Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Der Mist mit der Mistel

Die grünt nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im …
Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Eins ist klar, Miraculix, im Original Panoramix genannt, arbeitet nicht in Südhessen. Sonst wären nicht überall Misteln an Bäumen und Obstbäumen zu sehen, die sich zu ganz prima Zaubertränken verkochen ließen, aber nicht werden. Bleiben die Fragen: Warum gibt es tatsächlich so viele Misteln? Wie kann man sie loswerden? Und muss man das überhaupt?

 

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Pünktlich zum Frühlingsbeginn meldet sich der Winter in Südhessen zurück. Große Flächen in den höheren Lagen sind mit Schnee bedeckt. Während an der Bergstraße erste Blüten Farbe in die Welt bringen, sind im Odenwald die Bäume noch kahl. Oder fast. Denn auf den Streuobstwiesen geben bereits erstaunlich viele mit einer frischen grünen Krone an. Doch das, liebe Landlebenromantiker, ist nicht etwa ein übermütiges Zeichen frühlingsbedingter Vitalität – es ist verzweifelter Ausdruck eines Totentanzes. Denn nicht der Baum grünt, sondern eine parasitäre Pflanze namens Mistel, die sich dort häuslich niedergelassen hat.

 

 

Die Mistel – ein gesamtdeutsches Problem

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Seit jeher wird die Mistel sehr geschätzt – und nicht nur vom erwähnten Miraculix. Sie gehört vielerorts zum uralten Brauchtum, dient der weihnachtlichen Dekoration, liefert in England den Vorwand zum Knutschen und steht sogar im Ruf als Heilpflanze. Doch seit den Neunziger Jahren breitet sie sich überall in Deutschland rapide aus und wird zur zunehmenden Gefahr für Streuobstwiesen. Insbesondere auf Apfelbäume hat es die Mistel abgesehen. Andere Obstsorten sind weniger bis gar nicht betroffen. Doch es geht ja nicht nur um Obstbäume – auch Pappeln, Ebereschen oder auch besonders die Kiefern im Hessischen Ried trifft es hart.

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Als einer der Gründe für diese massive Zunahme der Mistel gilt natürlich der Klimawandel, der ja für alles herhalten muss. Aber ist sind wohl insbesondere die zurückgehende Pflege der Streuobstbestände, die eine schnelle Ausbreitung der Pflanze begünstigen. Dazu kommt, dass viele annehmen, die Mistel stehe unter Naturschutz, was nicht stimmt. Doch dazu später mehr. Beschäftigen wir uns erst mal mit der Pflanze.

 

 

Misteln sind erbarmungslose Halbschmarotzer

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen

Nach einer Theorie leitet sich der Name „Mistel“ vom Kot der Vögel ab, also vom Vogelmist. Mist. Mistel. Geschnackelt? Das glaube ich zwar nicht, aber es ist ein prima Einstieg in die Beschreibung dieses parasitären Grünzeugs. Denn so einige heimische Vogelarten finden die klebrigen weißen Früchte der Mistel ziemlich lecker, hauen ordentlich rein und erleichtern sich dann gern auf dem nächsten Baum. Kacke, denn schon ist die Mistel übertragen und saugt sich am Ast des Baumes fest.

Im ersten Jahr ist sie noch ziemlich mit sich selbst beschäftigt, freut sich aber schon mächtig auf eine Lebenszeit von rund siebzig Jahren, wenn sie nicht schon vorher ihren Wirtsbaum erledigt, denn in diesem Fall stirbt sie auch.

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Doch der Reihe nach. Aus dem klebrigen Mist wächst die Wurzel des Parasiten in die Versorgungsbahnen des Wirtes hinein und raubt dort ihrem Wirt das Wasser und die darin enthaltenen Minerale und Nährstoffe. Doch schädigt die Mistel nicht nur im Inneren Ihren Wirt – außen stellt sie ihn sozusagen in den Schatten, indem sie sich in der Baumkrone breitmacht. Misteln betreiben nämlich auch eigenständig Photosynthese: deshalb zählen sie zu den Halbschmarotzern.

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Ein geringer Befall schädigt den Wirtsbaum vielleicht nicht wesentlich, aber je stärker der parasitäre Befall anwächst, desto deutlicher verringert sich die Lebenskraft des geschädigten Baumes bis hin zum Absterben.

