Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Die Goldenen Äpfel von Sulzbach

Über das Quittenprojekt Bergstraße, Teil 1
Quittenprojekt Bergstraße in Weinheim-Sulzbach

Die „Goldenen Äpfel“ der antiken Mythologie waren eigentlich Quitten, sagt man. Und die vorletzte Aufgabe des Herakles war es, drei Goldene Äpfel/Quitten der Hesperiden zu pflücken. Das schaffte er aber nur durch einen Trick, der ihm abverlangte, eine Zeitlang das gesamte Himmelsgewölbe zu tragen – eben eine Herkulesleistung zu vollbringen. Und vor so einer Aufgabe stehen auch Ellen Müller und Rainer Stadler in Sulzbach an der Bergstraße, die 2009 angetreten sind, um die Quitte wieder stärker in den Fokus zu rücken – ein Bericht in zwei Teilen.

 

Manchmal muss man einfach die eigenen Grenzen überschreiten. Ich überfahre sie heute sogar und zwar die nach Baden-Württemberg. Vor rund zwei Wochen hat mich nämlich ein E-Mail mit der Frage erreicht, ob sich auch „Ausländer“ (auf Endlich! Gutes.) vorstellen dürfen. Und ich habe – getrieben von kulinarischer Abenteuerlust – dann einfach mal „Ja“ gesagt.

Die Anfrage kam von Rainer Stadler, der gemeinsam mit Ellen Müller das Quittenprojekt Bergstraße in Weinheim-Sulzbach betreibt. Die beiden haben es sich vor einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, der langsam in Vergessenheit geratenden Quitte zu einem nachhaltigen Comeback zu verhelfen. In einigen Minuten werde ich die beiden kennenlernen (ihr müsst euch noch bis zum zweiten Teil dieses Berichtes gedulden).

Während ich auf der A5 im Auto in Richtung Süden fahre und mich der Landesgrenze nähere, frage ich mich, ob mich die Eingeborenen jenseits der Grenze freundlich aufnehmen werden. Warnende Trommeln feindlich gesinnter Stämme habe ich auf meiner Expedition jedenfalls noch nicht wahrgenommen. Außerdem nutze ich die Zeit noch einmal zu rekapitulieren, was ich bereits über die Quitte weiß. Denn unvorbereitet wage ich mich nicht auf fremdes Terrain – Abenteuerlust hin und Abenteuerlust her.

 

Die unbekannte Diva

Quittenprojekt Bergstraße in Weinheim-SulzbachGibt es als Gelee und als Zusatz im Apfelsaft – das war so ziemlich alles, was ich über Quitten wusste, als mich das E-Mail von Rainer Stadler erreichte – und das Jürgen Katzenmaier in seiner Essigmanufaktur in Laudenau Quittenessig herstellt. Aber mehr wusste ich nicht. Meinen ersten Quittenbaum habe ich so um 2010 auf einem Weingut in Forst in der Pfalz bewusst wahrgenommen. Aber auch nur, weil der Winzer mir damals sagte: „Das da ist ein Quittenbaum.“ Meine Antwort „Aha“ beendete das Gespräch aber gleich wieder. Jetzt bin ich deutlich tiefer ins Thema eingestiegen. Versteht sich von selbst

Die Quitte wächst an strauchartigen Pflanzen, die bis zu acht Metern groß werden und gehört wie der Apfel und die Birne zu den Kernobstgewächsen innerhalb der Rosengewächse. Sie bildet gelbe, duftende Früchte, die in Form und Größe sehr unterschiedlich ausfallen können und mit einem flaumigen Pelz überzogen sein können. Die hiesigen Sorten unterscheidet man der Form nach zwischen Apfel- und Birnenquitten. Geerntet werden Quitten bei uns zwischen Oktober und November. Roh sind die Früchte dann ungenießbar, denn der hohe Anteil der Steinzellen macht das Fruchtfleisch stahlhart und das enthaltene Tannin bitter. Sie wollen eben verarbeitet werden, die Quitten. Aber dann offenbaren sie ihre ganze kulinarische Vielfalt – ob in herzhaftem oder in süßem Kontext.

Die erntereifen Früchte erkennt man an ihrer einheitlichen goldgelben Färbung und daran, dass sich der anhaftende Flaum leicht abreiben lässt. Sie müssen übrigens nicht den ersten Frost erfahren haben, um gepflückt zu werden. Im Gegensatz zu diesem weitverbreiteten Irrglauben können Quitten bereits ab Minus zwei Grad Celsius erfrieren und eine unerwünschte Fleischbräune entwickeln.

