Vom sinnvollen Landleben
In dem mittelalterlichen Roman Parzival geht es um Sinnsuche. Es geht um Individualität, aber auch um die Verantwortung und die Aufgaben des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft. Und nur wenige tausend Meter von der Burgruine Wildenburg entfernt, wo Wolfram von Eschenbach Teile des Parzival geschrieben haben soll, lebt und arbeitet Familie Schork auf ihrem bio-zertifiziertem Hof im bayrischen Odenwald ganz nach diesem Prinzip – sag ich mal.
Ich unterhalte mich mit Corinna Schork und Christian Weber. Sie sind sozusagen »The Next Generation« auf dem Waldbachhof und leben dort gemeinsam mit Corinnas Eltern. Das junge Paar hat sich für 2023 drei nachhaltige Ziele gesetzt. Im Juni wird geheiratet, der Bau der Ferienwohnungen auf dem Hof soll abgeschlossen sein und der Betrieb soll auf Hofschlachtung umgestellt werden. Aber eins nach dem anderen.
Auf dem Waldbachhof
Corinna ist hier inmitten von Tieren und Natur aufgewachsen und will auch nirgends anders sein. Ihr tiefes Verständnis für die Welt, die sie umgibt, hat sie durch das Studium der Agrarwissenschaften auf solide Beine gestellt. Und seit 2018 leitet sie gemeinsam mit ihrer Mutter Doris den landwirtschaftlichen Betrieb, der heute nach dem vorbeifließenden Waldbach benannt ist. Wirtschaftsingenieur Christian arbeitet 30 Stunden bei einem Maschinenbaubetrieb in der Nähe; den Rest seiner Zeit mischt er, wie auch noch Corinnas Vater Diethard, kräftig auf dem Hof mit.
Wir befinden uns übrigens in Watterbach, einem Ortsteil des Marktes Kirchzell, nahe Amorbach im östlichen Odenwald. Nicht einmal 200 Einwohner zählt das abgelegene Dorf, die von bewaldeten Bergen recht pittoresk eingefasst ist. Doch jeglicher Landlust-Romantik zum Trotz machen die kargen Böden und die hügelige Landschaftsstruktur einen ertragreichen Ackerbau nahezu unmöglich und die Landwirtschaft überhaupt zu einem eher mühseligen Geschäft. Außer man findet einen Weg abseits konventioneller Denkweisen – so wie Vater Diethard. Ihm schmeckte die Milchwirtschaft einfach nicht mehr. Deshalb stellte er, tatkräftig von seiner Frau Doris unterstützt, schon 1992 auf extensive Mutterkuhhaltung um. Die Bio-Zertifizierung folgte 5 Jahre später. So zeigte er schon früh, dass Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze sein müssen.
Artgerechte Mutterkuhhaltung
Eigentlich bringt das Biolandsiegel schon alles auf den Punkt. Doch sehen wir genauer hin. Im Mittelpunkt steht die artgerechte, naturnahe Haltung der Weiderinder. Auf dem Hof werden drei edle Fleischrassen gezüchtet, verkauft und bei einem Metzger auch zu Fleisch verarbeitet: Blonde d’Aquitaine, Limousin und Simmentaler-Fleckvieh.
Nach der Geburt verbleiben die Kälber bei der Mutter und die Milch kommt ausschließlich der Kälberaufzucht zu Gute – so wie die Natur das auch vorsieht. Die Mütter und ihr Nachwuchs leben im Herdenverband auf weitgehend naturbelassener Grünfläche (extensive Landnutzung). Auf dieser Fläche von etwa 90 Hektar wachsen Gräser und Kräuter, die dann auch zur eigenen Futtermittel-Erzeugung dienen. Alles bleibt ganz natürlich. Doping durch Kraftfutter bleibt hier den Tieren erspart.
