Endlich Selbstversorger
In Deutschland teilen sich rund 226 Einwohner einen Quadratkilometer – im mittelschwedischen Ljusarsberg nur acht. Unter ihnen Claudia Weber, aufgewachsen in Seeheim-Jugenheim und lange Zeit Wahl-Groß-Umstädterin. Seit 2011 lebt sie als Selbstversorgerin mitten im schwedischen Wald mit Ziegen, Schafen, Hühnern, Enten und Katzen. Ihr Briefkasten liegt drei Kilometer von ihrem Haus entfernt, zum nächsten Nachbarn braucht sie etwa fünf Kilometer. Das muss man wollen, denke ich. Also habe ich mal angerufen und nachgefragt.
Als Jan Steinert aus Groß-Umstadt mir von Claudia Weber und ihrer Facebook-Seite erzählt, bin ich sofort interessiert. Das ist was für meinen Blog. Ich bitte ihn, Claudia von mir zu erzählen, um sie auf meine Neugier vorzubereiten. Das macht er und ich wähle ihre Nummer in Schweden.
Es ist früher Abend und sie kommt gerade aus dem Stall, sagt sie mit angenehmer, gelassener Stimme. Sie klingt jung und offen und für meine Ohren kein bisschen nach Südhessen. Und was mir wichtig ist, da schwingt trotz ihrer konsequenten Lebensweise nichts Missionarisches mit, in dem, was sie sagt. So was nervt mich nämlich. Aber hier – zum Glück keine Spur davon.
Vergangenheit im Schnelldurchlauf
Sie heißt Claudia Weber, Jahrgang 1969, ist in Seeheim-Jugenheim aufgewachsen und hat lange im „schönen Groß-Umstadt“ gelebt, wie sie sagt. Gelernt hat sie Floristin und Außenhandelskauffrau. Es folgten über zwanzig Jahre lang Bürojobs, unter anderem bei Dell in Frankfurt.
2007 hat sie dann mit ihrem Ehemann in Schweden ein Haus gekauft – bereits damals ohne Strom und Wasser, aber bereits mit dem Ziel, sich möglichst umfassend selbst zu versorgen. Dann klappte es mit der Auswanderung erst mal nicht. Es folgten bewegte Jahre zwischen Deutschland, Schweden und der Schweiz. Erst 2011 zogen sie endgültig nach Schweden. Aber es hat nicht lange gedauert, sagt sie, da haben sie sich getrennt. Seitdem schlägt sie sich alleine durch, schließt sie ab.
Haus und Hof hat sie in der Folge gewechselt, aber ihr Ziel, sich möglichst selbst zu versorgen, verfolgt sie weiterhin mit voller Energie – jetzt in der Umgebung von Kopparberg und wohl noch intensiver als zuvor.
Von Schwedenrot und Cider
Wer Kopparberg googelt, findet wahrscheinlich zuerst die Produkte aus der gleichnamigen Brauerei. Denn Kopparberg Cider ist heute Schwedens meistverkaufter und exportierter Apfelwein, beziehungsweise Cidre oder Cider. Also ist meine Gesprächspartnerin aus dem deutschen Apfelwein County „Südhessen“ direkt ins schwedische Apfelwein-Mekka ausgewandert.
Der Ort Kopparberg – 59° 53′ N, 14° 59′ O – ist Teil der Gemeinde Ljusnarsberg und liegt etwa 250 Kilometer westlich von Stockholm in Mittelschweden. Der Name leitet sich aus dem früheren Kupferbergbau ab (Kupferberg). Aus dem Abraum des Kupferbergbaus wird übrigens das Pigment Falunrot gewonnen, das als typische Außenfarbe der schwedischen Holzhäuser weltweit bekannt ist.Schwedenrot ist selbstverständlich auch Claudias Holzhaus in der Nähe von Kopparberg.
Das Plumpsklo steht nicht weit vom Haus entfernt
Mein Briefkasten steht drei Kilometer entfernt und der nächste Nachbar wohnt fünf Kilometer entfernt, sagt sie. Ihr Hof steht nämlich mitten im Wald und liegt eingefasst von einer Steinmauer auf einer Anhöhe. Die Aussicht ist grandios, ergänzt sie. Und dass die letzten sechshundert Meter zum Haus sind sehr steil sind. Regenfälle zerstören oft den Weg, so dass sie das Auto meist am Fuß des Hügels stehen lässt und den Rest zu Fuß geht oder mühelos mit ihrem Quad bewältigt. Das gesamte Grundstück ist anderthalb Hektar groß und besteht größtenteils aus Weidefläche für ihre Ziegen und Schafe.
