Zu Gast im Labsal
Gemeinsam zu kochen und zu essen ist tief im Menschsein verwurzelt. Ein sozialer Akt, der viel älter ist als das Wort sozial. Deshalb werden Kochkurse ja heute gern als Team bildende Maßnahme veranstaltet. Bereits gebildete Teams können das jedoch auch einfach aus purem Vergnügen tun. So wie wir es mit einer Gruppe engagierter Menschen aus Darmstadt in Chris Keylocks Labsal getan haben.
L’azzurro über Michelstadt. Endlich Frühling im Odenwald denke ich, als ich das Rathaus passiere. Erste Touristengrüppchen okkupieren das Pflaster und wundern sich darüber, dass selbst hier Autos auf der Straße fahren. Ich bin entsprechend vorsichtig, schließlich will ich nicht Tante Gerda aus Castrop-Rauxel über ihren eigenen Haufen fahren. Das kann ich auch vermeiden und finde etwa einhundert Meter weiter eine Parklücke in der Braunstraße. Es ist ein Freitagnachmittag im April, 17:30 Uhr genau gesagt, und mein inneres Navigationsgerät sagt: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Ich stimme mir zu. Gegenüber liegt das Labsal. Da will ich hin.
Hochtourige Vorbereitungen
In der Küche und im Gastraum werkeln Gastgeber Chris Keylock und Renate – die überall helfende Hand – bereits konzentriert herum. Tische werden gerückt, die Deko bekommt ihren letzten Schliff. Brot wird zersäbelt, Butter bereit gestellt. Dann ist alles fertig. Die Gäste – oder besser Kursteilnehmer – können kommen. Und sie kommen. Pünktlich um 18:30 Uhr.
Das sind in diesem Fall acht Damen und Herren, die sich in der Initiative Essbares Darmstadt engagieren. Unsere Idee war, durch diesen Kochkurs die Vernetzung unserer Projekte locker unprogrammatisch zu vertiefen. Schließlich waren wir im letzten Jahr unter Führung von Küchenmeister Keylock ja auch in der Klause am Darmstädter Hauptbahnhof beteiligt, als ein typisch heinerisches Gericht gesucht wurde (Darmstädter sprechen von sich selbst als Heiner). Und das „Darmstädter Kräuter-Zickli auf Odenwälder Grünkern-Risotto“ wurde auch restlos verputzt und bestens bewertet.
Willkommen im Labsal
Hände werden geschüttelt, Gläser verteilt, Chris begrüßt seine Gäste. Dazu schenkt er Sekt oder Holi ein. Besonders Holi, die alkoholfreie Hopfen-Limo von Schmucker kommt als Willkommenstrunk gut an. Dann setzen sich die Darmstädter Aktivisten an den gemeinsamen Tisch und der Gastgeber erklärt den Ablauf des Abends. Dabei offenbart er auch das vegetarische Drei-Gänge-Menü.
FRÜHLINGSSALAT
RAVIOLI / RADIESCHEN / NUSSBUTTER
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KOHLRABI PICCATA
GNOCCHI / BÄRLAUCH / TOMATE
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QUARKSOUFFLÉ
BASILIKUM / LIMETTE / RHABARBER
Es werden drei Gruppen gebildet, pro Gang eine. Dann, nach etwas Brot, Butter und Kochkäs’ aus der Dose – so viel Zeit muss sein, geht es ans Werk.
Rund um den Küchenblock
Alle Speisen werden parallel zubereitet, damit nicht zu viel Zeit zwischen den einzelnen Gängen vergeht. Also entwickelt sich unter der Anleitung des Küchenmeisters in der weißen Kochjacke reges Treiben rund um den Küchenblock. Es wird geschnippelt, geschält, vermengt, gemixt, geknetet und geformt. Es wird angeschwitzt, gekocht und gefüllt.
Dann richtet die Arbeitsgemeinschaft Frühlingssalat die Vorspeise an. Im Salat werden auch die Mitbringsel aus Darmstadt verarbeitet. Das sind Löwenzahnblüten, Blätter und Blüten vom Gundermann sowie Zitronenmelisse – alles aus eigenem Anbau im Garten der Klause.
Letzter Arbeitsgang der Vorspeise ist es, die Ravioli in Nussbutter zu schwenken. Und beim Blick in die Gesichter wird mir klar, Nussbutter ist ein echter Lockstoff. Muss ich mir merken.