 

Blicken wir uns mal im Odenwald um und fragen nach

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Um sich vom massiven Mistel-Befall der Bäume im Odenwald zu überzeugen, muss man nicht einmal aus dem Auto aussteigen. Es reicht völlig mit geöffneten Augen die B 38 oder B 45 entlang zufahren. Und ist man erst einmal dem mobilen Mistel-Spotting verfallen, sieht man eigentlich keine Baumlandschaft mehr ohne. So haben wir auch die Motive für unsere Fotografien entdeckt und nicht einmal hundert Meter vom parkenden Auto entfernt aufgenommen. „Hübsch hässlich,“ würde Pater Brown alias Heinz Rühmann dazu sagen.

 

„Furchtbar,“ sagt Rainer Schäfer
(Zum Hirsch, Fürstengrund)

Er schätzt, dass siebzig Prozent der hiesigen Apfelbäume auf Streuobstwiesen grün sind – jetzt im Winter oder Vorfrühling. Er selbst schneidet regelmäßig seine Apfelbäume und dabei eben auch die Misteln raus. Aber in der Nachbarschaft macht sich kaum einer diese Mühe – selbst dann, wenn er die Abnahme der Äpfel garantiert. „Nee, lass mal,“ hört er und: „Wenn die kaputt gehen, mache ich Brennholz daraus.“

Und so kommt für alte Bäume, die seit zwanzig Jahren nicht gepflegt wurden, nicht nur jede Hilfe zu spät – sie tragen als Wirt auch zur schnelleren Verbreitung des Parasiten bei.

Dass der Apfel keinen Wert mehr hat, schließt er. Die Leute wissen, dass sich die Arbeit am Apfelbaum nicht mehr rentiert. Apfelwein ist eben billig im Gegensatz zu Wein und damit ist die Vergütung für Äpfel eben entsprechend niedrig. Zu niedrig.

 

„Erstaunlich, dass es noch so viele Bäume gibt,“ sagt Reinhard Bitsch
(Kelterei Bitsch, Glattbach).

Auch er schätzt den Befall als sehr hoch ein. Er führt das vor allem darauf zurück, dass die alten Bäume nicht gepflegt werden und wenig junge gepflanzt werden. Würde man mehr Bäume pflanzen, würde das Problem geringer werden, denkt er. Und wenn man regelmäßig die Bäume schneidet, fährt er fort. Ist aber ein alter Apfelbaum stark befallen, nützt die größte Mühe oft nichts mehr. Der Baum ist nicht mehr zu retten, weil die Mistel sich im Ast festgesetzt hat.

„Um die (Streuobst-) Wiesen kümmern sich die meisten Besitzer schon noch (Beweidung), um die Bäume eher nicht. Das ist keine Frage des Alters der Eigentümer – es ist eher das Verhältnis von Aufwand und Erlös. Ökonomisch ist das Ganze eben ein Druffleg-Geschäft und da bleiben die Bäume auf der Strecke. Aber wenn der wirtschaftliche Nutzen da wäre, dann würden die Bäume auch gepflegt werden. Auch Baumschützer haben schon Lehrgeld gezahlt, weil sie die Arbeit unterschätzt haben. Und die Umweltverbände sind immer mit Begeisterung dabei, wenn andere die Arbeit machen.“ Soweit Reinhard Bitsch.

 

„Unser Tal ist fast mistelfrei,“ sagt Peter Merkel
(Dornröschen, Annelsbach und Vorsitzender des Fördervereins Odenwälder Apfel)

Hauptsächlich stehen dort jüngere Bäume, erzählt er. Das ist übersichtlich und bei uns werden die Bäume noch geschnitten. Wir haben vor ein paar Jahren eigene Bäume mit teilweise starkem Befall gehabt, die Misteln rausgeschnitten und die meisten haben sich wieder erholt. Zwei Bäume mussten gefällt werden. Die waren zu stark befallen.

Er hält es für besser solche infizierten Bäume gleich zu fällen, statt zu warten bis sie von selbst umfallen –um den starken Befall zu reduzieren.

