Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Vom Rodensteiner

So einiges über einen Geist und die Kulinarik

Es ist die Geschichte eines Raufbolds aus dem Odenwald, der sich lieber irgendwo kloppte, als sich zuhause Vaterfreuden hinzugeben. Die Folgen waren ein Fluch, ein sehr zweifelhafter Ruhm und zwei offene Fragen: Was essen Geister eigentlich und wie viel Wein muss man trinken, um ein Dorf zu versaufen.

Ein Samstagnachmittag im Mai. Nach einem Termin im nördlichen Odenwald habe ich noch Zeit, treibe mich rum und strande schließlich an der Burgruine Rodenstein. Da Bewegung ja angeblich nicht schaden soll verlasse ich den Wagen und schlappe den Weg hoch zur Ruine. Ich schieße einige Fotos und krame aus meinem Gehirn rudimentäres Wissen rund um den Ort.

49° 44′ N, 8° 49′ O

Die Ruine einer Burg aus dem 13. Jahrhundert liegt nur wenige Kilometer südwestlich von Fränkisch-Crumbach. Als Mitte des siebzehnten Jahrhunderts das Geschlecht derer von Rodenstein erlosch blieb die Burg unbewohnt und diente lange Zeit als Steinbruch.
Bekannt wurde der Name Rodenstein deutschlandweit wohl durch die Sage von „Rodensteins Auszug“ (Nr. 170 in dem von den Brüdern Grimm herausgegebenen Buch „Deutsche Sagen“). Darin wird erzählt, dass einer der Ritter aus dem Adelsgeschlecht ein wahrhaftiger Wagehals gewesen sei. Und so tat er trotz der Bitten seiner hochschwangeren Frau, was ein Ritter tun muss. Er zog in einen dieser unzähligen namenlosen Kriege. Das verärgerte die Dame dermaßen, dass sie nach der Geburt eines toten Sohnes starb, während ihr Gatte sich irgendwo die Rüstung verbeulen ließ. Doch bevor sie ihr Leben aushauchte, verfluchte sie den angetrauten Raufbold dazu, zukünftig bei jedem drohenden Kriegsausbruch aus seinem Grab zu steigen, um die Menschen zu warnen. Dazu musste er fortan mit seinem Gefolge von der Burg Schnellerts bei Ober-Kainsbach zur Burg Rodenstein bei Fränkisch-Crumbach ziehen, wenn Gefahr im Verzug war. Und erst nach Friedensschluss durften er und sein Mannen auf die Burg Schnellerts zurückkehren.

Nun, bei der Menge an Kriegen, dürfte der Schnellertsgeist, wie der Rodensteiner auch genannt wird, im Laufe der Jahrhunderte so einige Kilometer gemacht haben. Zeugenaussagen von seinem Getöse gibt es genug – bis in die Zeit Napoleons. Danach wird’s dünne. Vielleicht war der Fluch ja zeitlich begrenzt und auf rein mitteleuropäische Konflikte ausgelegt. Wer weiß? Ich jedenfalls nicht. Ich bin ja kein Jurist. Und vielleicht ist an alldem ja nix dran und es ist nur Dumm-Gebabbel. Aber tun wir einfach mal so als ob.

 

Recherchen nach erfolgreicher Rückkehr

Zwar weiß ich viel, doch will ich alles wissen, heißt es bei Faust und auch bei Hobein in der Liebigstraße. Also schlage ich im Internet nach – und auch im Bücherregal was ich so zum Rodensteiner finden kann. Das Ergebnis ist unentschieden. Aber es ist vor allem mal von kulinarischem Belang, was für den Content dieser Website nicht ganz unerheblich ist. Im Buch „Hessische Sagen“ von J.W. Wolf (erschienen in 1833 in Leipzig, hier in Neuauflage) finde ich die Geschichte vom „Das wilde Heer in der Küche“ und im Internet treffe ich auf Josef Victor von Scheffels Gedichtsammlung „Gaudemus“, in der auch dem Rodensteiner ein Zyklus gewidmet ist. Beginnen wir in der Küche.

 

Das wilde Heer in der Küche

Die Küche der Hofreite, von der hier die Rede ist, soll in Brensbach gelegen haben und des Öfteren vom Rodensteiner und seinem Geisterheer aufgesucht worden sein – letztmalig im Jahre 1804, sagt man.

