Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Zurück in die Zukunft

oder von der Renaissance historischer Rebsorten

Einst schrieb der nach vorne orientierte Schiller in seinen  Räubern von Sturm und Drang geplagt: Das Neue dringt herein mit Macht. Das stürmt und drängt jetzt auch wieder. Nur ist es das Alte – das alte Vermächtnis historischer Reben. Rund einhundert davon, also quasi ausgestorbene Sorten sind in Heppenheim auf dem „Erlebnispfad Wein und Stein“ wieder gepflanzt worden, als entscheidender Teil der Zukunft des Weinbaus im Zeichen des Klimawandels.

 

An der Oberweser liegt etwas südlich der Münchhausenstadt Bodenwerder der zugehörige Ortsteil Rühle. Und dort erhebt über diesem Örtchen am Weserstrom ein Hügel, der Weinberg genannt wird und auch optisch daran erinnert. Schon als Kind – wenn ich mit meinen Eltern von Hameln aus zum Campen fuhr – fiel mir der Unterschied zur Umgebung auf, aber Wein sagte mir wenig – mein Vater hatte eher mit Bier zu tun. Also wollte ich nach Kinderart wissen: „Warum?“ Und alsbald wurde ich profund in Kenntnis gesetzt: „Die haben das da mal versucht anzubauen, hat aber nicht geklappt“, sagte man mir. Heute weiß ich, dass nur der Blödsinn dieser Auskunft profund war. Tatsächlich bauten in alten Zeiten Mönche aus dem nahegelegen Zisterzienserkloster Amelungsborn dort Wein an.

Das alles fällt mir ein, als ich mit Reinhard Antes entlang historischer Rebsorten am Steinkopf in Heppenheim gehe, er mir dabei Sorten vorstellt und Zusammenhänge erklärt. Eben auch, dass es im Mittelalter wesentlich wärmer war als in den späteren Jahrhunderten, erläutert er. Zu dieser Zeit wurde bis an die Küste der Ostsee Wein angebaut. Das war auch notwendig, denn in den langsam wachsenden Städten war das Trinken von Wasser lebensgefährlich – also mussten Bier und Wein her und wurden auch gern genommen. In Bayern ist Bier ja noch heute gesetzlich kein Genuss- sondern ein Lebensmittel. Wie dem auch sei – diese mittelalterliche klimatische Warmphase (etwa 900 -1300) erklärt eben auch, warum in Niedersachen ein Hügel noch heute Weinberg heißt. Und die zurückliegenden Jahrhunderte, warum die Bedeutung des Namens vergessen wurde. Denn es wurde in Europa kälter und kälter und die Trauben zogen sich zurück.

 

Reben sind widerstandsfähige Früchtchen, aber nicht in jedem Fall

Historisch gesehen ist Wein ein Globetrotter, entnehme ich den Ausführungen meines Heppenheimer Gastgebers. Und tatsächlich – wer verbindet schon Gegenden wie Aserbaidschan mit Rebensaft. Aber da ist er nu mal wech, wie wir Südniedersachsen sagen täten. Ist quasi ums Schwarze Meer und dann ans Mittelmeer gewandert bis er an der Ostsee ankam. Dabei haben sich die einzelnen Sorten angepasst, verbunden, verändert oder sind verschwunden – je nach vorgefundenen Bedingungen. Dann kamen der Dreißigjährige Krieg und die sogenannte „Kleine Eiszeit“. Das vertrugen viele Rebsorten genau so wenig wie viele Frauen Paprika. Nur frostresistente Sorten kamen durch.

Dennoch wurden gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts am Kaiserstuhl noch über vierhundert Rebsorten zum Verkauf angeboten. Doch dann kam die Reblaus aus Amerika. Allein in Frankreich vernichtete sie etwa 2,5 Millionen Hektar Rebfläche. Wieder verschwanden Sorten.

Umdenken war gefragt. Und wie in der Landwirtschaft überhaupt setzte man auch im Weinbau seit etwa 1900 auf leistungsfähige Gewächse, Vielfalt war nicht mehr gefragt. Damit verschwand auch der gemischte Satz aus den Weinbergen und wich den heutigen Monokulturen. Zurück blieben die uns bekannten Sorten.

 

Nicht die Sorte, sondern die Herkunft zählte

Während sich heute der geneigte Weintrinker eher einer Sorte hingibt, wie zum Beispiel dem Riesling oder dem Weißburgunder, zählte früher eher die Herkunft des Weines. Das weiß auch schon Ernst Nibergalls Darmstädter Original, der Datterich. Als der Filou nämlich den Schmidt genötigt hatte, „e Flasch Rohde“ auf dessen Kosten zu bestellen, ergänzt er: „Asmannsheiser!“ Und niemand wusste besser, was gut ist, als der Datterich.

„Gemischter Satz“, erklärt Reinhard Antes, während ich die Beere einer alten Sorte probiere, die nach Orange schmeckt. Mein Gehirn weigert sich aber, diesen Geschmack zu akzeptieren, bis ich den Namen der Sorte erfahre: Orangentraube. Ist doch klar, sagt dann mein Hirn zu mir und ich zu meinem Hirn: Klugscheißer.