Das rote Holzhaus hat eine Fläche von ungefähr einhundertzwanzig Quadratmetern und ist mit Badewanne und Sauna ausgestattet – nur zur Toilette muss sie nach draußen. Für Strom sorgt ein Generator, geheizt wird im Winter mit selbstgehacktem Holz. Der Wasserspeicher auf dem Speicher versorgt sie mit fließendem Wasser, dass allerdings vorher nach oben gepumpt werden muss. Im länglichen Nebengebäude befinden sich die Ställe und ausreichend Platz für Heu und Holz.
Um das Haus herum baut sie unterschiedliche Gemüsesorten an. Ein Zaun soll die Erträge vor den immer hungrigen Ziegen schützen. Doch einige Male im Jahr gelingt es den gierigen Räubern, in den Garten einzudringen. So haben sie gerade Claudias Vorhaben selbst Sauerkraut herzustellen vereitelt, weil sie sich über Garten und Kohl hergemacht haben.
Im Winter kommen die Zicklein auf die Welt
Nachdem das Wer und das Wo geklärt sind, will ich natürlich wissen, warum sie das alles tut. Warum sie dieses einfache Leben führt. Denn weniger arbeiten zu wollen als in „Mainhatten“, kann wohl kaum der Grund sein, wenn man sich die Fülle ihrer Aufgaben ansieht.
Zuerst mal arbeitet sie bei der Gemeinde Kopparberg, um ihr Leben zu finanzieren. Dort arbeitet sie im Sommer Vollzeit und bleibt dann im Winter zweieinhalb Monate auf ihrem Hof. Das passt ganz gut in ihr Leben als Selbstversorgerin, denn in dieser Zeit werden die Zicklein geboren.
Überhaupt gilt es jeden Tag, die Tiere zu versorgen, die Ziegen zu melken, den Garten zu bearbeiten, Gemüse einzulegen, Käse herzustellen, den Hof Instand zu halten, Feuerholz für den Winter zu hacken, den Haushalt zu erledigen, täglich Entscheidungen zu treffen, die ihr niemand abnimmt und Rückschläge wie den Überfall der Ziegen auf ihren Garten zu verdauen. Unterm Strich ist dieser Job ja wohl alles andere als 9 to 5 (Dolly Parton), aber dafür Eight Days A Week, wie die schon Beatles sangen. Also warum?
Sie erzählt am Telefon von Büros in Frankfurt, in denen sie sich nie sonderlich wohlgefühlt hat, von überfüllten Pendlerzügen, unfreundlichen Menschen auf dem Weg zur Arbeit und dem Mietshaus ohne eigenen Garten in Groß-Umstadt. Und davon, wie gut sie sich jetzt inmitten der Natur mit ihren Tieren fühlt. Und was es ihr bedeutet, dass ihre Tiere ein gutes Leben haben, dass sie ihre Lebensmittel zum größten Teil selbst produziert und das man das auch so richtig schmeckt. Das alles erzählt sie auf undramatische eine Weise, macht aber trotzdem deutlich, wie wichtig es ihr ist und auch, dass sie nicht zurück in ihr altes Leben will.
Eine Stunde nach dem Telefonat, erreicht mich ein E-Mail, dessen wesentlichen Teil ich hier unverändert wiedergebe:
„Hey, bin jetzt mit melken, spülen und essen fertig. Beim Melken bin ich unser Gespräch nochmal durchgegangen und hätte zu dem „warum“ noch was zu ergänzen.
Warum ich das Ganze, im Gegensatz zu meinem Exmann durchziehe, ist wohl die Liebe zur Natur. Das hat mir wohl meine kleine Oma (Uroma) mitgegeben. Sie hatte einen ganz tollen Garten. Der war für mich wie ein Paradies. Ich fühle mich hier geborgen im Wald. Auch wenn ich alleine lebe, heißt das nicht dass ich unsozial bin. Ich habe sehr viele Freunde, mit denen ich mich treffe und mit meinen Arbeitskollegen verstehe ich mich auch super. Aber ich brauche hier diesen Rückzugsort.“
Es gibt also für Claudia Weber nicht den einen Grund, sondern eine Vielzahl. Und ihr Leben basiert nicht auf romantischen Vorstellungen vom Leben auf dem Lande, sondern auf einer Folge von echten Bedürfnissen, ethischen Überzeugungen und bewusster Entscheidungen. Und wohl auch auf der nachvollziehbaren Sucht nach solch wunderbaren Momenten ganz dicht am Leben, wie im Winter, wenn die Zicklein auf die Welt kommen.
