Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Reif für die Insel

200 kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße
Der Rhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue

Ein Mittwoch im August. Ich denke über ein Thema für meinen zweihundertsten Blogpost nach. Und weil mir nix Gescheites einfällt, schmiere ich mir ’ne Stulle, karbonisiere Leitungswasser und fülle es ab. So ausgestattet mit Proviant und Kamera fahre ich an den Rhein nach Stockstadt. Dort werde ich bei einer ausgiebigen Wanderung auf dem Kühkopf meine Gedanken fliegen lassen und ihr – ihr kommt einfach mal mit.

Es ist nicht so heiß wie die letzten Tage. Und es geht ein leichter Wind als ich in Stockstadt auf der Brücke stehe, die auf den Kühkopf führt. Der Blick nach Norden entlang des Altrheinarms offenbart eine Auenlandschaft mit dichtbewachsenem Ufer. Ich bin nicht das erste Mal hier, dennoch überrascht mich dieser Anblick immer wieder. Es hat den Anschein, als verließe man beim Überqueren der Brücke die aufgeräumte Kulturlandschaft und betrete etwas ganz Anderes. Und irgendwie ist es ja auch so.

Der Altrhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue

Bevor wir losgehen, flugs die Fakten

Der Kühkopf ist eine Rheininsel in der Oberrheinischen Tiefebene zwischen Worms und Nierstein. Sie ist Teil des Naturreservats „Kühkopf-Knoblochsaue“. Bis vor einigen hundert Jahren war der Kühkopf eine Halbinsel, die dem linksrheinischen Guntersblum nach Osten hin vorgelagert war. Um diese Halbinsel wand sich der Rhein wie eine Schlange, mit  Erfelden und Stockstadt am östlichen Ufer. Als in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts dann der Rhein begradigt wurde, durchstach man im Westen die Halbinsel und trennte sie so vom linken Ufer und damit von Guntersblum ab. Es entstand eine Insel, die heute westlich durch den begradigten Lauf des Rheins begrenzt ist und sonst vom Altrheinbogen eingefasst ist. Die Insel ist über zwei Brücken für Radfahrer und Fußgänger erreichbar. Die bei Stockstadt überquere ich gerade.

 

Rundweg 6 – es darf ein wenig mehr sein

Der Altrhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Nach der Brücke halte ich mich links. Wegweiser bieten verschieden lange Rundwege an, ich nehme die große Portion namens „Nummer 6“, weil mich das an eine Fernsehserie mit Patrick McGoohan erinnert, die ich als Kind fasziniert angesehen, aber nie verstanden habe.

Im Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Rundweg 6 ist 16,5 Kilometer lang und nimmt vier Stunden in Anspruch, verrät eine Schautafel; die App outdooractive auf meinem iPad spricht eher von 18,5 Kilometern. Passt beides. Also weiter. Links vom Weg blinzelt zuerst immer mal wieder der Altrheinarm durch das Dickicht, aber schon bald lässt er sich nicht mehr blicken. Das ist schade, denn ich gehe gern entlang des Wassers – wahrscheinlich durch eine frühkindliche Prägung, schließlich bin ich an und in Booten auf der Weser nicht sehr, aber doch groß geworden. Jetzt bin ja seit 1985 mit Unterbrechung so etwas wie die „Ständige Vertretung Niedersachsens in Südhessen“. Das hing früher auch so an der Tür meines WG-Zimmers in Darmstadt.

 

Ein Weg, den man gehen kann

Im Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue

Plötzlich arbeitet sich am Wegesrand ein umgefallener Baum wie ein Rieseninsekt durch das Unterholz. Zum Glück aber von mir weg. Dennoch erinnert die Szenerie mich unweigerlich daran, keinen Mückenschutz zu haben. Stechmücken werden hier ja auch als Schnaken bezeichnet, was aber falsch ist, denn Schnaken sind bedeutend größer und stechen überhaupt nicht. Zum Ausgleich spricht man dann von der Stubenfliege eben als Migg(e).

