Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Odenwälder Nusslikör

Rezeptur nach einer alten Handschrift

Auf 1 Maß Spiritus 24- 30 unreife Nüsse (vor dem Johannistag gebrochen),  1/2 Loth Zimt, 1/4 Loth Nägelchen, 2 Loth Pomeranzenschale, 1 Loth bittere  Mandeln, 1/2 Quentchen Muskatblüte, 1 Loth Zitronat.  Stelle es 4 Wochen in die Sonne zum Destillieren. Alsdann thue 1 Pfund Zucker mit 1 Schoppen Wasser kochen und schütte es dazu.

 

So steht es geschrieben in Karl Schwinns »Speis und Trank im Odenwald«, notiert nach einer alten Handschrift. Und da ich ja sowieso nach der Walnussernte mit der altbekannten Mannschaft wieder »Schwarze Nüsse“ einlegen und Walnusswein ansetzen werde, ergänze ich spontan das Programm um den Odenwälder Nusslikör. Der Ansatz ist einfach, aber vorher raucht der Kopf – jedenfalls der meinige.

Die Maßeinheiten des Zaubertranks

Da ist in der Rezeptur die Rede von Schoppen, Maß, Loth, Quentchen und Pfund. Pfund kenne ich, beim Schoppen habe ich so eine Vermutung, und Quentchen deutet der Redensart nach auf eine ziemliche Kleinigkeit hin. Doch das muss natürlich alles genauestens recherchiert werden. Im Netz finde ich schnell Seiten, die Auskunft erteilen. Die alten Einheiten waren aber regional oft sehr unterschiedlich. So umfasste der Schoppen in der Pfalz einen halben Liter aber anderswo eben o,4 Liter. Also musst du Entscheidungen treffen, eben ein ganzer Kerl sein oder dich dazu durchringen. Here are the results of Hessens tiefem Süden.

  • Maß 1,6 – 2 l (4 Schoppen)
  • Schoppen 0,4 Liter, in der Pfalz aber 0,5 Liter
  • Pfund 500 g
  • Loth 16 g (4 Quentchen)
  • Quentchen 4 g

Was ist drin bzw. was kommt rein?

  • 1 Maß oder 1,4 – 2 Liter Sprit: „Er hat Spiritus getrunken,“ klingt es aus meinem Gedächtnis und löst roten Alarm aus. Der Aufschrei verzweifelter Erziehungsberechtigter wurde eifrig von besorgten Eltern der Sechziger kolportiert, um ihren kleinen Entdeckern das Stöbern im Garagenregal zu verleiden. Und in den Staatsmedien wurde immer wieder darauf hingewiesen, die Flaschen deutlich zu kennzeichnen, die Gefahr in sich trugen. Nun habe ich niemals erlebt, dass irgendein Döspaddel (norddeutsch für Labbeduddel) das Zeug getrunken hat. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass es sich bei dem hier zu verwendenden Spiritus um Weingeist oder Trinkspiritus handelt – also Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs, auch bekannt unter Primasprit, Trinksprit oder Agraralkohol. Den gibt es 99 oder 69%ig. Dazu später mehr.

  • 24 – 30 unreife (grüne) Walnüsse, frisch vom Baum, geerntet vor dem 24. Juni. Tatsächlich werden um dieses Datum herum die Nüsse schnell holzig und sind dann für unsere Zwecke nicht mehr zu gebrauchen.
  • 1/2 Loth Zimt – also 8 g, gemahlenen
  • 1/4 Loth Nägelchen – das sind 4 g Nelken. Der Begriff Nägelchen war zumindest mir unbekannt
  • 2 Loth Pomeranzenschale – das entspricht 32 g Bitterorangenschale
  • 1 Loth bittere Mandeln – habe ich durch 4 Tropfen Bittermandelaroma ersetzt, weil ich 16 g Bittermandel irgendwie nicht über den Weg traue
  • 1/2 Quentchen Muskatblüte – 2 g davon
  • 1 Loth Zitronat – 16 g
  • ! Pfund Zucker – ich habe 500 g braunen Zucker verwendet

Neben der Umrechnerei der Mengenangaben solltet ihr beachten, dass einige Zutaten wie Muskatblüte oder Pommeranzenschale nicht unbedingt im Supermarkt zu bekommen sind. Plant euren Ansatz bereits einige Zeit vor der Ernte. Auf der Website – rechneronline.de – könnt ihr den Alkoholgehalt für euren Likör errechnen, ohne rechnen zu können.


Die Ernte

Den südhessischen Walnussbäumen ergeht es ähnlich wie den hiesigen Apfelbäumen – viele werden nicht mehr bewirtschaftet und einfach links liegen gelassen. Dabei können die Bäume ziemlich ergiebig sein und die Arbeit ist eigentlich unproblematisch. Wir haben im letzten Jahr aus der Ernte eines einzigen Baumes über 200 Gläser »Schwarze Nüsse« und einige Liter Wallnusswein erzeugt. Und in diesem Jahr war die Erntemenge etwa genauso groß. Aber man muss halt wollen. Wir wollten. Seht selbst.

