Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Einhundertfünfzig

oder ein Streifzug durch die Vergangenheit
Modell der Villal Haselburg

Heute posten wir zum einhundertfünfzigsten Mal. Wir haben inzwischen jeden Monat zwischen drei- und viertausend Visits auf der Seite und auf Facebook sind es jede Woche einige Tausend, die sehen, was wir so verzapfen. Und insbesondere auf Instagram wird deutlich, dass unsere Beiträge nicht nur regional gesehen werden. Gönnen wir uns zum Jubiläum einen Ruhetag und lassen uns auf den Spuren der Vergangenheit durch die Region treiben.

 

Es ist Anfang Mai 2018. An so einem Jubiläums-Tag zeigt sich deutlich, das Endlich! Gutes. eine nebenberufliche Tätigkeit ist. Chris Keylock bereitet einen Kochkurs vor und der Herr Frank verdient sein Geld in Zeichen der Marketing-Kommunikation. Ich aber habe heute Zeit. Also beschließe ich, im engsten Kreis mit mir selbst zu feiern und zwar durch eine Wanderung auf den Spuren der Römer.

 

Kommt einfach mal mit – kost nix

Rekonstruktion eines Limesturmes bei Vielbrunn im Odenwald

Da Vorbereitung alles ist, bizzele ich mir mit meinem Soda-Stream zwei Flaschen Wasser auf und schmiere mir zwei Stullen. Und weil es zwar warm in Darmstadt ist, aber der Himmel grau, schnappe ich vorsichtshalber noch eine outdoor-taugliche Joppe mit Kapuze. Man weiß ja nie. Dann pflanze ich mich das Auto und fahre nach Vielbrunn. Da soll am Flugplatz ein rekonstruierter Limesturm stehen.

Der steht auch tatsächlich da. Inmitten eisiger Kälte und schneidendem Wind. Schöner Turm, denke ich, und dass die Joppe zu dünn ist. Mir fällt meine Hundeschlitten-Tour auf Feuerland ein und dass ich zu Übertreibungen neige – natürlich nur, um für euch, liebe Leserinnen und Leser, anschaulicher zu schildern.

Doch zurück zum Limesturm. Ich bin dabei – obwohl Designer – gar nicht so sehr auf die Architektur fixiert, sondern auf die Gedanken, die bauliche Reste oder Rekonstruktionen in mir auslösen. Und die drehen sich natürlich ums Leben und – wie sollte es anders sein – um alles, was die damals so gegessen und getrunken haben.

 

Von vinum und garum

Rekonstruktion eines Limesturmes bei Vielbrunn im Odenwald

Der Limes – früher Ausdruck des menschlichen Defekts sich durch Mauern von Fremdem abzugrenzen – schlängelt sich unter anderem auch durch den Odenwald – im Prinzip von oben nach unten, aber eben auch von hier nach da. Im regelmäßigen Abstand befanden sich Tore und Türme in und an diesem Grenzwall, Stationen für die früh-Italienischen Türsteher, an den sie den Germanen sagen konnten: „Du komms’ hier nich’ rein, eyh.“

Und weil einem das aus sicherer Entfernung besser über die Lippen geht, haben die Römer die Türen ihrer Limes-Türme so hoch angebracht, dass sie nur über die Leitern erreichbar sind, einziehbare Leitern. Die Folge: Langeweile, denn erstens gab es gar nicht so viele Germanen, die rein wollten und zweitens hatten die wohl niemals Leitern dabei. Und wer Langeweile hat, bekommt Durst. Ich habe selbst oft genug bei der Bundewehr Wache geschoben. Tatsächlich stand jedem Legionär eine beträchtliche Menge Wein zu. Aber Wein tranken die Römer sowieso zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Nun hatte der Wein der Römer nicht unbedingt etwas mit dem zu tun, den wir heute gewohnt sind. Das war wohl eher „Sauerbrieh“, natürlich durch den entsprechenden lateinischen Begriff ersetzt – ich habe aber bei Asterix nix gefunden. Der gemeine Römer trank seinen Wein auch nicht pur, sondern verdünnt mit warmem oder kaltem Wasser. Auch wurde das antike Gesöff gerne aromatisiert, um es vorsichtig auszudrücken. Kalk milderte die Säure. Honig, Rosenblätter und Kräuter sorgten für den Geschmack, aber auch Harze, Gips, Pech oder zerstoßener Marmor sind als Verfeinerungsmethoden nachgewiesen. Vor dem Genuss wurde dann alles Überflüssige herausgesiebt. Prost oder prosit, wie der Lateiner sagt.

