Die spinnen, die Darmstädter!
Tock. Tock. Tock. Ein bekannter beleibter Comicheld mit blau-weiß gestreifter Hose und roten Zöpfen würde sich hörbar mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen, wenn er sehen würde, was da so geht in Darmstadt. Da werden Klimainseln angelegt, ein Autotunnel soll innen vertikal begrünt werden ein, 16.000 Bäume gepflanzt werden und vieles mehr – alles für eine bessere Welt, alles für die Menschen, die in ihr leben, aber wahrscheinlich nix für die spießigen, kleinlich denkenden Gallier in uns allen. Oder etwa doch?
Im Juni 2016 haben wir bereits über die Gründung der Initiative Essbares Darmstadt berichtet. Danach haben wir in der Klimainsel Klause „typisch Heinerisches“ gekocht und im „Labsal“ in Michelstadt gemeinsam einen Kochkurs genossen. Und überhaupt … wir sind immer in Kontakt geblieben, haben uns ausgetauscht und ich wollte euch längst mal wieder etwas über die Projekte des engagierten Teams erzählen.
Jetzt haben wir Anfang 2019 und es gibt einen guten Grund etwas zu diesem Thema zu posten: Die Aktivisten der Initiative Essbares Darmstadt haben nämlich eine umfangreiche Broschüre in Form eines PDF online gestellt, die ihre gesamten Projekte vorstellt – die bereits realisierten, die in der Umsetzung befindlichen, die geplanten und solche, die noch im Stadium einer Idee oder eines Entwurfs auf den richtigen Moment warten. Auf den Moment eben, in dem Visionen zu Realität werden.
Was tobt seit vielen Jahren schon? Ne schaurig-schöne Invasion!
So ähnlich intonierte einst der rotbärtige und rothaarige Sänger der Rodgau Monotones (inzwischen wahrscheinlich grau). Und genau das tobt hier – eine sanfte, aber kraftvolle Revolution. Angezettelt nicht von Wutbürgern, sondern von Mutbürgern, die nicht auf die da oben schimpfen oder warten. Sie übernehmen Verantwortung – mischen sich ein, mischen mit, gehen voran. Sie machen öffentlichen Raum zu nachhaltigen Nutzflächen, nützlich in ökologischer wie in sozialer Hinsicht, lecker und lustvoll erlebbar. So bringen sie Brachen zum Blühen, schaffen aus Unorten Treffpunkte, formen aus Sinnlosem Sinnvolles. Und die da oben – ihr Demokratiemüden da draußen – machen mit. Nehmen Vorschläge an und freuen sich über unbürokratische Denk- und Vorgehensweisen, die einem Politiker aufgrund der Verwaltungsstrukturen oft gar nicht möglich zu gehen sind.
Dabei ist der Gedanke, öffentlichen Raum für die Allgemeinheit zu nutzen nicht neu. Bereits im frühen Mittelalter gab es nahezu in jeder Siedlung eine so genannte Allmende. Dieser Begriff bezeichnet Flächen, die von allen Anwohnern zum Wohl aller oder auch Einzelner genutzt werden konnte. Das konnten beispielsweise Felder, Wälder oder Gewässer sein. Die Art der Nutzung war regional sehr unterschiedlich geregelt, aber geregelt musste sie sein. Denn sonst wurden und werden frei verfügbare Flächen oder Ressourcen nicht entsprechend ihrer Möglichkeiten genutzt oder sogar überbeansprucht. Ein Beispiel dafür ist die gnadenlose Überfischung der Bäche und Flüsse im Mittelalter. Die waren Allgemeingut und da das Wild in den Wäldern dem Adel zustand, hielt sich das Volk an die kostenlosen Fische aus den Gewässern und fing was ging.
Betrachtet man so etwas wie die Allmende als rechtsfreien oder belanglosen Raum ist sie überflüssig. Oder sie wird zu einem Kreisverkehr mit innenliegender Blumeninsel im Rahmen solch merkwürdiger Aktionen wie „Unser Dorf soll schöner werden“, die ganze Ortschaften in Folge geistloser Gartenzwergmentalität ihrer Einzigartigkeit beraubt. Sieht man den öffentlichen Raum aber als Herausforderung, Zukunft aktiv zu gestalten – Mensch da geht was.
… ich mache mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt. …
Sie kommt aus Schweden, hat dicke rote Zöpfe, trägt geringelte Kniestrümpfe und ist genau so bunt wie die Initiative Essbares Darmstadt. In ihrem Lied formuliert sie mit ihren Worten den Anspruch ans Leben, der meines Erachtens auch die Aktivisten in Darmstadt antreibt. Auf deren Website heißt es jedoch ein wenig anders: Eine bessere Welt ist pflanzbar.
Damit haben sie 2016 an vielen Plätzen in Darmstadt begonnen. In ihnen lebt aber die alte Idee der Allmende nicht einfach weiter oder wieder auf, sie haben diesen Gedanken in einen zeitgemäßen Kontext gebracht, stellen sich mit jedem Projekt ökologischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen und gehen das Ganze dann mit einem ausgesprochen lustvollen Blick in die Zukunft an. Das schaffen sie, denn sie müssen nicht, sie wollen. Bitte mehr davon.
So, mein Dank geht an die drei Rotschöpfe für die unfreiwillig kreativen Beiträge zu diesem Text und natürlich an das Kernteam der Initiative Essbares Darmstadt sowie an alle, die in den einzelnen Projekten kräftig mitdenken und anpacken. Und an euch ihr Leser/innen, weil ihr bis jetzt durchgehalten habt: Aber jetzt ladet endlich die verdammte Broschüre runter, lest sie, staunt und versteht, wovon ich geredet habe. Bis dann.
Die Bilder stammen dieses Mal allesamt von der Initiative Essbares Darmstadt.
(Beim Schreiben mal wieder gehört: What a Wonderful World – aber von Alison Mosshart & The Forest Rangers aus der Fernsehserie „Sons of Anarchy“)