 

Mein Ansatz für den Odenwälder Walnusslikör

Für 2 Liter Likör mit einem Alkoholgehalt vom rund 32% vol habe ich folgende Mengen und Zutaten verwendet: 

  • 15 grüne Walnüsse
  • 0,8 l Alkohol 69 %
  • 4 g Zimt
  • 2 Gewürznelken
  • 2 g Muskatnuss
  • 30 g Pomeranzenschale
  • 3 Tropfen Bittermandelaroma
  • 8 g Zitronat
  • Läuterzucker aus
  • 1000 ml Wasser
  • 250 g Zucker

Dazu bin ich wie im Rezept beschrieben vorgegangen. Das heißt: Alle Zutaten – bis auf das Wasser und den Zucker – habe ich in verschließbares Glas gegeben, durchgerührt, verschlossen und dem Gemisch einen Platz an der Sonne gegönnt. Nach vier Wochen werde ich dann den Läuterzucker, gekocht aus dem Wasser und dem Zucker,  dazugeben.

Abweichend vom Rezept habe ich die Walnüsse in Scheiben geschnitten und werde den Likör abschließend mehrfach filtern. Dazu verwende ich wie beim Walnusswein handelsübliche Kaffeefilter. Das dauert, erhöht aber deutlich den Genuss.

Mein Likör hat übrigens einen Alkoholgehalt von 32% vol, was mir völlig reicht. Hätte ich bei dem  Verhältnis der Zutaten einen Weingeist mit 99 vol verwendet, hätte der Likör 44% vol. Und nimmt das Originalrezept für bare Münze, ist das Getränk noch deutlich stärker – sehr deutlich.

 

Und aus den „verbrauchten“ Walnüssen wir ein prima Aperitif

Wenn ihr euren »Odenwälder Nusslikör« abgefüllt und gefiltert habt, werft das Walnuss- Aromaten-Gemenge nicht weg. Denn ich habe auf walnussbaum.info ein Rezept zur Zweitverwendung gefunden. Das ähnelt meinem Walnusswein, ist aber etwas stärker. Und so geht’s:

  • Die gebrauchten Nüsse und Aromaten aus eurem Odenwälder Nusslikör
  • 100 g Zucker
  • 100 ml Alkohol 96%
  • 0,5 l trockenen Weißwein

Füllt euren Likör ab und lasst einfach die Nüsse und Aromaten im Glas. Übergießt das Gemenge mit dem Wein, dem Alkohol und dem Zucker. Rührt alles gut durch und stellt das Glas an einen dunklen kühlen Ort stellen. Rührt immer mal wieder um.

Nach zehn Tagen filtert ihr das Getränk und stellt es wieder an einen kühlen, dunklen Ort. Nach zwei Monaten ist euer Nusswein-Aperitif fertig. Aber eine längere „Reifezeit“ tut ihm sicher gut. Geduldet euch also lieber ein halbes Jahr, das lohnt sich.

Wenn ihr statt des trockenen Weines einen lieblicheren nehmt, wird der Aperitif zu einem Digestif, der das Menü nicht eröffnet sondern würdig beschließt.

 

Zur besseren Einordnung

Den hier an anderer Stelle im Blog beschriebenen »Walnusswein« nennen die Franzosen »vin de noix« und die Italiener „»vino alle noci«. Dieser leichte Aperitif hat – meinem Ansatz folgend – rund 18% vol. Ich trinke in aus dem Kühlschrank kommend und durchaus auch auf Eis.

Der »Odenwälder Walnusslikör« entspricht dem italienischen »Nocino« und enthält keinen Wein. In der Südschweiz und in Italien wird er als Digestif gereicht. Der Alkoholgehalt des hier beschriebenen Ansatzes beträgt 32%.

»Vino di Nocino« (Wein aus Nocino) ist je nach Wein – trocken oder lieblich – ein Aperitif oder Digestif. 24% vol trägt der oben beschriebene Ansatz in sich. Als Digestif ist er nicht nur eine überraschende Alternative zu einer Beerenauslese oder einem Vinosanto, sondern auch der ideale Begleiter zu dem Castagnaccio (ein Maronenkuchen mit Rosmarin, Rosinen und Pinienkernen – Rezept folgt im Herbst).

Dann bleibt mir nur noch Prost zu sagen und viel Spaß beim Ausprobieren. Und: „Ciao ragazzi“.

Der Auszug aus dem Buch »Speis und Trank im Odenwald« erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Erben des Autors.

Das Rezept »vino di nocino« ist mit verändertem Text der Website walnussbaum.info entnommen. Danke für die Erlaubnis dafür.

Fotografie: Thomas Hobein

(Beim Austüfteln, recherchieren und berechnen u.a. gehört: „Wishful Thinking“ von China Crisis )

 

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