Der am Limes gesüffelte Wein war Importware, jedenfalls zu Beginn. Denn ein strukturierter Weinbau durch die Römer ist erst im dritten Jahrhundert in Deutschland belegt, also rund hundert Jahre nach dem Bau des frühen Neckar-Odenwald-Limes. Doch wie dem auch sei, sie haben den Wein, wie wir ihn heute kennen, hier erst möglich gemacht. Wer jetzt allerdings denkt, dass die Bergstraße ihren Namen von den „mediterranen Besatzern“ erhielt, liegt falsch. Der Name „strata montana“ ist erst im zwölften Jahrhundert belegt, also zu Beginn der Stauferzeit.

 

Jetzt aber zum garum

Villa Haselburg im vorderen Odenwald

Als es auch noch anfängt zu regnen, hänge ich das Wandern endgültig an den vielzitierten Nagel und fahre zur Villa Haselburg. Die liegt zwischen Brensbach und Bad König direkt an der L3106. Diese Überreste einer römischen villa rustica, etwa mit Landgut zu übersetzen, beeindrucken durch recht ordentliche Ausmaße und erzählen von einigem Komfort für die damalige Zeit.

Villa Haselburg im vorderen Odenwald

Ich stelle mir vor, wie der dominus (Hausherr) seine Gäste empfing. Dabei wurde in römischen Haushalten gerne Brot gereicht und dazu „garum“ – so etwas wie ein antikes Maggi, nur aus fermentiertem Fisch zubereitet. Das war damals so beliebt, dass selbst Süßspeisen damit „verfeinert“ wurden. Nun, um es kurz zu machen: Während die Römer den Wein dagelassen haben, mussten sie ihre Lieblingsspeisewürze wieder mitnehmen, wahrscheinlich weil sie die gleiche Sprengkraft wie korsischer Schafskäse im entsprechendem Asterix-Album hatte.

Villa Haselburg im vorderen Odenwald

Wer es dennoch probieren möchte, findet heute mit den Fischsaucen in Asia-Shops etwas Artverwandtes. Aber auch in Italien ist die Colatura di Alici – gemacht aus Sardellen – nach wie vor ein Klassiker zu beispielweise Pasta, aber eben nicht mehr zu pana cotta.

 

Selbst die Kartoffel hat einen Migrationshintergund

Hof im Sensbachtal, Odenwald

Nachdem ich in der Villa Haselburg meine Stullen gemampft habe – ohne garum, versteht sich, fahre ich planlos nach Süden. Irgendwann im Sensbachtal sehe ich im Vorbeifahren aus dem Augenwinkel plötzlich einen uralten verfallen Bauernhof. Ich wende hundert Meter weiter, fahre zurück und mache erst mal ein Foto. Das Gebäude erinnert mich an die Fantasie-Architekturen in Terry Gilliams Film „Brothers Grimm“. Ich habe keine Ahnung wie alt das Haus ist, aber als ich wieder im Auto sitze, denke ich an den Dreißigjährigen Krieg, der auch hier gewütet hat und die Bevölkerung der Region um etwa fünfundachtzig Prozent reduziert hat.

Aber auch nach dem Westfälischen Frieden (1648) wurde das Leben nicht gleich leichter. Vielleicht hörten die Plünderungen auf, aber die Landwirtschaft lag am Boden und Schmalhans war Küchenmeister. Die Kartoffel, eine neue Frucht aus Südamerika, die Abhilfe schaffen sollte wurde vom Odenwälder nur zögerlich aufgenommen. Was der Bauer nicht kennt, …

Doch der Erfolg der nahrhaften Knolle war selbst bei allergrößter Sturheit nicht aufzuhalten. Vom Vogtland aus trat sie ihren Siegeszug nach Südwesten an und um 1720 wurde sie wohl bei Amorbach in größerem Umfang angebaut. Ich bin auch auf eine Quelle gestoßen, die behauptet, das bereits Mitte des Siebzehnten Jahrhunderts im Odenwald Kartoffeln angebaut worden sind, doch im Abgleich mit allen anderen Quellen, die ich gefunden habe, steht diese Behauptung ziemlich allein dar. Aber ob ich recht hab oder nicht, zeigt uns dann das Licht. Oder so.