Dann setzen sich alle an den Tisch, füllen ihre Gläser und widmen sich lustvoll der selbst hergestellten Vorspeise, dem Frühlingssalat mit einem ungemein fruchtigen Dressing und den nussgebutterten Ravioli. Die Portionsgröße wird genussvoll akzeptiert und schafft noch Lust auf mehr.
Statt eines ordentlichen Schweinsbratens
Abgeräumt ist schnell und es geht weiter mit der Hauptspeise – aber ohne Hektik. Zeit für Gläschen zwischendurch oder eine Zigarette vor der Tür ist immer. Draußen ist der Tag der Nacht gewichen und ein fetter, fast voller Mond hängt träge über der Braunstraße in Michelstadt. Eine Frau steigt vom Fahrrad, drückt sich die Nase an der Scheibe platt und sagt laut zu sich selbst: „Der sollte lieber einen ordentlichen Schweinsbraten mit Hausmacherknödeln machen. Gnocchi. Pfff.“
Doch unbeirrt von der harschen Kritik nimmt drin der mittlere Gang seine Form an. Auf einem Spiegel vom Tomaten-Sugo werden die panierten Kohlrabi-Schnitzel platziert, eine ungerade Zahl der Gnocchi verteilt (so wie auf dem Foto) und mit dem Bärlauch-Pesto Akzente gesetzt. Zu Tisch bitte.
Piccata kommt übrigens aus dem Italienischen und bezeichnet eine in Panade gebratene Scheibe Fleisch, Fisch oder Gemüse – in diesem Fall ist es Kohlrabi, der vor der Panierung in Salzwasser blanchiert wurde und beim Essen für eine positive Überraschung sorgt.
Wenn das Soufflé aufgeht wird der Backofen zum Fernseher
Die Piccata ist gegessen und in der Küche finalisiert das Team Nachtisch das Dessert. Im Ofen ziehen derweil die Soufflés ihre Show ab und bilden über kleinen Keramikschalen teigige Kochmützen, während darunter unsichtbar ein Rhabarber-Kompott in den Schalen köchelt. Dazwischen verhindert eine knusprige Schicht weißer Schokolade eine innige Verbindung von Soufflé und Kompott.
Kurz bevor die Soufflés ihren heißen Showroom verlassen dürfen, wird das gefrorene Granité aus Basilikum und Limette aus der Metall-Schüssel gekratzt und auf Gläschen verteilt. Dann finden die heiß-kalten Partner Platz auf einem Teller und werden serviert. Zu Tisch, bitte.
Und es kommt, wie es kommen muss, das Dessert ist der Hammer. Mir fallen dabei zwei Dinge ein. Erstens muss ich viel öfter Rhabarber in meiner Küche verarbeiten. Und zweitens würde zum Granité etwas Gin passen. Oder sogar etwas mehr. Chris bestätigt das und sagt, dass auch er manchmal Gin darin verarbeitet.
Am Tisch wird derweil über das Dessert philosophiert, insbesondere auch über die weiße Schokolade zwischen Quarksoufflé und Kompott. Dann ist der dritte Gang Geschichte. Und in der Küche … da haben Chris und Renate inzwischen unbemerkt von allen Klar Schiff gemacht.
Gute Nacht, Freunde …
Nach getaner Arbeit und verputztem Menü verdienen sich noch alle ein Gläschen, ich ein feierabendliches Meisterpils. Wir vereinbaren für den Sommer in der Klause sozusagen ein Rückspiel, babbeln noch ein wenig über dies und das und das und dies und dann endet der Abend im Labsal. In Michelstadt. Im Odenwald. Unter diesem trägen fetten Mond.
Wenn ihr probieren wollt, was wir erlebt, gekocht und gegessen haben, könnt ihr hier alle Rezepte herunter laden oder ihr sprecht mit Chris Keylock über einen Abend im Labsal.
Credits: Gekocht und gegessen haben Raissa Ulbrich, Maria Hebeisen, Wiltrud Veit, Michael Veit, Claude Wilhelm, Karoline Schüßler, Christian Himmelspach und Dieter Krellmann. Ich hoffe, ich habe alle Namen richtig geschrieben. Gastgeber war Chris, unterstützt von Renate. Fotografiert habe ich, Thomas Hobein, und den Bauch habe ich mir auch vollgeschlagen.
(Beim Schreiben u.a. gehört: „Blue Lines“, von Massive Attack – das war auch während des Kochkurses gelegentlich zu hören)