Das Projekt
Seit Februar 2019 hat sie noch einen Zahn zugelegt. Sie will zwölf Monate lang ausschließlich von dem leben, was sie selbst erzeugt. Ausnahmen sind nur Dinge wie Essig, Öl und Gewürze. Und das Tauschen von Produkten erlaubt sie sich auch – beispielsweise im Frühjahr eine Ente gegen Kartoffeln und Gemüse aus ihrem Garten. Ziel dieses Projekts ist es, noch effektiver die eigenen Möglichkeiten zur Selbstversorgung zu nutzen, da ja zum Beispiel das Futter für die Tiere nicht gerade billig ist.
Sie erläutert dazu: „Ich habe es Projekt genannt, weil ich es zeitlich auf ein Jahr eingrenzen wollte. Natürlich ist es aber meine Lebensweise, Selbstversorger zu sein. {…} Ich hatte mir das schon seit Jahren vorgenommen, aber war dann doch öfters einkaufen – vor allen Dingen Butter, weil die besser als Ziegenfett schmeckt. Und Ziegenbutter hab ich bis jetzt nicht hinbekommen.“
Das Projekt endet im Februar 2020, nicht jedoch Claudias Leben als Selbstversorgerin auf ihrem Hof. Sie wird dann sicher Erkenntnisse aus den zurückliegenden Monaten gewonnen haben, Anpassungen vornehmen können und die Grenzen neu definieren, wie autark sie leben will und kann. Und vielleicht gönnt sie sich dann doch gelegentlich noch ein Stück „Gute Butter“. Oder eine schöne Tasse Kaffee, den sie sich eigentlich abgewöhnen will. Ich jedenfalls gönne es ihr.
Wer den Weg von Claudia Weber weiter verfolgen möchte, findet sie unter ihrem Namen auf Facebook und auf Instagram unter „endlichselbstversorger“. Außerdem überlegt sie momentan, wie sie einer breiteren Öffentlichkeit von ihrem Leben erzählen kann. Also vielleicht erscheint irgendwann ein Buch über das Leben auf ihrem Hof bei Kopparberg. In Mittelschweden. Zweihundertfünfzig Kilometer westlich von Stockholm.
Mehr über Claudia hier im Blog: Claudias Ziegenkinder
Die Gespräche mit Claudia habe ich telefonisch und per E-Email geführt.
Die Fotos stammen von Claudia Weber.
(Beim Schreiben u.a. gehört und mir einen Sonnenuntergang im Wald Mittelschwedens vorgestellt: „Leave The World Behind You“ von Lune )
Sehr schöner Artikel! Ich kann all das bestätigen. Claudia ist eine wunderbare Frau und eine geniale Freundin! Ich schätze sie sehr.
Danke für diesen Artikel, es geht auch anders wie das Beispiel Claudia zeigt. Einfach stelle ich mir das Leben dort nicht vor. Jedoch wünsche ich Ihr immer Gesundheit und Kraft für ihr Vorhaben.
Grüße aus der Pfalz
Hallo Claudia! Ich würde dir gerne auch ein Päckchen aus Deutschland schicken….hab deine Adresse aber nicht gefunden. Ich heisse Dagmar und wohne in der Nähe von Wertheim. Das sind 100 km von Frankfurt entfernt. Bin 60 Jahre alt und hab einen Bauernhof mit meinem Mann. Ich würde mich freuen wenn du dich meldest…und schreibe mir auch gleich dazu mit was ich dir eine kleine Freude machen kann. In diesem Sinne noch eine friedvolle Vorweihnachtszeit. Herzliche Grüsse Dagmar.
Hallo Dagmar,
vielen Dank für deine Nachricht, aber ich bin nicht Claudia, sondern nur der, der den Artikel über sie geschrieben hat. Aber alles kein Problem, ich habe dein Schreiben an Claudia in Schweden weitergeleitet. Ich denke, sie wird dir bald antworten.
Gruß aus Darmstadt
Thomas