Einer von hier
Seit 2005 arbeitet Patrick Hofmann in der Molkerei Hüttenthal und trotzdem ist er jetzt der Neue – der neue Betriebsleiter der Molkerei. Wir haben uns mit ihm mal auf einen Humpen Buttermilch getroffen.
Über das Wetter kann man heute echt nicht meckern. Es ist ein wirklich schöner Frühlingstag in Mossautal. Wir sitzen mit Patrick Hofmann draußen vor der Molkerei im Milchgärtchen, der von immer mehr Menschen als Picknick-Platz oder Ausflugsziel genutzt wird. Selbst heute an einem Werktag ist der Platz nicht ganz leer.
Wir kneifen wegen der Sonne die Augen zu und unterhalten uns. Ich muss mir gelegentlich den Buttermilchbart abwischen, damit der Mann unsere Fragen auch ernst nimmt. Hinter unserem Gesprächspartner bietet eine einsame Gans am Teich sein Showprogramm, wird aber durch uns ignoriert, was wiederum vom ihr(oder ihm) ignoriert wird. Patrick dreht sich um, blickt über den geschäftigen Vogel hinweg und deutet auf das Café Marbachtal, sein Elternhaus. Das liegt nur rund zweihundert Meter von der Molkerei entfernt. Wie gesagt, er ist einer von hier.
Er erzählt, dass er als Kind auf dem Gelände vor der Molkerei gespielt hat, aber damals zu keiner Zeit im Sinn hatte, hier einmal zu arbeiten. Auch später als eine Berufswahl anstand, hat er sich zuerst einiges anderes angesehen. Jetzt ist er der Vorgesetzte von achtzehn Mitarbeitern. Jetzt sitzt er vor uns. Und beantwortet unsere Fragen offen und eloquent.
„Damit hat keiner gerechnet, weil man den Beruf hier eigentlich nicht kennt“
Anfang Mai 2018 reichte der langjährige Betriebsleiter Helmut Schwöbel nach über dreißig Jahren den Stab an Patrick Hofmann weiter. Das Besondere dabei ist, dass der langjährige Betriebsleiter seinen Nachfolger selbst ausgebildet hat und auch frühzeitig in ihm das Potenzial für die Nachfolge gesehen hat.
2005 begann Patrick Hofmann hier in der Molkerei Hüttenthal seine Ausbildung zum Molkereifachmann (inzwischen nennt sich das Milchtechnologe). Ein entscheidender Faktor, sich für diesen Beruf zu entscheiden, war auch die Ausbildungsvergütung, streut er ein. Dann erzählt er von seiner „Lehre“. Die Ausbildung dauerte drei Jahre, davon verbrachte er sechzig Wochen an der staatlichen Fachschule für Milch- und Molkereiwirtschaft in Wangen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen aus Großbetrieben zeigte sich, dass die Tätigkeit in „der kleinen Molkerei“ wesentlich vielfältiger und abwechslungsreicher war. Er arbeitete überall dort, wo er gebraucht wurde und nicht nur – wie die Azubis aus den riesigen Industriemolkereien – in einer Funktion spezialisiert.
Zu unserer Verwunderung sagt er, dass er das Berichtsheft gerne führte. Wir können das aus unseren Ausbildungen nicht unbedingt bestätigen, aber wir sind ja auch keine Milchtechnologen. Am liebsten schrieb er Berichte über seine Erfahrungen mit den Anlagen im Betrieb und der Schule, fährt er dann fort. Wir schreiben mit.
Den Abschluss der Ausbildung bildete die Gesellenprüfung – so wie in vielen Berufen üblich.
Uns interessiert natürlich auch, was Familie und Freunde über seine Berufswahl dachten. Seine Antwort lautet, dass damit wohl niemand gerechnet hat. Das würde aber auch daran liegen, dass nur wenig Wissen über Molkereien und die damit verbundene Arbeit existiert. Aber alle waren sehr neugierig und haben interessiert nachgefragt. Er selbst fragt sich auch heute noch oft: „Was wäre, wenn ich zum Beispiel in Erbach gewohnt hätte und die Molkerei nicht gekannt hätte? Wäre ich dann auf die Idee gekommen, mich in einer Molkerei zu bewerben?“
„Du musst schon hundert Prozent geben“
Auch während und nach der Ausbildung hätte er nie gedacht, dass er mal die Betriebsleitung der Firma übernehmen könnte, in der er gerade lernt, erinnert er sich. Es gab einfach den Produktionsplan, der abgearbeitet wurde und das hat ihm einfach immer Spaß gemacht. Deshalb hat er auch immer einhundert Prozent gegeben, sagt er und ergänzt, dass er dabei aber auf keinen Fall selbstverliebt klingen will.
Daraus entstand schließlich dann auch der Wunsch, die Meisterprüfung abzulegen. Chef und Chefin waren nicht abgeneigt und haben ihn entsprechend unterstützt – durch entsprechende Urlaubsregelungen, die Garantie auf einen Arbeitsplatz als Meister und sogar durch finanzielle Zuschüsse. Er glaubt, dass Familie Kohlhage, die Inhaber der Molkerei, gemerkt haben, was sie an ihm als Arbeitskraft und Mitarbeiter haben. Das formuliert er selbstbewusst, aber in keinem Fall angeberisch. Eben so, wie das einem Teamleiter zukommt, denke ich.
