Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Hospital Kulinarik

Vom Essen auf einer unerwarteten Reise

2024 ist Geschichte. Endlich! … Gut. Denn berauschend war es gerade nicht. Dieses 2024. So überhaupt und ganz besonders für mich. Tatsächlich gipfelte es in einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt. Meinem zweiten insgesamt. Beim ersten Mal – vor rund 58 Jahren – ging es um eine reine Kopfsache. Dieses Mal war es eine Herzensangelegenheit und … ein kulinarisches Abenteuer der ganz besonderen Art. Das tische ich euch jetzt auf.

 

An das Essen meines ersten Aufenthaltes in einem Krankenhaus kann ich mich nicht erinnern … ist ja auch schon etwas her. Da mein Vater aber als Lebensmittelgroßhändler alle Krankenhäuser, Tuberkulosestationen, Kinder- und Altenheime der Stadt mit Obst, Gemüse und so belieferte, weiß ich schon noch, was der dort ablud. Schließlich durfte ich in auf seiner Tour – immer dienstags und donnerstags – als Hilfe begleiten, wenn auch nicht gerade freiwillig.

Ich erinnere mich an die Bäuerin auf dem Großmarkt in Hannover, die mir immer ne Mark gab, wenn ich ihren Weißkohl auf unseren Transporter hievte. Ich erinnere mich an ganze Kompanien weißgekleideter dicker Frauen vor riesigen Töpfen in den Küchen. Ich erinnere mich an die mit ihren megahohen weißen Hauben, ohne die ich sie  nur erlebte, wenn sie mal auf ein Schnäpschen bei meinen Eltern abhingen. Und ich erinnere mich an kein Plastik außer las Haut um Hähnchen in Aspik und Säcke für Apfelpulpe.

 

Ob es früher besser war, wage ich allerdings zu bezweifeln

Von Vielfalt beim Essen war damals sicherlich nicht die Rede. Und gegessen wurde, was ans Bett kam. Sonderwünsche wurden nur per Order durch den Arzt erfüllt. Da stehen die Kräfte in den Küchen der heutigen Krankenhäuser vor ganz anderen Herausforderungen. Ihr Angebot sieht sich täglich mit diagnostizierten und selbstzugeordneten Unverträglichkeiten konfrontiert. Mit kulturellen und religiösen Einschränkungen. Mit Vegetariern, Veganern, Flexitarierern, Trennkostlern, Low-Carbern und weiteren selbstauferlegten Was-weiß-denn-ich-Philosophien. Entsprechend vielfältig und umfangreich präsentiert sich auch der wöchentliche Speiseplan. Aber diese grundsätzliche Umsicht sagt nichts über die Qualität der einzelnen Mahlzeiten oder Speisen aus – gar nichts.

 

Frühstück für Aufreißer

Zum Frühstück gab es jeden Morgen einen ganzen Berg Plastik mit etwas Essbarem darin, auf Wunsch begleitet von einem als Brötchen getarnten Flummi, der vielerlei unterhaltsame Verwendungsmöglichkeiten bot, nur zum Essen nicht geeignet war.

Klar, organisatorisch vereinfachen die Einwegverpackungen sicherlich die Verteilung des Frühstücks über die Stationen und auch die Zuordnung zu den Pateientenwünschen und -bedürfnissen. Aber wenn die EU schon die Konsumenten mit dem Verbot von Trinkhalmen zu Recht gängelt und durch unverlierbare Plastik-Verschlüsse gefährdet, um die Plastikflut einzudämmen, darf man als engagierter Bürger auch in Krankenhäusern ein gerüttelt Maß an umweltverträglicher Handlungsweise erwarten.

Außerdem: Im Zoo müssen Schimpansen ja oft Körbe, Kästen oder Flaschen aufpopeln, um an die leckere Belohnung im Inneren der Behälter zu gelangen; beim Frühstück im Krankenhaus müssen das die bettlägerigen Patienten ebenfalls erledigen, um in den Genuss der eingeschweißten Marmelade zu kommen. Genauer gesagt handelte es sich um Aprikosenmarmelade in Plastiknapf. Immer und nur.  Nach eineinhalb Wochen fragte dann mein mutiger Bettnachbar, ob er mal eines andere Marmeladensorte – etwas Erdbeere oder so – bekommen könne, als die ewige Aprikose. Die Antwort kam prompt, sehr verbindlich, dabei zugleich gnadenlos und unmissverständlich in einem Wort: »Nein.«

 

Mittags – von Tiefseepananden und gefülltem Glibber

Brokkoli-Blumenkohl-Auflauf mit Käsesauce und Kartoffeln – das war mein erstes Mittagessen nach Bezug meines Bettes und ich war angenehm überrascht. Das Gemüse hatte noch Biss und war auch andere als von mir befürchtet Arm an Salz. Also beschloss ich, mich fürderhin vegetarisch während meines Aufenthaltes zu ernähren – jedenfalls mittags, aber vor allem launenhaft inkonsequent, wie das so meine Art ist.