Unter Fleischbräune versteht man eine Stoffwechselstörung der Früchte (auch beim Apfel bekannt), die sich aus unterschiedlichen Gründen entwickeln kann. Ursachen können zu lange und intensive Trockenperioden sein, der Mangel an Stickstoff und Calcium im Boden, Frost vor der Ernte, falsche und zu lange Lagerung und … und … und – wie gesagt, die Quitte ist eine Diva.

Schon bei der Ernte empfiehlt sich ein vorsichtiger Umgang mit den druckempfindlichen Sensibelchen. Gelagert halten sie sich an einem kühlen, aber frostfreien Ort dann höchstens zwei Monate – bis Weihnachten sollten sie also komplett verarbeitet werden. Im Lager verträgt sie sich nicht besonders gut mit anderem Obst und Gemüse, da sie ihr Aroma auf die Früchte in der unmittelbaren Nachbarschaft überträgt. Der samtige Pelz, der die Quitten überziehen kann, sollte erst unmittelbar vor der Verarbeitung abgerieben werden. Aber weg muss er dann, weil er unangenehme Bitterstoffe enthält.

 

Ein göttliches Obst mit Migrationshintergrund

Quittenprojekt Bergstraße in Weinheim-Sulzbach Ursprünglich stammt die Quitte wohl aus dem Kaukasus oder dem Transkaukasusaus. Damit hat sie eine ähnliche Wanderung wie der Wein zu uns hinter sich gebracht. Sie wächst hier ja auch vorzugsweise in Weinanbaugebieten. Vielleicht bin ich als Norddeutscher deshalb erst so spät auf die Quitte gestoßen. Zwar habe ich auch traditionelle Kochrezepte aus Deutschlands Norden gefunden, aber verglichen mit der Vielfalt im Südwesten ist das nix, gar nix.

Die größten Produktionsländer der Quitte mit Usbekistan und der Türkei liegen auch heute noch dicht an der Ursprungsregion der Quitte. Dort gedeihen bis in den Orient hinein über zweihundert Sorten der Pflanze, die viel weicher als hier ausreifen und roh gegessen werden können.

Ihre Karriere als veredelte Kulturpflanze begann sie vermutlich im Nordwesten von Kreta. Nach dem antiken Ort Kydonia – das heutige Chani – erhielt die Quitte auch ihren Namen: Cydonia oblonga. Ihre griechische Vergangenheit findet sich auch in alten, deutschen Bezeichnungen der Quitte  wieder: Kretischer Apfel, Kydonischer Apfel, Hesperiden-Apfel, Venus- oder Adonis-Apfel (letztere wohl eher römisch). Hier wird dann auch langsam die mythologische Bedeutung der Früchtchen deutlich.

 

Love is in the air

Quittenprojekt Bergstraße in Weinheim-Sulzbach Wenn die „Goldenen Äpfel“ der antiken Mythologie tatsächlich Quitten waren, wählte Paris die schönste aller Göttinnen nicht etwa durch die Übergabe eines Boskops, sondern durch eine Quitte. Als Frucht der Liebesgöttin Aphrodite wurde sie dann zum Symbol für Glück, Liebe und löste den trojanischen Krieg aus. Dass Herakles mal eben das Firmament stemmen musste, um die Hesperiden-Äpfel stibitzen zu können, habe ich ja bereits eingangs erwähnt. Als später in Rom dann Aphrodite zu Venus wurde, wechselte die Quitte einfach ihre Gottheit. Sie wurde in den Schlafzimmern zur eher pragmatischen Gabe an Nox, die Göttin der Nacht. Dort sollte sie durch ihren starken Zitronenduft die Mädels betören. Im folgenden christlichen Mittelalter verspielte sich das alles dann etwas. Allerdings waren Quitten wegen ihres süßen, wie herb-bitteren Geschmacks noch lange Zeit fester Bestandteil der Hochzeitsnacht. Sie sollten so die Brautleute auf die wechselvollen Seiten der Ehe vorbereiten.

