Vom deutschen Brote
Neben dem Klopapier boomte im pandemischen Frühling des Jahres 2020 noch der Hefewürfel zum heimischen Brotbacken. War das nun eine bekloppte Prepper-Attitüde oder doch die Rückbesinnung auf etwas tatsächlich Wertvolles für auf den Tisch? Denn das Deutsche Brot –klingt wie der Titel eines wiederentdeckten Kolportageromans von Karl May – ist UNESCO Weltkulturerbe. Verdient! Wegen seiner Sortenvielfalt und wegen seines Geschmacks.
Brote aus Hefeteig backe ich schon seit Jahren immer mal wieder. Jetzt habe ich gerade mein fünftes Sauerteig-Brot aus dem Ofen geholt. Keins war wie das andere. Aber ich bin ja auch kein Bäcker, sondern nur neugierig. Deshalb bleibt auch mein Rezept geheim; ich muss einfach noch ein wenig rumprobieren, bevor ich es auf die Menschheit loslasse. Doch eine regionale, gute Bezugsquelle für Mehl – ihr braucht bei den meisten Sauerteig-Broten mehrere Sorten – will ich gerne verraten. Das ist die Herrnmühle in Reichelsheim. Die hat auch einen Onlineshop mit vielen Mehlsorten.
Wie es um unser Weltkulturerbe steht
Wie gesagt, ich bin nur neugierig. Ich bereite mich nicht auf den Weltuntergang vor, noch will (kann) ich die deutsche Brotkultur retten. Doch genau das hat sie bitter nötig.
Bakerman is baking bread, sangen einst die THC vernebelten Burschen von Laid Back, der Bäcker backt Brot. Aber das tut er in Deutschland immer seltener. Denn seit Jahren gilt die Faustformel, dass täglich eine Bäckerei schließen muss. Heute stehen den rund elftausend verbliebenen Handwerksbetrieben (55.000 Betriebe waren es in den Fünfziger Jahren) etwa zwanzigtausend Aufbackstationen und Back Shops gegenüber, die lediglich Industrieglibber gebacken kriegen.
Nur ein wenig Geschichte – versprochen
Prot. Dieses Wort stammt nicht etwa aus dem gern zitierten Leben des Brian von Monty Python (Chleudert den Purchen zu Poden), sondern aus dem Althochdeutschen und bedeutet soviel wie „Gegorenes“. Und aus dem Prot leitet sich eben das Wort Brot ab.
Dieses Prot konnten sich aber bis ins 12. bzw. 13. Jahrhundert nur gutbetuchte Zeitgenossen leisten, alle anderen bekamen Brei. Brei leitet sich übrigens nicht von Prei ab – erwischt, ne – sondern vom mittelhochdeutschen Brie, der nach heutigen Maßstäben sicherlich käse schmeckte. Erst mit dem Aufkommen der Städte und Zünfte entstand die hiesige Brotkultur und wurde auch für Hungrige mit weniger Geld mehr oder weniger erschwinglich.
Wir waren also eher spät dran, denn bereits seit der Jungsteinzeit, also vor rund 11.000 Jahren knabberten die Menschen an Vorformen des heutigen Brotes herum, gebacken aus Einkorn oder Emmer. Das sind Urformen des Getreides, die in der bereits erwähnten Herrnmühle als „Nibelungenkorn“ angebaut und verarbeitet werden. Aus Emmer entsteht auch der Dieburger Getreidebrand „deicht“, aber das ist eine andere Geschichte.
Vor etwa 6.000 Jahren verfeinerten die Ägypter dann die Angelegenheit und brachten es auf dreißig Brotsorten, die belegt sind, es aber nicht waren. Geraume Zeit später betrieben die Römer bereits Großbäckereien, brachten den Roggen ins Spiel und trugen ihr Brot über die Alpen nach Norden, wo sich regionale Varianten entwickelten – allein in Deutschland sind es heute rund 3.200 Sorten.
Ein Laib Brot und der Leib Jesu
Brot ist sicherlich eines der bedeutendsten christlichen Symbole. Die Bibel steckt voll, von diesem Lebensmittel. Ohne Brot geht da nix. Während des Abendmahls bringt sich Jesus mit dem Brot, das er bricht, in Verbindung. „Nehmt und esst, dies ist mein Leib.“ (Matthäus 26). So sorgt er für die leibliche wie geistige Nahrung seiner Jünger. Im „Vaterunser“wird das als Bitte ausgedrückt: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“
„Brot und Salz, Gott erhalt’s.“ Hinter diesem Satz steckt ein weitverbreiterter Brauch der bei unterschiedlichen Gelegenheiten die essenzielle Bedeutung dieser wertvollen Lebensmittel symbolisiert. Auf diese Weise werden Gäste und Neuankömmlinge in der Gemeinschaft Willkommen geheißen oder man gratuliert zum Einzug in eine neue Wohnung oder zu einer Heirat.