Überliefert ist folgende Begebenheit: Eines morgens verließ der Besitzer der Hofreite sein Bett, um sein Tagwerk zu vollrichten. Zu seiner Frau sagte er, sie solle ebenfalls aufstehen und ihm sein Frühstück bereiten, während im Stall die Pferde füttere. Auf dem Weg in den Stall stellte er verwundert fest, dass ein ordentliches Feuer im Herd angefacht war, dachte sich aber nichts weiter dabei. Als die Pferde versorgt waren kehrte er in ins Haus zurück und stellte fest, dass seine Frau immer noch im Bett lag. „Steh endlich auf,“ sagte er zu seiner Frau. „Jetzt hast du noch genug Feuer im Herd, um die Suppe zu kochen.“ Doch als die Bäuerin in die Küche kam, fand sie keine Funken Feuer im Herd.

Da wussten die Bauersleute, das wieder einmal das wilde Herr des Rodensteiners nachts in ihrer Küche gewirtschaftet hatte. Denn das kam gar nicht so selten vor, dass die Geisterbande während der Nacht in diese Küche einkehrten, ein Feuer für die Kessel schürten, kochten und dann aus den Schüsseln und Tellern ihr Geistermahl futterten. Seltsam? Aber so steht es geschrieben.

Doch was essen Geister eigentlich? Essen sie überhaupt? Und wie behalten sie es in ihrem entstofflichten Körper. Fällt das nicht einfach durch. Und wer wäscht hinterher das Geschirr ab? Gut, ich weiß, dass man in Irland abends ein Schälchen Milch auf die Fensterbank stellt, um die Feen zu besänftigen. Aber das sind Feen und keine Geister. In Asien kennt man dagegen Hungergeister sehr wohl und in einigen Religionen werden diese Geister auch mit Speisen versorgt. Aber im vorliegenden Fall kochen die Untoten im Odenwald ja selbst. Kurz: Aktenzeichen XY ungelöst.

 

Gersprenz in Heidelberg versoffen

Gersprenz soll der Rodensteiner mit seinen Mannen an einem einzigen Besuch in Heidelberg verzecht haben – ein ganzes Dorf. Zumindest behauptet das Josef Victor von Scheffel im ersten von sieben Gedichten aus seinem Zyklus „Die Lieder vom Rodenstein“, das sich in dem Buch „Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren“. Das Gedicht „Drei Dörfer“ (das sind Reichelsheim, Gersprenz und Paffen-Beerfurth – heute Teil von Beerfurth) beginnt und endet so:

Wer reit’t mit zwanzig Knappen ein
Zu Heidelberg im Hirschen?
Das ist der Herr von Rodenstein,
Auf Rheinwein will er pirschen.

(…………)

Man spricht vom vielen Trinken stets,
Doch nie vom vielen Durste.
Gersprenz ist hin!
Gersprenz ist fort!
Gersprenz der fromme, der züchtige Ort,
Gersprenz … ist … vertrunken.

Woher der badische Dichter, der auch solche deutschtümelnde Zeilen schrieb wie „Als die Römer frech geworden, zogen sie nach Deutschlands Norden …“ oder „Der Trompeter von Säckingen“ zum Besten gab, ist unbekannt, wurde aber damals vom Publikum höllisch abgefeiert – darunter auch von so populären Zeitgenossen wie Reichskanzler Bismarck.

 

Verfluchter Männerscheiß

 Der Herr von Rodenstein war also (und ist als Geist vielleicht noch immer) nicht oft zuhause und ein verflucht waghalsiger Raufbold mit großem Durst und Appetit – sozusagen der John Wayne von Fränkisch-Crumbach. Aber eins bleibt unklar: Über welchen Rodensteiner aus welcher Zeit reden wir hier eigentlich? Oder war gar die ganze Sippe über Generationen hinweg so wie der eine?

Ich jedenfalls mache mir jetzt ein Bier auf und überlege, welches Dorf ich versaufen würde. Wenn ich es weiß, lass ich’s euch wissen. Prost.

Wer eigene Schlüsse ziehen möchte, wird u.a. hier fündig

Bücher:

  • Brüder Grimm, Deutsche Sagen
  • J. W. Wolf, Hessische Sagen

Internet:

 

Fotografie:        Thomas Hobein

(Beim Recherchieren und Aufschreiben u.a. gehört: „Theme From Harry’s Game“ von Clannad)

 

 

 

 

 

 

 

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