat sich in eine schmutzig graue Pampe verwandelt. Schluss für heute.
Nächste Woche geht in Folge Zwei weiter mit der Drahtrahmengestaltung und reiner Handarbeit.
Fotografiert hat Thomas Hobein mit diversen Kameras u.a. mit der von Dirk Hoppmann/Freisicht.
(Beim Schreiben gehört: das Album „Devils & Dust” von Bruce Springsteen)