Nose to tail
1999 veröffentlichte Fergus Henderson das Kochbuch „Nose to Tail Eating: A Kind of British Cooking“. Dabei geht es dem studierten Architekten und kochenden Autodidakten darum, dass man aus Respekt vor den geschlachteten Tieren möglichst alles verwerten sollte. Entsprechend legt er in seinen Ausführungen großen Wert auf die Zubereitung von Innereien. Sein Buch erfreute und erfreut sich weltweiter Beachtung, insbesondere in Fachkreisen. Henderson ist inzwischen auch mit einem Michelin Stern bewertet. Doch wie nimmt ein breites Publikum seine Philosophie auf. Wir haben mal mit Metzgermeister Steffen Urich in Bad König darüber gesprochen.
Bevor es losgeht, vielleicht noch einige Fakten zum Fleischkonsum in Deutschland. Insgesamt essen Deutsche immer weniger Fleisch. 2017 ist der Pro-Kopf-Verbrauch erstmals unter sechzig Kilogramm gesunken. Der Rückgang ist wohl in erster Linie auf den steigenden Verzicht auf Schweinefleisch zurückzuführen. Dennoch ist das Schwein mit rund fünfunddreißig Kilogramm pro Kopf das meistvertilgte Tier, gefolgt von Geflügel mit etwa zwölf und Rindfleisch mit zehn Kilo. Lamm, Ziege, Wild oder Kaninchen liegen unter einem Kilo.
Für unser Thema ist dabei bedeutend, dass zum Beispiel nur etwa ein Drittel vom Rind im Fokus der Verbraucher steht – die so genannten Edelstücke. Eben Fleisch ohne Knochen und bloß ohne Fett. Die Stücke sollen möglichst nicht an ihre tierische Herkunft erinnern. Und Hendersons Innereien verkommen dabei zur Bedeutungslosigkeit. Der Verbrauch an Innereien liegt in Deutschland weit unter einem Kilo pro Kopf. Da stellt sich die Frage, wie geht ein Metzger damit um, dass zwei Drittel eines Schlachtviehs nur wenig beliebt sind. Landmetzgerei Urich in Bad König an einem ganz normalen Arbeitstag:
Das Interview
E!G. Steffen, sieht man sich das Verbraucherverhalten an, ist „Nose to tail“ da nicht nur ein Strohfeuer?
S.U.Nun, ob Strohfeuer oder nicht. Das ist zuerst mal eine Frage der Haltung. Eine Frage des Respekts vor den Tieren, die wir essen. Es kann doch nicht sein, dass wir etwa ein Drittel davon nicht verwerten können.
Aber klar, auch wir können nicht an unseren Kunden vorbei arbeiten. Schließlich müssen wir von unserer Arbeit leben. Die Blutwurst ist ein Beispiel. Viele Leute mögen die heute nicht mehr. Also sinkt die eigentlich mögliche Produktionsmenge und das übrige Blut kommt zur Konfiskatentsorgung … gefällt uns nicht, geht aber nicht anders.
E!G. Gut, aber sonst verwertet ihr möglichst viel von den Tieren, die ihr schlachtet?
S.U. Ja, das Fleisch verarbeiten wir komplett. Das müssen wir auch. Sonst könnten wir nicht mit Landwirten aus der Region zusammenarbeiten und denen vernünftige Preise garantieren. Du kannst nicht teuer einkaufen und dann die Hälfte fortwerfen. Hier treffen ethisches und wirtschaftliches Handeln perfekt zusammen. Und es stärkt die Region, weil alles von hier kommt und hier bleibt.
Aber es gibt eben Einschränkungen. Wir dürfen gar nicht alles verwerten – wie zum Beispiel Rinderhirn. Das ist seit vielen Jahren verboten, um BSE Infektionen zu vermeiden. Die Fleisch-Skandale haben eben ihre Spuren hinterlassen und auch die Hygienevorschriften setzen strenge Grenzen. Das ist aber auch gut so. Schließlich geht es nicht nur um das Wohl der Tiere, sondern auch um unsere Verantwortung gegenüber unseren Kunden. Von dieser Warte aus beschränken Gesetz und Vernunft die komplette Verarbeitung. Und das ist gut so.
(Anm. Eine genaue Beschreibung der Verwertung findet ihr in unserem Artikel „Schlachttag“)
E!G. Bleiben wir bei den Innereien.
S.U. Die sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen, leicht verdaulich … und total iiiieh. Innereien galten schon immer als Arme-Leute-Essen. Jetzt sind sie hier nahezu aus der Wahrnehmung der Leute verschwunden. Ausnahme: Süden und Südwesten der Republik sowie Spitzengastronomie. Aber auf breiter Front hilft auch kein Buch vom Sternekoch.
E!G.Glaubst du, der Gedanke „nose to tail“ wird trotzdem an Bedeutung bei den Verbrauchern gewinnen?
S.U.Langsam aber sicher, ja. Aber ich denke, jeder kann etwas durch die Qualität der Produkte bewegen … bestimmt nicht durch missionarisches Gehabe oder indem du den Leuten ein schlechtes Gewissen einredest. Nein, Qualität und Geduld brauchst du, sowie eine ordentliche Portion Fachkenntnis. Verkaufstalent sowie das nötige Angebot zur Abgabe an die Kunden.
E!G. Also neugierige Leckermäuler zu Überzeugungstätern machen?
S.U. Ja genau. Immer nur Filet ist langweilig. Da warten ganz andere Geschmackserlebnisse auf dich. In der traditionellen Küche gibt es viele Gerichte, die mit den heute so beliebten „First Cuts“ gar nix werden. Viele von Omas Gerichten lassen sich viel leckerer zubereiten, wenn du sie mit geeigneteren Stücken zubereitest – zum Beispiel weil sie stärker von Fett durchzogen sind.
Und es gibt einen weiteren, für viele sehr wichtigen Grund: Das liebe Geld. Die Stücke aus dem beliebten Drittel sind nämlich in der Regel auch die teuren. Also kann sich ein wenig Neugierde durchaus lohnen – im Geschmack und im Geldbeutel.
Meine Empfehlung an die heutigen Köchinnen und Köche zu Hause lautet: Lernt wieder von euren Omas Kochen, z.B. kräftige Rinderbrühe, Rinderbäckchen, Saucen, Leber und vieles mehr. Findet Spaß am Grillen und Smoken in der Gemeinschaft, da lernt man die tollsten früher vergessenen Teilstücke – Cuts wie man heute sagt – wieder kennen und schmecken.
E!G. Noch ein abschließendes Wort zum Thema „nose to tail“?
S.U.Ja. Hier sind solide, traditionelle Handwerksbetriebe gefragt. Für Großschlachtereien ist das nicht interessant. Die wollen zwar auch mehr aus dem Tier herausholen, aber eben in Form von Geld. Deshalb muss alles schnell gehen und die Arbeitsschritte müssen einfach sein – industriell eben. Das tut unsrer Meinung nach Mensch und Tier nicht gut .
E!G. Danke für das Gespräch.
Das Buch von Fergus Henderson „Nose to Tail Eating: A Kind of British Cooking“ gilt als eins der wichtigsten Kochbücher überhaupt. Auf Deutsch ist es im Echtzeit Verlag erschienen.
Und wer jetzt vielleicht doch mal Lust bekommt, sich an Innereien heranzuwagen findet in unser Leber mal ohne Äppel ein ganz prima Rezept für Einsteiger.
(Beim Aufschreiben u.a. gehört: Big Yellow Taxi von Counting Crows feat. Vanessa Carlton)