Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Jürgen Katzenmeier gibt uns Saures

Zu Besuch in der Essigmanufaktur zur Freiheit im Odenwald
Jürgen Katzenmeier in der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-Laudenau

Es war einmal ein Koch, der suchte einen richtig guten Senf für die Küche seines Gasthofes im Odenwald. Er fand keinen, der ihm so recht schmecken wollte. Also beschloss er, selbst welchen zu machen. Und dazu brauchte er so richtig guten Essig. Also beschloss er, selbst welchen zu machen. Das war 2008. Inzwischen ist der Gasthof geschlossen und Jürgen Katzenmeier widmet sich voll und ganz seinem Essig. Und seinem Senf. Und seinen Salat-Dressings. Und an einem späten Vormittag im Juli meinen Fragen.


Wir pflanzen uns an einen verwitterten Tisch im Garten des ehemaligen Gasthofs „Zur Freiheit“. Es ist angenehm warm und absolut windstill. Wir sind von Grün umgeben und am blauen Himmel hängen keck weiße Wölkchen über uns. Totales Ansichtskartenfotografierwetter (siehe auch: „Wo wilde Weibchen wohnten“ – die Bilder entstanden unmittelbar nach diesem Gespräch).

 

Was genau ist Essig eigentlich?

Jürgen Katzenmeier in der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-Laudenau„Das ist eines der ältesten Würz- und Konservierungsmittel der Welt,“ erklärt Jürgen, während er Mineralwasser einschenkt. Oma hat ihren Essig auch noch selbstgemacht. Sie wusste, dass man Bier oder Wein einfach aufs Fensterbrett stellen musste. Der wurde dann schon ganz allein zu Essig. Meistens jedenfalls. Denn eine gehörige Portion Zufall war dabei im Spiel. Zwar war der Essig (lat. acētum)schon im Altertum bekannt, aber wie er entsteht, weiß man erst seit der Begründung der Bakteriologie im neunzehnten Jahrhundert. Wie Louis Pasteur 1868 veröffentliche, entsteht die saure Würze nämlich durch die Umwandlung alkoholhaltiger Flüssigkeiten mittels Essigsäurebakterien – mit Hilfe also kleinster Lebewesen. Der Fachbegriff lautet Fermentation – die Umwandlung von Stoffen durch Bakterien oder Enzyme. Beim Sauerkraut und beim Sauerteig für unser taäglich Brot erledigen das zum Beispiel die Milchsäurebakterien.

Industriell wird Essig heute in unterschiedlichsten Verfahren produziert – auch synthetisch oder auf Basis von Holzabfällen. Jürgen Katzenmeier hat sich dagegen ganz und gar dem Gärungsessig verschrieben, gemacht aus besten regionalen Grundstoffen.

 

Alles beginnt im eigenen Garten oder in der Nachbarschaft

Jürgen Katzenmeier in der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-Laudenau Wir streifen durch die Streuobstwiesen. Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Quitten für die Essige – rund zwanzig Sorten sind es insgesamt – wachsen hier vor der Haustür in Laudenau, Früchte wie Waldbrombeeren, Himbeeren oder Tomaten bezieht der Essigmacher von Erzeugern in der Region, die er persönlich kennt. Für den Bockbieressig (ähnlich dem berühmten englischen Malt Vinegar für Fish and Chips) dient das Rosé-Bockbier von Schmucker als Grundstoff. Sieht man mal vom Bockbier ab, verarbeitet Jürgen Katzenmeier die vollreifen Früchte, weil sie dann am aromatischsten sind und am intensivsten schmecken.

Nach der Ernte werden die Früchte gewaschen und in einer Obstmühle zerkleinert. Diese Maische wird dann unter Zugabe von Reinzuchthefen in einem Gärbottich kühl vergoren. Manche Früchte – wie die Äpfel – werden aber noch zu Saft gekeltert, bevor sie vergoren werden. Bei manchen Sorten führt die Maische zum besseren Ergebnis und bei anderen der Direktsaft. „Erfahrungen, die du erst mal machen musst,“ sagt mein Gastgeber.

 

Deckel druff und gären lassen

Jürgen Katzenmeier in der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-LaudenauZeit ist nicht Geld, Zeit ist Qualität. Jedenfalls hier in der Essigmanufaktur. Die Gärung dauert je nach Frucht entspannte zwei bis vier Wochen. Die optimale Temperatur liegt dabei zwischen zwölf und zweiundzwanzig Grad Celsius. Wärmer sollte es nicht sein, weil dann zu viele Aromen entweichen und die Gärhefen schlapp machen oder sogar ganz die Arbeit einstellen.

Die Deckel der Gärbehälter haben in der Mitte ein Loch, in das der Gärspund eingesetzt wird. Das ist so eine Art mit Wasser gefülltem Ventil, durch welches das entstehende Kohlendioxid entweicht – sonst besteht Explosionsgefahr. Denn wie beim Wein wird während der alkoholischen Gärung der Fruchtzucker der Maische oder des Saftes in Alkohol und Kohlendioxid umgewandelt. Dabei steigt der Druck und das Fass würde bersten, wenn das Kohlendioxid nicht durch den Gärspund entweichen könnte.