Die Mutterkühe werden hier bis zu 18 Jahren alt, die Kälber leben 6 – 9 Monaten bei der Herde. Dann gehen diese sogenannten »Absetzer« zum Großteil an Mastbetriebe. Die verbleibenden, zumeist weiblichen Tiere, werden frühestens nach 2 Jahren geschlachtet und die geplante Hofschlachtung wird den Kühen den stressigen Transport zum Metzger ersparen. Die Rinder aus Watterbach haben also ein längeres und besseres Leben als viele ihrer Artgenossen.
Corinna und Christian sagen, die Leute sollten weniger Fleisch essen, dafür aber besseres. Und ihre Arbeit zeigt ganz deutlich, dass Tierwohl und höhere Fleischqualität dabei Hand in Hand gehen, aber einen höheren Preis erfordern. Deshalb bieten sie Genießern das Fleisch auch ausschließlich im Direktvertrieb über die Website zu den jeweiligen Schlachtterminen an. Und das durchaus mit Erfolg. Denn in der Regel sind bereits vor der Schlachtung 70 % – 80% des Angebotes verkauft.
Nachhaltigkeit als umfassendes Prinzip
Im Kern geht es hier um Rinder, aber auch drum herum wiehert, miaut, bellt und summt das pralle Landleben. Die Äpfel von den Streuobstwiesen werden zum hofeigenen naturtrüben Saft und Bienen sammeln Nektar für den Honig.
Auf etwa 35 Hektar betreibt die Familie PEFC-zertifizierte Forstwirtschaft. Diese Zertifizierung bestätigt die nachhaltige und verantwortungsbewusste Arbeitsweise. Weltweit sind nicht einmal zehn Prozent PEFC (oder FSC) mit diesem Siegel ausgezeichnet, also leistet Familie Schork auch hier Pioniergeist. Das bedeutet im Gegensatz zur konventionellen Waldwirtschaft, dass eine Vielzahl von ökologischen, ökonomischen und sozialen Standards erfüllt werden müssen. So wird hier nicht großflächig abgeholzt, sondern sehr selektiv mit Blick auf den Wald als Ökosyste. Und: Für jeden entnommenen Baum wird ein neuer gepflanzt.
Das geschlagene Holz wird zum größten Teil als Bau- und Industrieholz verkauft. Der Rest, der für diese Verwendungen nicht geeignet ist, wird zu Hackschnitzeln verarbeitet. Und wandert auf diese Weise in die hofeigene Holzvergasungsanlage, in der mittels Kraft-Wärme-Kopplung sowohl Strom als auch Wärme mit hohem Wirkungsgrad erzeugt werden. Allein mit der Abwärme der Anlage werden das Wohnhaus und umliegende Häuser geheizt sowie die »frischen Hackschnitzel« getrocknet.
Hier kommt also nix weg – nicht einmal das Sonnenlicht. Denn drei Aufdach-Photovoltaikanlagen ergänzen die Holzvergasungsanlage und machen den Waldbachhof zu einem kleinen Kraftwerk, das den Jahresstrombedarf von rund 150 Haushalten mit vier Personen deckt.
Darüber hinaus ist es einer Agrarwissenschaftlerin wie Corinna natürlich ein großes Bedürfnis, den Städtern das wahrhaft nachhaltige Leben auf dem Land näher zu bringen. Deshalb entstehen hier drei Ferienwohnungen und über »StayBetter« kann der Platz für ein Wohnmobil gebucht werden.
In Kirchzell-Watterbach kommst du nicht einfach so vorbei, aber vielleicht hast du ja Lust Sinnvolles zu entdecken. Hier im bayrischen Odenwald. Auf dem Waldbachhof. Wo Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze sind.
Fotografie: Petra Arnold /My Odenwald
(Beim Schreiben des Artikels habe ich nicht etwas »Wagners Parsifal« gehört, sondern u.a. »Tinman« von »Amerika«)
Dieser Beitrag entstand für die Ausgabe No.5 des Magazins My Odenwald ohne inhaltliche Vorgaben. Die Veröffentlichung dieser »extended Version« des Artikel erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Petra Arnold /My Odenwald.