Nun ist es vielleicht nicht immer wichtig, wie man etwas nennt, wenn man weiß, wovon man redet. Seit dieses Projekt 2015 gestartet ist, habe ich sehr viele Menschen kennengelernt, die extrem verantwortungsvoll denken und handeln – einige mit Bio-Siegel und andere ohne. Sie machen in der Regel nicht viel Aufhebens davon, wie ausgeprägt ihr regionales Bewusstsein ist, wie sehr sie Traditionen verhaftet sind, ohne tradiert zu denken. Aber genau so macht man Zukunft, genau so beschreitet man ökologisch und sozial einen Weg , den man bedenkenlos, aber nicht gedankenlos gehen kann.

 

Eine Gruppe Außerirdischer palavert am Wegesrand

Im Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Im Kopf stelle ich meinen Phaser sofort auf „Betäubung“, aber die stachligen Burschen beachten mich überhaupt nicht. Biologen nennen sie übrigens „Wilde Karde“ und glauben, dass die gar nicht aus dem All stammen, sondern von hier. Die müssen es ja wissen.

Mir fallen dabei andere Invasoren wie die amerikanischen Flusskrebse ein, die der heimischen Art schaden und dass in diesem Fall das Aufessen der leckeren Eindringlinge ein bewährtes Mittel des Naturschutzes ist. Oder neuseeländische Äpfel, die aussehen als kämen sie frisch aus einem 3D-Drucker. Andere Spezies wie alte Traubensorten kehren dagegen zurück in den Fokus der Menschheit. Denn sie werden wichtig, da sie die klimatischen Veränderungen besser wegstecken als die heutigen Stars der Weinberge. Es ist ein Kommen und Gehen da draußen in der Natur, aber müssen wir das gehen von Arten beschleunigen? Nur weil wir jeden Tag nicht auf unsere Dosis billigen Hackfleisches verzichten können? Dabei gibt es so gutes Fleisch, wie zum Beispiel das vom Odenwälder Weiderind. Gut, das ist etwas teurer, aber ein guter Drink ist auch teurer als ein schlechter.

Im Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Doch während ich noch an Steaks und Lammkottelets denke und meine Stulle deshalb lustlos verschmähe, reckt sich die bizarre Karikatur eines Baumes vor mir in den Himmel und fuchtelt drohend mit den toten Ästen herum. Blattlos. Leblos. Ein Zombie? Nein, ein Triffid. Kennt ihr Triffids? Die aus dem Roman des Engländers John Wyndham.

Dieses Buch aus dem Jahr 1951 ist so etwas wie ein früher Weckruf, der vor der Verkettung menschlicher Entscheidungen warnt, die zu einer ökologischen Katastrophe führen. Die namensgebenden Triffids darin sind von Menschen erschaffene Pflanzen von immensem wirtschaftlichen Interesse, dabei aber brandgefährlich. Lest das Buch, verschmäht die Fernsehserie. Die ist Quark … Quark. Ja das wäre jetzt etwas, schön kühl mit vielen frischen Früchten.

 

Eins bedingt das andere

Im Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Dann öffnet sich eine freie, ebene Fläche vor mir, gar nicht mehr so wild, eher gerade gemäht. Eindrucksvolle solitäre Bäume wie in einem Park ziehen die Blicke des einsamen Wanderers auf sich. In der Folge stören nur die Auslösegeräusche der Kamera die Stille. Ich denke in schwarzweißen Bildern mit vielen Zwischentönen. Das zeigt am besten, dass die Welt bei aller Vielfalt aus einem Guss ist, dass alles irgendwie zusammengehört und nahtlos eins in andere greift. Greifen sollte.