Um den Meistertitel zu erlangen, führte ihn sein Weg abermals nach Wangen, wo er 2015 den Lehrgang erfolgreich beendete. Diesmal waren neben den fachlichen Aspekten auch ergänzende Themen wie Buchhaltung und der Ausbilderschein Inhalte des Kurses. Ergänzend zum Meisterkurs hat er den Kurs „Vom Kollegen zum Vorgesetzten“ absolviert. Sicherlich kein Fehler wenn man „vom Lehrling zum Betriebsleiter“ in einem Betrieb avanciert, indem sich alle duzen.
Zurück in Hüttenthal hat er schnell gemerkt, dass er das jetzt Erlernte gut gebrauchen kann. Die Vielseitigkeit des Betriebs fordert sein Wissen um die Produktion von Sauerermilchprodukten, Joghurt oder Quark, die Herstellung von Käse, Butter und die Verarbeitung von Trinkmilch. In Großbetrieben arbeitet man meistens an nur einem Produkt und da ist der Rest schnell wieder vergessen, weil nicht gebraucht.
Und dann … irgendwann wurde dann in der Molkerei der Renteneintritt des Altmeisters thematisiert. Patrick wurde in die Zukunftsplanung eingebunden. Jetzt sitzen wir hier, er freut sich auf seinen ersten Auszubildenden aus Mossautal, der im August an den Start geht. Und sein Resümee nach dreizehn Jahren lautet: „Das war bestimmt kein Fehler.“
„Und als kleines Hintergrundgeräusch ist immer das Radio an“
Patrick Hofmann, Jahrgang 1990, lebt und arbeitet in Mossautal-Hüttenthal und wuchs dort auch auf. Seit 2016 ist er mit seiner Frau Nathalie verheiratet. Seine Eltern betreiben dort das Café Marbachtal. Da arbeitet die ganze Familie mit, und auch er hilft, wenn er gebraucht wird – nach Feierabend in der Molkerei versteht sich.
Aber das reicht ihm irgendwie noch nicht. Er ist Wehrführer bei der Feuerwehr in Hüttenthal, engagiert sich dort auch in der Jugendarbeit, ist Sportschütze – bis vor einiger Zeit in der zweiten Bundesliga –, und fotografiert gerne und … und … und ich frage mich, wann der Mann denn schläft. Denn Langweile kommt da wohl nicht auf.
Ohne familiäre Unterstützung wäre das alles aber nicht möglich, sagt er. Und dass seine Frau ihm den nötigen Freiraum dazu gibt, findet er super. Aber die ist nicht auch nicht weniger aktiv. Neben ihrer Arbeit in der Verwaltung, arbeitet sie mehr im Café Marbachtal mit als er, reitet in der Freizeit und treibt Sport. Klar, dass deshalb die Zeit mit Frau Nathalie das wichtigste für ihn ist – mal lange auszuschlafen (da haben wir es ja) und gemeinsam etwas zu unternehmen.
Und auch klar, dass ihn hier nichts wegzieht. Er ist fest verortet in Hüttenthal und in der Molkerei. Dort genießt er ganz besonders das familiäre Klima. Man kennt jeden, denn viele sind aus dem Ort. Man trifft sich auch nach Feierabend und auf Festen, gibt mal einen aus, spricht über Privates und auch über total Privates. Das schätzt hier jeder.
So, die Buttermilch ist alle. Die Gans pennt. Ich schieße noch einige Portraits, Michael Frank unterhält sich währenddessen mit Molkerei-Chefin Britta Kohlhage. Dann ist es Zeit. Wir verabschieden uns, fahren nach Hause und denken darüber nach, warum fast alle in die Stadt wollen und doch einige bleiben. Einige, wie Patrick Hofmann aus Mossautal im Odenwald. Betriebsleiter der Molkerei Hüttenthal.
Konzept, Fotografie und Bildbearbeitung: Thomas Hobein
(Beim Schreiben u. a. gehört: das Album „Every Kinda People“, von Robert Palmer. Das wurde verdammt mal wieder Zeit)
Das Thema in Serie: The Next Generation
Die fortschreitende Industrialisierung und sicherlich auch die Digitalisierung unseres Lebens tragen dazu bei, dass traditionelle Handwerksberufe wie Bäcker, Konditor, Metzger und viele mehr vom Aussterben bedroht sind. Dazu kommt im Odenwald – wie in allen ländlichen Gebieten – die Flucht der jungen Leute in die verheißungsvolle Stadt mit der Aussicht auf „attraktive“ Jobs und abwechslungsreiche Freizeit. Die Folgen all dessen sind bereits deutlich zu sehen: durch eine überalterte Landbevölkerung, den Fachkräftemangel (gerade im Gastronomiesektor) oder durch Betriebe ohne Aussicht auf Fortführung, wenn die Betreiber in Rente gehen.
Dennoch gibt es Nachwuchskräfte, Quereinsteiger, Stadtflüchtlinge und Heimkehrer, die ihre Zukunft in Südhessen gestalten wollen. In dieser Serie stellen wir in loser Folge einige dieser Frauen und Männer vor, die traditionelle Berufe in der Region ausüben und somit ihren Teil leisten, hier ein gutes Stück Kultur und Lebensqualität zu erhalten, ein gutes Stück Heimat eben.