Deshalb entschied ich mich am Folgetag, einem Freitag, für den Fisch. Es gab eine sehr, sehr, sehr frittierte Tiefsee-Panade mit Remoulade und Kartoffelsalat. Und mit Kartoffelsalat kriegt man mich ja immer. Der war auch echt prima. Nur in der Panade hätte ich mir etwas Fisch gewünscht.

Am folgenden Tag ging es vegetarisch mit einer recht ordentlichen Gemüsesuppe weiter, konzeptionell jedoch durch eine Bockwurst konterkariert. Das aber war meiner bereits erwähnten Inkonsequenz zu verdanken, denn die Suppe war korrekter Weise auch als Vollkost deklariert gewesen.

Dann weckte endlich wieder ein pures Vegie-Gericht mein Interesse: Der »Pfannkuchen Italia« wurde im Speiseplan als gefüllt mit Tomaten und Gemüse in Begleitung einer Käsesauce beschrieben. Ob diese Beschreibung inhaltlich korrekt war, kann ich nicht sagen. Nur, dass es Matsch war. Die Schotten sollen ja über fünfzig Worte für Regen haben, hier vereinte der vor mir stehende Teller drei Worte für Glibber: Pfannkuchen, Tomatenfüllung , Käsesauce. Es folgte der sofortige Abbruch der Nahrungsaufnahme. Und in meiner Erschütterung vergaß ich sogar, das Zeug zu fotografieren.

Ich stieg um auf Hähnchenschnitzel und Schweingulasch, wurde dann aber doch rückfällig als ein vegetarischer Italo-Klassier im Angebot war. Spaghetti mit Tomatensauce und geriebenem Emmentaler kann schließlich kein Miracoili-Native widerstehen. Doch nach Sichtkontakt und ganz, ganz vorsichtigem Probieren ging die Mahlzeit unbearbeitet zurück.

Für Chronisten sei hier kurz angemerkt, dass ich seit einem betongrauen, schleimigen Fischeintopf auf Feuerland vor etwa zwanzig Jahren erstmals die Nahrungsaufnahme verweigerte hatte. Kommen wir zum Abendbrot.

 

Waffenscheinpflichtiges Abendessen

Früchtetee oder Hagebutte? Diese Frage eröffnete jeden Tag das Abendessen. Und die Antwort in deinem Kopf lautete jeden Abend »Egal«.  Doch jeden Abend übersetzten meine Stimmbänder das in eine höflich formulierte Wahl einer der beiden Sorten. Wasser mit und ohne konnten man sich ganztägig gratis zusätzlich zapfen.

Doch tatsächlich entpuppte sich das Abendbrot als durchaus abwechslungsreiches Angebot, das auch mal durch einen Wurstsalat oder sogar einen Handkäse gepimpt war. Zusätzlich bestand an jedem Tag die Möglichkeit sich zwischen einer Tomate, einem Klumpen Salatgurke und einer sauren Gurke zu entscheiden. Doch nichts davon bewirkte eine kulinarische Aufwertung des Nachtmahls. Verzicht war hier die leckere Alternative. Zumal man keinem der drei waffenscheinpflichtigen Salatdinger mit dem zur  Verfügung gestellten Besteck auf die Pelle rücken konnte.

Über den weltberühmten Sketch » Verteidigung gegen Obst« aus dem Film »Monty Pythons Wunderbare Welt der Schwerkraft« hätte niemand gelacht, wären diese drei Frischprodukte die Angriffswaffen gewesen. So war die saure Gurke ein unkaputtbarer Gummischwengel erheblichen Ausmaßes mit dem man unangenehmen Zeitgenossen adäquat eins bis zwei hätte überziehen können. Auch geeignet als namensgebender Totschläger in einem Schwarzweiß-Krimi aus den Sechzigern mit dem Titel »Die Gurke von Soho«. Der knallharte Salatgurkenbrocken dagegen ist ein ganz prima Tipp für ein 1a Steinwurf-Surrogat auf jeder Demo, das spielend Polizeischilde zersplittern ließe. Aber am gefährlichsten war die eiskalte, steinharte und garantiert unreife Tomate – ein geschmacksfreies und gnadenloses Wurfgeschoss in bedrohlichem Rot. Wären die Reiter von Rohan mit diesen waffenscheinpflichtigen Tomaten aus gestattet gewesen, wäre die Schlacht von Helms Klamm weniger verlustreich ausgegangen. Und vor Gondor wären die Kriegselefanten niemals zum Zuge gekommen.

Dass ich diese drei als Frischelieferanten vorgesehenen unzerstörbaren Wahlkomponenten des Abendmahls überhaupt probieren konnte war pure Magie. Denn nur mein Victorinox mit Elfenstahlklinge drang in deren Fruchtfleisch vor – wenn auch mit einigen Schwierigkeiten.

Das alles und noch viel mehr ging mir durch den Kopf, als ich nach der Entlassung im Taxi nach Hause führ. Denn da schmeckt’s ja bekanntlich am besten. Auch in Darmstadt. Am Nordrand von Hessens tiefem Süden.

 

Fotos: Thomas Hobein

(Beim Notieren des Speiseplans u.a. gehört: »Lovely, Just Like Her« von Irving und »Hey Willpower« von Hundredaire)

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