 

Aus Erfahrung gut

Quitten enthalten Wertvolles wie die Vitamine C und E, Folsäure, Mangan, Kalium, Natrium, Zink, Eisen Kupfer, Fluor, Tannine und Pektin – habe ich abgeschrieben. Aber lange bevor das durch Analysen nachgewiesen wurde, hatten die Altvorderen längst ihre Heilkraft beobachtet. Von Hippokrates bis Hildegard von Bingen vertrauten Heiler der bekannten Welt bereits der gelben Frucht. Sie wurde bei Fieber und Verstopfung ins Rennen geschickt, zur Blutstillung verwendet sowie gegen Rheuma, Gicht und Zahnfleischbeschwerden verabreicht, um nur einiges zu nennen.

Darüber nutzte man die Quitten auch als praktische Helfer im Alltag. So sorgten sie für „Lenor-Frische“ im Kleiderschrank und halfen durch Kauen gegen Mundgeruch. Aber vor allem schätzte man schon immer ihre kulinarischen Qualitäten.

 

Die Quitte will erobert werden

Quittenprojekt Bergstraße in Weinheim-Sulzbach Wer sich an den Flirt mit dem steinharten Gnubbel heranwagt – ein großes scharfes Messer ist zu dem Date in jedem Fall mitzubringen –darf sich auf eine verheißungsvolle, abwechslungsreiche Liaison freuen, geprägt von einem frischen, raffinierten Säurespiel und frei von penetranter Süße.

Aber von vorn: Bis in die Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte wohl jeder Bauernhof im Südwesten einen Quittenbaum. Doch das ist längst Geschichte und ein umfangreicher kommerzieller Anbau ist trotz der Bestrebungen in Sulzbach noch lange nicht in Sicht. Deshalb sind Quitten auch nur bei einigen Selbstvermarktern, vielleicht auf Wochenmärkten und beim Quittenprojekt Bergstraße zu bekommen. Aber das Wenige ist dann alles in Bioqualität (auch ohne Siegel), weil es ja keinen Massenanbau gibt und das ist auch mal was.

Wenn es euch gelungen ist, Quitten aufzutreiben – Klauen ist übrigens Scheiße – müsst ihr euch ans Zerteilen machen. Hier ein Profi-Tipp dazu (das bin nicht ich): Zuerst reibt ihr den Flaum mit einem Tuch gründlich ab. Dann halbiert ihr die Quitten nicht wie einen Apfel, weil das „stählerne Kerngehäuse“ das so ziemlich unmöglich macht. Vielmehr schnappt ihr euch ein großes Messer, das eure Kraft gut überträgt und schneidet das Fruchtfleisch an allen vier Seiten mit einem großen Messer von Kerngehäuse ab. Zurück bleibt ein länglicher Quader mit den Kernen. Ob ihr die Stücke dann schälen müsst oder nicht, das sagt euch dann das Licht. Nein, das hängt von eurem Vorhaben und den jeweiligen Rezepten ab.

Und erst jetzt, nach diesen kräftezehrenden Vorbereitungen, gibt sich euch die Diva hin und legt euch eine ganze kulinarische Welt zu Füßen: Sie wird für euch zu Gelee, Mus, Kompott, Saft, Likör, Kuchen und Torten, Gemüsebeilage zu Fleischgerichten, Chutney, Senf oder Essig. Ihr müsst nur wollen und sie fertigmachen – die Quitte.

Es geht aber auch anders: In einem kleinen Laden in Weinheim-Sulzbach an der Bergstraße, Hintergasse 5, halten Ellen Müller und Rainer Stadler nicht nur Quitten während der Saison für euch bereit, sondern auch viele Produkte aus eigener Herstellung. Ich empfehle euch besonders die alkoholfreie Quittenschorle. Doch die ist immer ganz schnell ausverkauft. Da müsst ihr euch eben anhalten – so wie auch ich. Denn ich biege gerade noch pünktlich in die Hintergasse ab und parke vor einem großen Tor. Ich klingele, das Tor öffnet sich … doch darüber demnächst mehr. Im zweiten Teil des Berichtes über das Quittenprojekt Bergstraße. Hier auf Endlich! Gutes.

Fotografische Quittenstudien: Thomas Hobein

(im Auto auf der A5 u.a. gehört: „Back To Basics“ von The Shapeshifters)

 

 

 

 

1 Kommentar zu “Die Goldenen Äpfel von Sulzbach

  1. Super geschrieben, bin neugierig geworden und werde Quitten noch Pflanzen. Im Maulbeergarten bei Diana Nowotney im ErlebnisGarten Maulbeerallee 68 Darmstadt habe ich letzten Dienstag einen alten Baum zwischen Haselnüssen und Fichten gefunden.
    Detlef Baumann-Schiechel

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