Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Das Jahr im Wingert

Folge 1: Von Januar bis März

Klar, Wein wächst auch von ganz allein – ist ja schließlich eine ziemlich natürliche Sache. Aber ob uns das Ergebnis dann schmeckt, eine ganz andere. Wir werden versuchen, den Auerbacher Winzer Hanno Rothweiler und seine Helfer/innen ein Jahr lang bei der Arbeit im Weinberg zu begleiten – denn hier wird die Grundlage für die spätere Qualität geschaffen.

Der eiskalte Wind beißt uns ins Gesicht, kriecht sofort unter die Jacke und macht sich dort unangenehm und dauerhaft breit. Wir haben Hanno in Auerbach abgeholt und sind hinauf in den Auerbacher Fürstengrund gefahren – eine Weinlage, die etwa zwischen Auerbacher Schloss im Norden und Kirchberg im Süden liegt. Jetzt stehen wir knapp unter der bewaldeten Bergspitze und sehen nach Westen hinunter auf Bensheim. Hier kann man wirklich von Steillagen sprechen, teilweise mit einundvierzig Prozent Steigung oder Gefälle – je nachdem von wo man es betrachtet.

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Wir gehen noch einige Meter bergauf, vorbei an blühenden Mandelbäumen und kahlen Rebstöcken. Jahreszeit und Wetter sorgen dafür, dass wir fast allein auf weiter Flur sind. Nur eine Handvoll Wanderer ist unterwegs und eine Frau sammelt wilden Feldsalat zwischen den Rebstöcken.

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Hanno Rothweiler zeigt uns eine Brache, eingerahmt zwischen Ehrenfelser und Dornfelder. Hier wird er Auxxerois anbauen und dazu muss der Wingert neu angelegt werden. Auch die Neuanlage werden wir chronologisch dokumentieren – über die nächsten vier Jahre, denn so lange wird es wohl dauern bis der Winzer die ersten Erträge erzielen wird. Wir sind gespannt, wie so ein Wingert entsteht.

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Doch jetzt zur gegenwärtigen Arbeit im Weinberg – zur Reb-Erziehung am Anfang des Jahres. Die Helferinnen des Weingutes Rothweiler arbeiten heute sozusagen als Erziehungsbeauftragte und sind damit beschäftigt, die Reben im Drahtrahmen der Reihen zu biegen und zu binden. Der erste Schritt der Reb-Erziehung, der Beschnitt, liegt schon einige Zeit zurück. Beginnen wir von vorn.

 

Der Rebschnitt

Für den Winzer beginnt das Jahr im Weinberg mit dem Rebschnitt. Im Januar und Februar, also bevor im Frühjahr die Wachstumsperiode einsetzt (der sogenannte Austrieb) bestimmt er die Anzahl der Fruchtruten pro Rebstock. In der Regel lässt er nur eine, manchmal zwei Ruten stehen. So stellt der Winzer jetzt schon sicher, dass die durch die Wurzel aufgenommene Energie sich auf einen Trieb konzentriert und nicht in der wahllos wuchernden Pflanze verteilt wird. Anders ausgedrückt: Er reduziert auf diese Weise die Anzahl der Trauben pro Rebstock und steigert so deutlich die Qualität der verbleibenden Trauben.

Die Entscheidung welche Rute am vielversprechendsten ist und stehenbleibt, setzt sich von Rebstock zu Rebstock fort. Zwar spielen der Boden, das Klima und die Rebsorte beim Beschnitt eine Rolle, aber eine pauschale Betrachtungsweise für den gesamten Wingert gibt es nicht. Wissen und Erfahrung des Winzers sind hier genauso gefragt, wie seine Intuition. Und alles ist Handarbeit, die sich oft über einen langen Zeitraum hinzieht.

Beim Beschnitt werden zwar auch ältere Teile der Rebe korrigiert, aber in erster Linie wird das einjährige Holz entfernt (also die Triebe, die seit dem letzten Rebschnitt gewachsen sind). Denn nur hier können Trauben wachsen und nur hier entscheidet sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen natürlichem Wachstum und gewünschtem Ertragsergebnis.

In der ersten Phase des Beschnitts setzt der Winzer mit seiner Schere die Schnitte, das abgetrennte Holz bleibt aber noch im Drahtrahmen der Rebreihe hängen. Es wird später „ausgebrochen“, sprich aus den Drähten herausgedrückt und aus dem Wingert entfernt. Für mich ist das Ausbrechen der anstrengendste Teil der Arbeit im Weinberg. Echte Knochenarbeit, nach der du am Abend weißt, was du getan hast und so manchen Peitschenhieb der Ruten im Gesicht verspürt hast.

 

Biegen und Binden

Im März und April beginnt an den Schnittwunden der Reben Saft auszutreten, die Reben beginnen zu „bluten“. Das ist der Zeitpunkt für den Winzer, die Fruchtruten in die gewünschte Richtung zu biegen und an einen horizontal verlaufenden Draht des Rahmensystems zu binden. Früher hat man dazu biegsame Weidenruten genutzt. Deshalb stehen vereinzelt immer noch Kopfweiden in den Weinbergen. Heute befestigt man die Fruchtruten mit kurzen ummantelten Drähten oder ähnlichen Materialien.

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Das Biegen und Binden bringt jede Rebe und den gesamten Wingert in Form. In welcher Höhe und in welche Richtung gebogen und gebunden wird ist von vielen Faktoren abhängig – wie beispielweise Klima, Himmelsrichtung und Rebsorte.

Beim Herunterbiegen der Ruten müssen der Winzer und seine Helfer ein gutes Gespür dafür entwickeln, gerade so viel Druck auszuüben, dass sie nicht brechen. Deshalb ist eine feuchte Witterung oder gar Regen für diesen Arbeitsgang vorteilhaft, denn nass ist das Holz der Rebstöcke einfach flexibler.

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So, nach getaner Arbeit ist es Zeit für einen Schoppen und die Erkenntnis, dass körperliche Arbeit bei Wind und Wetter im Weinberg so rein gar nichts mit Winzerromantik zu tun hat. Aber daran führt nun mal kein Weg vorbei. Jedenfalls, wenn der Wein gut werden soll.

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Fotografie und Bildbearbeitung: Thomas Hobein

(Beim Schreiben gehört: „Everything That Happens Will Happen Today“ von Brian Eno & David Byrne)

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Weiteres über Hanno Rothweiler in unserem Blog findet Ihr hier:
„Bodenständig“ bedeutet nicht stehen zu bleiben“
„Das wirklich beste Netz“

 

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