Nach der Gärung nimmt sich der junge Fruchtwein noch einmal genügend Zeit, um feine, harmonische Aromen zu entwickeln. Erst dann wird der Fruchtwein vorsichtig von der Hefe getrennt, denn die wird nicht mehr benötigt. Das dauert weitere sechs bis acht Wochen. Wie gesagt, Zeit ist Qualität.

 

Der Essig ist ein Muttersöhnchen

Jürgen Katzenmeier in der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-LaudenauWir reden weiter während wir die Freiheit betreten und den Hausflur entlang gehen. Der windet sich zwischen Gebäudeteilen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Dann stehen wir in einem weiß gekachelten Raum vor einem Edelstahlzylinder. Das ist der Fermenter. Darin wird der Wein zu Essig.

Zuerst kommt ein wenig des vergorenen Weines in das Gerät. Eine Pumpe im Fermenter wälzt die Flüssigkeit ständig um. Und während der Wein in Bewegung ist wird ihm permanent Sauerstoff zugeführt. Den brauchen die Essigbakterien, um den Alkohol in Essigsäuere umzuwandeln. Dabei werden Alkohol und Sauerstoff zu Essigsäure und Wasser – in Verbindung mit den Aromen der jeweiligen Sorte.

Ethanol + Sauerstoff → Essigsäure + Wasser

Doch natürlich müssen auch noch Essigsäurebakterien in den Ansatz, damit es losgehen kann. Das geschieht durch die Zugabe des Essigstarters. In diesem Fall wird der Start der Veressigung durch einen bereits in Gärung befindlichen Essig initiiert.

Der Starter kann aber auch eine transparent-glibberige Masse sein, die an einen unförmigen Gelatineklumpen erinnert. Sie besteht aus einem nur teilweise veressigten Fruchtwein. Es ist wie der Sauerteig beim Brotbacken, durch den Generationen von Brot verwandt sind. Vielleicht wird der Glibber auch deshalb als Essigmutter bezeichnet.

Essigmutter kann sich übrigens auch zuhause im Essig bilden. Das mindert weder die Qualität noch den Geschmack – sieht nur nicht lecker aus. Also Augen zu und weiterverwenden, aber nicht wegschütten.

 

Wenn es im Fermenter nach UHU riecht ist alles bestens

Der Ansatz wird bis zu einigen Wochen im Fermenter bewegt und mit Sauerstoff versorgt. Jürgen überprüft das zweimal täglich. Wenn alles glatt läuft und der Alkohol des Fruchtweines  beginnt sich in Essigsäure zu verwandeln, entwickelt er einen Klebstoff ähnlichen Duft – UHU-Ton genannt. Dieser Geruch verschwindet irgendwann wieder. Daran erkennt man dann, dass sich der Essig seiner Fertigstellung nähert.

Jetzt wird ein Teil des nahezu fertigen Essigs entnommen und eingelagert. Der in der Anlage verbleibende Rest wieder mit neuem Grundwein aufgefüllt, die Bakterien haben neues Futter und produzieren weiter fleißig Essig. Und das Schöne ist, dass bei der Action im Fermenter die ganzen Aromen der hochwertigen Grundstoffe erhalten bleiben.

Abschließend werden die Essige für mindestens sechs Monate – manche für Jahre – gelagert, bevor sie in Flaschen abgefüllt werden. Dazu macht es sich in Laudenau der Apfelessig in Eichenholz-Barrique-Fässern bequem, andere Sorten fühlen sich in Glasballons, Polyethylen- oder in Edelstahlfässern wohl. In dieser entscheidenden Zeit entwickelt der Essig seinen typischen Charakter und seine Feinheiten. Der verbliebene Alkohol wird bis auf einen winzigen Rest abgebaut, die Säure harmonisch in den Essig eingebunden und die Fruchtaromen treten verstärkt in den Vordergrund. Dann ist der Jungspund erwachsen und darf in die Flaschen – ungefiltert. Denn während der Lagerung hat sich der Essig größtenteils selbst geklärt. Eine Feinfiltration entfällt deshalb und die tollen Aromen bleiben dort, wo sie hingehören. Im Essig aus der Essigmanufaktur zur Freiheit.

 

Von Essig, Senf und Dressing

In der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-Laudenau Alles begann mit der Suche nach richtig gutem Senf. Den hat der Herr Katzenmeier selbstverständlich auch im Programm. Ebenso wie eine Reihe von fertigen Salatdressings, die er unter dem Namen „mein Dressing“ anbietet. Und an Ideen für weiteres mangelt es auch nicht gerade. So veranstaltet er mehrmals im Jahr Essigseminare für Interessierte – von der Hausfrau bis zum Essig-Profi.

Mein Dressing aus der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-Laudenau Hier endet mein Besuch bei Jürgen Katzenmeier. Seine Produkte finden sich inzwischen weit über die Region hinaus in Feinkosthandlungen oder Verbrauchermärkten. Die Tore zum Verkaufsraum im ehemaligen Gasthaus und jetzigen Essigmanufaktur Zur Freiheit öffnet er samstags um 11:00 Uhr. Und dann gibt es Saures. Von Jürgen Katzenmeier. In Laudenau. Im Odenwald.

In der Essigmanufaktur "Zur Freiheit" in Reichelsheim-Laudenau Fotografie: Thomas Hobein

(Beim Schreiben u.a. gehört: „I Am Easy to Find„ von The National)

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