In jedem Fall hat sich der Südamerikaner hier so breitgemacht und vieles andere ver- oder zurückgedrängt, dass die Konzentration auf die Kartoffel 1844 die nächste Hungernot auslöste. Die Kartoffelfäule – begünstigt durch Ernte bei feuchtem Wetter und falsche Lagerung – verursachten eine wahre Auswanderungswelle und trug wohl auch zur Revolution von 1848 in erheblichem Maße bei. Die sachgemäße Handhabung der deutschesten aller Früchte – auch wenn die Amis und Krauts nennen – ist uns also noch nicht einmal zweihundert Jahre lang vertraut.

 

Tot durch Huhn und Brot

Der dreischläfrige Galgen bei Beerfelden

Zeit langsam nach wieder nach Süden zu kurven. Ich lasse mich treiben und finde mich am Galgen wieder. Das kommt davon.

Der Beerfelder Galgen, errichtet im Jahre 1597, ist der einzige vollständig erhaltene Galgen Deutschlands. Er besteht aus drei Sandsteinsäulen, die etwa fünf Meter hoch sind. Auf ihnen ruhen im Dreieck angeordnet Querbalken, weshalb man hier von einem „dreischläfrigen Galgen“ spricht.

Der dreischläfrige Galgen bei Beerfelden

Wie viele Delinquenten hier im Laufe der Zeit gehängt wurden, ist nicht bekannt, denn die meisten Dokumente wurden 1810 beim großen Brand in Beerfelden vernichtet. Aber für die Bewohner der Region war jede Hinrichtung eine ganz prima Sache mit beträchtlichem Unterhaltungswert, zu der man gerne mit der ganzen Familie ging. Doch alles hat ein Ende, hier wohl 1804. Eine Zigeunerin (ich weiß, dass diese Bezeichnung jegliche „political correctness“ vermissen lässt) stahl für ihr krankes Kind ein Brot und zwei Hühner und wurde zum Tod durch den Strang verurteilt.

Irgendwo habe ich gelesen, dass die zuständigen Richter und Grafen von Erbach wohl immer sehr milde geurteilt haben und dass der Galgen deshalb gar nicht so oft genutzt wurde. Aber wenn ich das im Zusammenhang mit dem Tatbestand betrachte , der in Beerfelden zur letzten Hinrichtung führte, möchte ich nicht ich nicht wissen, was hier los war, wenn die sauer waren.

Der dreischläfrige Galgen bei Beerfelden

So, mal locker zum Hundertfünfzigsten durch fast zweitausend Jahre gepoltert. Zeit nach Hause zu fahren. Vielleicht klaue ich mir noch irgendwo ein Huhn und ein Brot oder ich lasse mich zur Feier des Tages einfach hängen. Auf dem Sofa. Mit einem Gin Tonic, aber zwei klingen besser. Bis nächste Woche.

Fotografie: Thomas Hobein

(Auf der Fahrt und beim Schreiben gehört: „A Head Full of Dreams“, von Coldplay – verpasst nicht den hidden track zwischen „Army of Love „ und „Amazing Day“)

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2 Kommentare zu “Einhundertfünfzig

  1. Dirk

    Herzlichen Glückwunsch! 150 tolle Artikel, das ist wirklich eine Menge.

  2. Super Bericht zum 150. Blog-Beitrag!

    Eine Bemerkung zum Garum – das ist wohl ärger gewesen als die bekannte asiatische Fischsauce oder die sündteure Colatura aus Italien.
    In Thailand macht man eine Würzsauce indem man Fisch einsalzt und in einen verschließbaren Behälter gibt. Dieser wird dann fermentieren lassen – d.h. der Fisch verflüssigt sich im Laufe des Prozesses und heraus kommt eine braune, dickflüssige Brühe namens „Pla Ra“. Man verwendet sie gerne im Som Tam, dem Salat aus grüner Papaya. Hier kennen wir diesen Salat eher als „abgeschwächte“ Version, wo man das Pla Ra durch normale Fischsauce ersetzt. Übrigens – auf Koh Samui geht man noch einen Schritt weiter und macht eine Sauce aus Fisch-Innereien. Ich glaube diese Sauce kommt dem Garum der Römer schon sehr nahe. Siehe auf meinem Blog:

    https://www.thaifreun.de/post/aer-pung-plaa-ein-curry-mit-fermentierten-fisch-innereien

    Na dann – Prost Mahlzeit!

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