Gemischter Satz – das bedeutet, in einem Wingert findet man wie heute üblich nicht nur eine Rebsorte, sondern verschiedene Sorten, die zu einem Wein verarbeitet werden. Im Gegensatz zu einer Cuvée, die aus verschiedenen reinen Rebsorten verheiratet wird. Es zählte also am Ende nicht unbedingt die Rebsorte, sondern das Gemisch, was eher mit der Herkunft in Verbindung gebracht wurde – eben wie beim Asmannheiser vom Datterich.

Heute ist der gemischte Satz bei Winzern und Weinkennern wieder der „geile Scheiß“ und voll im Kommen. Die Idee eröffnet Winzern ja auch unglaubliche Gestaltungsmöglichkeiten. Und dafür ist das Weingesetz in Österreich auch völlig offen. Alles darf rein und freier Lauf für Kreativität und Handwerk. In Deutschland widmet man sich stattdessen lieber wieder dem Regulierungswahn. Schließlich hat sich ja der Gemischte Satz aus Baden deutlich von dem aus Rheinhessen zu unterscheiden. Jawoll, ja.

Doch zurück zu den historischen Reben. Während wir durch die Reben streifen, erlebe ich die Vielfalt dieser rund einhundert Sorten. Unterschiedlichste Farben, Blattformen, Trauben- und Beerengrößen, gestreifte Beeren und mehrfarbige Trauben begegnen uns – pure Vielfalt eben. Einige pralle Trauben tun so, als stammten sie direkt aus dem Schlaraffenland, andere magere Gesellen wollen eher durch Geschmack überzeugen. Und alles dazwischen gibt es auch. Die Frage ist nur, wo kommen die als ausgestorben geltenden Gewächse her? Oder die Sorten, von denen man gar nichts mehr wusste.

Den Reben auf der Spur

Ich erfahre von Andreas Jung. Dieser Biologe, Ampelograph (Rebsortenkundler) und Völkerkundler hat im Auftrag des Bundes ein Projekt zur Erfassung rebengenetischer Ressourcen in Deutschland über drei Jahre durchgeführt. Dabei entdeckte er bei seiner geradezu detektivischen Arbeit über 350alte Rebsorten, wovon etwa ein Drittel als nicht mehr existent galt. Ein Ergebnis der Forschungen – von regionaler Bedeutung für Südhessen – war, dass der heute so beliebte Zinfandel/Primitivo aus Italien oder Kalifornien nachweislich seit über vierhundert Jahren an der Bergstraße angebaut wurde und heute wieder angebaut wird. Denn die Rebveredlung Antes hat diesen Rotwein in Kooperation mit Andreas Jung wieder kultiviert.

Überhaupt stellt die Bergstraße mit über achtzig historischen Rebsorten die Region mit der größten Vielfalt und der höchsten Sortendichte in Deutschland dar. Deshalb hat man sich entschlossen, viele dieser Weine als Teil des Erlebnispfades Wein und Stein der Bergsträßer Winzer eG in Heppenheim anzupflanzen, um einen aktiven Beitrag zu ihrer Erhaltung zu leisten.

Tatsächlich stellen diese „Überlebenden“ einen vielfältigen Genpool* für Züchtungen dar, mit denen man auf die aktuelle Klimaerwärmung reagieren kann. Denn dass die Bedingungen sich bereits geändert haben, zeigt sich daran, dass bereits auf Sylt, in Polen und sogar in England Weinbau betrieben wird. Selbst in Skandinavien bereitet man sich vor. Schweden und Dänemark sind bereits Weinbauländer und selbst in Norwegen gibt es etliche Pflanzungen. Dagegen wird es hier dem Riesling so langsam viel zu warm.

So, abschließend möchte ich mich bei Reinhard Antes für einen interessanten Nachmittag an der Bergstraße bedanken. Und für euch, die ihr nur Riesling, Cabernet Sauvignon und Co. kennt, nenne ich noch einige Namen, stellvertretend für die neuen Alten: Weißer Olber, Weißer Elbling, Orangentraube, Fürstentraube, Roter Heunisch, Ofner, Gelbhölzer, Scheuchner und Fitzrebe.

*Um hier jegliche Missverständnisse bei allen „In-den-falschen-Hals-kriegern“ zu vermeiden: Es geht nicht um Genmanipulation. Nein. Nein.

Die Rechte zu allen Fotos liegen dieses Mal bei Reinhard Antes aus Heppenheim. Ich hatte mir extra ein ganz wunderbares Macro-Objektiv (100mm) von fotogena in Darmstadt geliehen, um den Beeren so richtig auf die Pelle zu rücken. Aber just im Weinberg begann es zu regnen. Das muss man in diesem Jahr erst mal schaffen. Ich habe es geschafft.

Die einzelnen Sorten in der Reihenfolge der Abbildungen: Tressot Panaché (Titelbild),  Frühroter Veltliner, Schwarzer Muskatgutedel, Hartschwarz, Roter Scheuchner, Cornet, unbekannte Rebsorte, Black Hamburg, Mathias Janoszna, Gänsefüsser, Augusta Luise, Möhrchen, Grec rosé, Negrette, Blanchier, Süßschwarz, Tressot Panaché, Roter Trollinger, vielleicht Blauer Welschriesling, Kerner, vielleicht Ahornblättriger Wippacher

(Beim Schreiben u.a. gehört: The Future Of The Future (Stay Gold) – natürlich von Everything But The Girl)

 

 

 

 

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