Nachtfrost im Wingert
Drei Reihen Cabernet Sauvignon, vier Mann, ein Fotograf, minus acht Grad, kalte Füße, fünfzig Liter Most, 183° Oechsle – das ist die Kurzfassung der Eisweinlese vom 06. Januar 2017 im Auerbacher Fürstenlager.
Freitag. Gerade habe ich die Bilder für den zweiten Teil unsres Artikels „Wie ein Wingert entsteht“ fertig bearbeitet. Und auch der Text dazu soll morgen – am Samstag – fertig werden. Da klingelt das Telefon: „Morgen früh, sieben Uhr Abfahrt, Eisweinlese im Auerbacher Fürstenlager.“ – Jawoll, Herr Frank.
Also versetze ich den Rechner in den Ruhezustand und lege mir warme Socken raus. Schließlich prophezeit der Wetterbericht fast zehn Grad Celsius unter Null für den kommenden Samstagmorgen. Für den Eiswein ist das nötig, denn der darf nur gelesen werden, wenn das Thermometer mindestens minus sieben Grad im Wingert anzeigt; kälter darf es aber durchaus sein.
Most – auf das Maximum reduziert
In Deutschland müssen die Beeren für den Eiswein am Rebstock gefrieren. In anderen Ländern wird Eiswein auch künstlich hergestellt, indem man die herkömmlich gelesenen Trauben einfriert. Hier ist das jedoch nicht erlaubt. Hier werden die natürlich gefrorenen Trauben gelesen und sofort im Anschluss gekeltert. Denn jetzt ist das in den Beeren enthaltene Wasser noch zu Eis gefroren. Der Gefrierpunkt des reinen Traubensaftes dagegen liegt niedriger; der Saft ist während des Kelterns noch flüssig. So wird ein hoch konzentrierter Most gewonnen weil das Wasser als Eis in der Kelter zurückbleibt. Durch diesen Verlust an Flüssigkeit ist dabei die Most-Ausbeute im Vergleich zur herkömmlichen Pressung äußerst gering – so über den Daumen reden wir hier nicht einmal von zehn Prozent.
Diese Trennung von gefrorenem Wasser und noch flüssigem Konzentrat haben wir übrigens im letzten Jahr schon einmal beschrieben – bei der Herstellung des Eisbocks der Privatbrauerei Schmucker.
Wir schreiten zur Tat
Samstag. Sieben Uhr dreißig. Im Weinberg über Bensheim-Auerbach ist es noch stockdunkel. Als wir das Auto verlassen zeigt das Thermometer im Armaturenbrett fast zehn Grad an – im Minusbereich versteht sich. Die letzten paar Meter zum Wingert bringen wir zu Fuß hinter uns. Der Schnee unter unseren Stiefeln klingt bei jedem Schritt, als würde man herzhaft in eine Portion Cornflakes beißen. Wir sind die ersten. Nur der kleine Anhänger mit der Bütt steht schon da und wartet darauf gefüllt zu werden.
Die Trauben der entblätterten Rebstöcke sind in blaue Netze gehüllt, um die wertvollen Beeren vor Vögeln und anderen Tieren zu schützen. Diese „Verpackung“ hat Reinhard bereits im Herbst im Anschluss an die reguläre Lese angelegt. Ohne die Netze wäre wohl kaum noch etwas zu lesen, meint er. Und tatsächlich erleben wir nach Sonnenaufgang, dass einige unserer gefiederten Freunde sich weder von uns noch von den Netzen abhalten lassen, um in den Genuss des Cabernets zu kommen.
Um die Trauben zu schützen gibt es auch eine dünne, gelöcherte Folie. Doch Reinhard bevorzugt die Netze, da dickere Eisklumpen eher durch die Maschen fallen, so nicht in die Kelter gelangen und dort Schäden verursachen.
Während am Himmel so langsam schwarz zu blau wird hat die Lese begonnen und die vier Männer arbeiten sich sorgfältig von oben nach unten vor. Reinhard, Carsten, Michael und Lorenz entfernen immer wieder das Netz, füllen die Eimer mit den Trauben und binden das Netz wieder hoch. Das soll ja schließlich wieder verwendet werden und nicht am Boden verrotten.
Währenddessen denke ich an ein Gespräch im Dezember zurück. Da hat der Reinhard etwas von wärmenden oder warm haltenden Wunderstiefeln erzählt. Die hätte ich jetzt gerne auch. Aber ich bin immer noch besser dran als Lorenz. Der trägt nämlich nur Sneakers. Brrr.
Nach etwa zwei Stunden ist alles in der Bütt, was die drei Reihen hergegeben haben. Wir fahren zum Keltern nach Auerbach ins Weingut Rothweiler.
Frisch gepresst und hochkonzentriert
Dort wird die Kelter gefüllt und los geht es. In mehreren Gängen wird unter hohem Druck der Most aus den Beeren gepresst. Als die Wanne der Kelter den ersten Saft auffängt prüft Reinhard das Mostgewicht. 203° Oechsle ergibt die Messung. Davon probieren wir auch mal ein Schlückchen. Und das Zeug ist so dermaßen süß, dass es mir alles zusammenzieht – es schmeckt fast wie sehr dünner Honig.
Aber das ist ja erst der Anfang. Die Kelter schuftet noch etwa drei weitere Stunden, um auch das letzte Tröpfchen des Mostes zu gewinnen. Am Ende hat die Arbeit fünfzig Liter für den Eiswein vom Cabernet Sauvignon ergeben – mit einem Mostgewicht von 186° Oechsle. Je nach Anbaugebiet sind 110 bis 128 Grad – entsprechend der Prädikatsstufe Beerenauslese vorgeschrieben (Quelle: Deutsches Weininstitut).
Doch als Reinhard die Kelter ausschaltet bin ich längst zu Hause und braue mir eine heiße Zitrone mit einem ordentlichen Schuss Rum, um Füße und Fingerspitzen aufzutauen. Und ich bin gespannt. Gespannt auf Hanno Rothweilers Eiswein vom Cabernet Sauvignon, der übrigens zum Jahrgang 2016 zählen wird, obwohl er erst im Januar 2017 gelesen wurde.
Gelesen haben Reinhard, Carsten, Lorenz und Michael Frank (Endlich! Gutes.). Fotografiert habe ich. Und der nächste Teil des Artikels „Wie ein Wingert entsteht“ kommt etwas später als angekündigt, führt uns aber wieder ins Fürstenlager.
(Beim Schreiben gehört: „Pink Moon“ von Nick Drake)