In einer Quelle finde ich noch, dass in Norddeutschland den Neugeborenen Brot und Salz in die Windel gelegt werden, als Willkommensgruß und zur Vertreibung des Bösen. Dazu kann ich als Niedersachse nur sagen: Wenn ich meiner Mutter glauben darf, hatte ich einige Male unwillkommen Böses in der Windel , aber niemals Brot und Salz.
Heute verpufft die tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Symbolik des Brotes. Es verkommt zur Massenware aus den Backshops einer übersättigten Gesellschaft. Zwar wird immer noch bei einem Einzug die Gabe „Brot und Salz“ gereicht, aber häufig eher als hohle Phrase. Ist uns die Wertschätzung abhanden gekommen, wie in Erich Kästners Gedicht einem Paar die Liebe?
Mehl, Wasser, Salz
Mehr braucht ein Sauerteigbrot nicht. Wird es aber industriell verarbeitet, müssen Zusatzstoffe rein und immer öfter auch genetisch veränderte Enzyme. Der reine Teig kann ohne Zusätze gar nicht über Förderbänder transportiert werden, denn er zerläuft wie der Blob und klebt wie Hulle. Jeder, der schon mal gebacken hat, weiß das. Farbe und Haltbarkeit der Backlinge werden durch Enzyme optimiert, die direkt aus der Hexenküche von Schneewittchens Stiefmutter stammen könnten.Doch bevor wir uns vollends auf die Industriebetriebe einschießen: Zusatzstoffe finden sich nicht nur in Brot aus Großbäckereien, sondern teilweise auch im Mehl, dass die Handwerksbetriebe verarbeiten. Und die Zutaten aus diesen „Backmischungen“ müssen dann auch nicht deklariert werden. Der Bäcker muss nur ausweisen, was er selbst noch reindengelt. All das kann auch Brote mit dem „Bio-Siegel“ betreffen.Mehl, Wasser, Salz. Mehr braucht ein Sauerteigbrot nicht. Und es gibt noch Bäcker, die das auch beherzigen. Es sind wenige. Sucht sie und unterstützt sie durch euren gesunden Genuss.
In Fürth-Steinbach backt Familie Fleischmann im „Rebstock“ seit Generationen ein kräftiges Roggenbrot nach alter Rezeptur und vor einiger Zeit habe ich im Odenwald in ein Rosinenbrötchen gebissen, dass mich wie ein Fluxgenerator auf Hefeteigbasis in die Geschmackswelt meiner Kindheit zurückgeschleudert hat. Aber so was von. Die Produzentinnen wollen leider nicht genannt werden und das respektiere ich natürlich.
Schlussbetrachtung
Abgesehen von Ausnahmen sieht es also gar nicht so gut aus mit der deutschen Brotkultur. Aber die Schuld nur den backenden Betrieben anzulasten ist zu kurz gegriffen. Die müssen Geld schließlich verdienen und produzieren, was gekauft wird.Das verhält sich wie mit dem viel diskutierten Fleisch. Niemand zwingt die Verbraucher permanent – sagen wir – Ungutes zu essen. Aber das Kaufverhalten gibt denen Recht, die sich vom Puren und Guten abwenden und charakterlose Massenware herstellen.
Fasst man all das zusammen, glaube ich nicht, dass der durch Corona ausgelöste Trend zum Selbstbacken irgendetwas mit der deutschen Brotkultur zu tun hat. Aber dennoch: Im Home-Office bahnt sich doch angesichts der wenig greifbaren Gefahr etwas den Weg nach außen, das wohl seit Jahrhunderten in uns verankert ist – die Bedeutung des Brotes für unser Leben.
Und vergessen wir nicht euch Bunker buddelnde Helden. Ihr wollt euch dem Deep-State und der Invasion der Echsenmenschen entgegenstellen. Und all den anderen, weil sie anders sind. Ihr bereitet euch tapfer vor, kauft Nudeln und Klopapier wie die Bekloppten und Hefe. Dabei wäre Sauerteig die langfristig bessere Preparation. Warum? Das müsst ihr selbst rauskriegen und lernen, liebe Hirnchen. Ihr werdet feststellen, das ist nämlich gar nicht so einfach. Schließlich ist Backen ein Handwerk und die deutsche Brotkultur UNESCO Weltkulturerbe. Verdient. Wegen seiner Sortenvielfalt und wegen seines Geschmacks. Gut, ich wiederhole mich. Aber das mit voller Absicht und größtem Appetit auf richtig gutes Brot.
Fotografie und Backwerk: Thomas Hobein
(Beim Aufschreiben gehört: „Hurt“, geschrieben von Trent Reznor (Five Inch Nails), aber dargeboten von Johnny Cash auf dem Album American Recordings IV)