Im Nachbartal beispielweise wären die Bäume im Winter grüner als im Sommer, sagt er. Im Winter haben die eine volle Krone, im Sommer schwachen Blattwuchs. Auf diesen Viehweiden wird wahrscheinlich nix gemacht, vermutet er. Und dass die Besitzer die Äpfel nicht selbst verarbeiten. Der Ehrgeiz fürs Keltern ist nicht mehr da. Und das sorgt für eine erhebliche Weiterverbreitung der Misteln. Da ist es auch sinnlos für jemand anderes, nebendran eine neue Streuobstwiese anzupflanzen.

Alle drei kommen kurz auf das Missverständnis zu sprechen, dass die Mistel unter Naturschutz stehe, sehen aber darin nicht den wesentlichen Grund für den sarken Befall der Obstbäume.

 

 

Die Mistel stand nie und steht nicht unter Naturschutz

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Misteln dürfen zum Schutz der eigenen Bäume und zur privaten Verwendung geschnitten werden – natürlich nur von den Besitzern der Bäume, die sie tragen und mit möglichst großer Rücksicht auf den befallenen Baum.

Wer Misteln gewerblich zum Beispiel auf Märkten vertreiben möchte, braucht dazu eine Genehmigung von der Unteren Naturschutzbehörde, die aber problemlos zu bekommen ist.

 

 

Unser Fazit

Misteln in Obstbäumen und Streuobstwiesen in Hessens tiefem Süden

Der Klimawandel mag zur Ausbreitung der Mistel beitragen – wir aber denken, dass die Entwertung der hiesigen Landwirtschaft der Hauptgrund ist. Es rechnet sich eben nicht mehr, die Bäume zu pflegen. Selbst für Apfelbaumbesitzer ist es zumindest bequemer, Äpfel im Supermarkt zu kaufen. Und schöner aussehen tun die auch noch, die Pink Ladys oder wie immer sie auch heißen mögen und von wo auch immer sie über den Ozean gekommen sind. Das alles trägt dazu bei, dass die hier von Menschen geschaffene Kulturlandschaft ihr Gesicht verändert und damit auch die verbundene Ess- und Trinkkultur. Weil alte, heimische Apfelsorten mit den Bäumen verschwinden und damit ein Stück Heimat.

Zum Schluss kehren wir an den Anfang zurück und beantworten aus unserer Sicht bewusst plakativ die drei eröffnenden Fragen:

Die Mistel breitet sich aus, weil sich (fast) kein Schwein darum kümmert. Das zeigt sich nicht nur hier, sondern wird auf den Streuobstwiesen in ganz Deutschland beobachtet. Die Gründe sind oben hinlänglich beschrieben, haben aber auch mit Überzeugung und Engagement der Baumbesitzer zu tun.

Man kann diesen Parasiten loswerden, in dem man die Streuobstwiesen pflegt, die Misteln entfernt und alten Baumbestand durch Neupflanzungen ergänzt oder ersetzt. Das bedeutet aber Arbeit. Und die muss sich lohnen – aber nicht immer und nur monetär.

Und ja, die Mistel muss reduziert werden, weil sonst wieder einmal ein Stück der Heimat verschwindet. Aber das habe ich schon gesagt.

Informationsquellen

Die Gespräche mit Rainer Schäfer (Zum Hirsch, Fürstengrund), Peter Merkel (Dornröschen, Annelsbach und Vorsitzender des Fördervereins Odenwälder Apfel) und Reinhard Bitsch (Kelterei Bitsch, Lindenfels-Glattbach) haben wir telefonisch geführt und hier nur zusammengefasst wiedergegeben.

Was wir hier in der gebotenen Kürze berichtet haben, ist an anderer Stelle umfassender und gründlicher beschrieben. Für alle, die es genau wissen möchten – hier einige unserer Quellen:

 Fotografie und Bildbearbeitung: Thomas Hobein

(Beim Schreiben gehört: „Big Yellow Taxi“, aber nicht von Joni Mitchell, sondern von den Counting Crows featuring Vanessa Carlton)

 

1 Kommentar zu “Der Mist mit der Mistel

  1. Hallo Thomas,
    sehr interessanter Artikel, der meine Sichtweise auf die Mistel verändert hat.
    Ein Problem mit ihnen ist aber auch, dass man sie gar nicht entfernen kann, da sie sehr häufig sehr hoch im Baum sind so wie auf deinem 4. Bild.
    Viele Grüße
    Dirk

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