Im Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Das eins ins andere greift ist ja auch das offene Geheimnis solch nachhaltiger, regionaler Wertschöpfungsketten, wie sie von der Molkerei Hüttenthal im Odenwald initiiert wird oder der engen Kooperation von Landwirten und nachhaltigen Verwertern mit nahegelegenen Metzgereien, wie Urich oder Hornung. In diesen Fällen beginnt diese Kette bereits beim Futter der Tiere und endet durch das Produkt erst beim Verbraucher. Möglich ist alles nur durch das persönliche Engagement aller Beteiligten, aber das Ergebnis lohnt sich –  durch die nachhaltig erzeugte Produktqualität, die große Sicherheit der Protagonisten, die Steigerung der Lebensqualität in der Region und den Erhalt der kulturellen Identität. Und schmecken tut es auch.

 

Irgendwo zwischen Po und Mekong

Der Rhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Endlich liegt er vor mir – der neue Rhein, der oben erwähnte Durchstich, der den Kühkopf zur Insel machte. Ich hocke mich auf einen alten, angetriebenen Baumstamm am sandigen Strand und beobachte wie das Sonnenlicht auf den seichten Wellen tanzt. Dann gleitet ein buddhistischer Mönch in einem Paddelboot in die Szenerie. Mann, Boot, Sonnenschirm – alles orange – treiben völlig bewegungslos den Rhein hinab, der in diesen Momenten zum Mekong wird. Zum Glück habe ich das Foto geschossen. Oder würdet ihr mir sonst glauben, hier das Unerwartete zu treffen? Zwischen Stockstadt und Guntersblum?

Der Rhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Warum aber auch nicht dort? Ich suche es ja überall auf meinen kulinarischen Abenteuern im Odenwald und an der Bergstraße. Selbstverständlich finde ich es nicht überall, aber wenn … dann lasse ich es euch wissen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass bei Amorbach ein Mann Nussknacker in Handarbeit herstellt und in die ganze Welt exportiert? Oder dass im südlichen Odenwald ein Betrieb bekannt für seine Stutenmilch ist? Das Unerwartete lauert nämlich an der nächsten Ecke.

Der Rhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Ich gehe flussabwärts. Am gegenüberliegenden Ufer zeichnen sich die Silhouetten der Bäume vor den Wolken ab. Wie am Po in den alten Don-Camillo-und-Beppone-Filmen, denke ich und folge dem neuen Strom bis zu der Stelle, an er wieder auf den alten Rhein trifft.

Der Rhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue

 

Zurück in die Zukunft

Der Rhein am Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue Dann ist es Zeit den Rückweg anzutreten. Ich folge auf einer Art Damm dem Altrhein nach Osten. Das gestaltet sich auf die Dauer  ein wenig eintönig. Nur die Begegnung mit einem Fuchs verschafft mir ein wenig Abwechslung. Und die Stechmücken, die mich entdeckt haben. Denen ist es übrigens völlig egal, wie ich sie nenne. Hauptsache ich bin lecker. Aber irgendwann überquere ich dann doch die Brücke nach Stockstadt und verlasse den Kühkopf. Viereinhalb Stunden Wanderung liegen hinter mir.

Im Auto denke ich an den Mönch im Paddelboot, der sich ganz in orange dem ergibt, wohin ihn der Rhein trägt. Aber so werde ich mich nicht treiben lassen, wenn ich die nächsten zweihundert Artikel über meine kulinarischen Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße angehe. Ideen gibt es ja genug. Also werde ich schön eine nach der anderen genussvoll abarbeiten und mich überraschen lassen. Von euch und mit euch.

Damit endet meine Wanderung. Schön, dass ihr mitgekommen seid. Doch jetzt werde ich mich intensiv um das eiskalte Bier kümmern müssen, das in meinem Kühlschrank wohnt. Und um die megafette Blase unter meiner rechten Fußsohle.

Bis zum nächsten Mal. Bis zur Nummer 201.

Euer Thomas, der von der ständigen Vertretung Niedersachsens in Südhessen.

Fotografie: Thomas Hobein

(Beim Wandern gehört: „Natürlich nix“. Aber beim Schreiben gehört: „God is A DJ“ von  Faithless, das treibt mich beim Texten so schön von Bild zu Bild))

 

 

 

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