Solidarische Weinwirtschschaft
Die Idee der Solidarischen Landwirtschaft, kurz SoLaWi, gewinnt langsam aber stetig an Bedeutung. Weltweit schließen Erzeuger und Verbraucher einen nachhaltigen Pakt. Doch was sich für Obst und Gemüse regional immer mehr etabliert, ist im Weinbau noch die absolute Ausnahme. Bundesweit wirtschaften nicht einmal ein Handvoll Winzer nach diesem Prinzip. An der Bergstraße, startet Gerold Hartmann vom Weingut Feligreno als erster damit und ist wieder einmal Vorreiter in der Region.
Das Wetter präsentiert sich unentschlossen. So ein wenig aprilig zeigt es gelegentlich was es kann, um es dann sofort wieder zu lassen. Aber zum Glück bleibt es trocken. Wir, das sind Gerold Hartmann und ich, stiefeln durch die Steillagen oberhalb von Zwingenberg. Das heißt im Klartext: Gerold – zehn Jahre älter als ich –marschiert voran und ich hyperventiliere hinterher. Diese Weinlage am Fuße des Melibokus ist Teil der Großlage Auerbacher Rott nennt sich Alte Burg und soll zu den steilsten des Anbaugebietes Hessische Bergstraße gehören. Und ich als Sesselfurzer glaube das bei jedem Schritt nach oben.
Gelegentlich bleiben wir zum Glück mal stehen, sehen uns um und plaudern über dies und das. So erfahre ich immer mehr über dieses Weingut, dessen Betreiber und natürlich über die Idee der Solidarischen Weinwirtschaft.
Als aus Zwingenberg Glockengeläut zu uns hinaufdringt …
… Habt ihr schon einmal Kirchenglocken wahrgenommen, wenn ihr in einem Weinberg steht? Das ist etwas völlig anders als das Geläut in der Stadt – wärmer, sanfter, kommt es mir vor. Es verlangt nicht von dir zu kommen, es eröffnet dir die Möglichkeit dazu. Es gibt dir zu verstehen, dass du nicht allein bist. Oder einfach nur, dass es Zeit für die Mittagspause ist …
… Also nochmal – als aus Zwingenberg Glockengeläut zu uns hinaufdringt, beschließen wir, uns zu setzen, ein Gläschen zu trinken und weiter zu babbeln. An dem Tisch auf der Terrasse, die wir auf verschlungenen Pfaden erreichen, erwartet uns bereits Jannik Jährling, Koch und angehender Winzer. Jannik öffnet eine Flasche, gefüllt mit prickelnd frischem Sommer. Wie auf Kommando entschließt sich die Sonne, mal ein wenig anzugeben. Jacke aus und den Moment genießen, denke ich. Und euch etwas über Feligreno zu erzählen.
Bergsträßer Biowein aus Bessungen
„Willkommen bei Feligreno – Zwingenberger Biowein und Landschaft in Arbeit. Oberhalb von Zwingenberg, der ältesten Stadt an der Bergstraße, pflegen wir Weinberge in Steillagen der „Alten Burg“ am Westhang des Melibokus. Riesling, Grauburgunder und Regent wachsen auf Terrassen mit Trockenmauern – wie in alten Zeiten.“
So werden Besucher der Website des Weingutes mit Darmstädter Geschäftsadresse begrüßt. Inzwischen ist das Weingut aber gewachsen. Es sind Flächen der Einzellage „Seeheim Mundklingen“ dazugekommen. Dort ist der Hang längst nicht so steil wie die Zwingenberger Terrassen, also auch leichter zu bewirtschaften, aber auch weit weniger romantisch. Die Gesamtfläche beträgt jetzt 5,5 Ha und damit ist auch die Anzahl der angebauten Rebsorten ist vielfältiger geworden, denn die Böden in Seeheim und Zwingenberg sind sehr unterschiedlich beschaffen. Und so erweitern Sorten wie Roter Riesling, Chardonnay und Acolon das Portfolio.
Aber von vorn. Alles begann im Herbst des Jahres 2001. Drei befreundete Familien aus Darmstadt kauften einen mit alten Riesling-Reben bestockten Weinberg oberhalb von Zwingenberg. Sie nannten ihre Gemeinschaft Feligreno, nach den Anfangsbuchstaben ihrer Kinder. Felix, Gregor und Noemi.
Zu Anfang lieferten die „Hobbywinzer“ die Ernte ihres 1,3 Ha großen Wingerts an die Bergsträßer Winzergenossenschaft zur Verarbeitung. Aber als die Ernsthaftigkeit des Projektes zunahm und die „Bio-Idee“ langsam zur Realität wurde fand man 2004 in Rhein-Hessen einen geeigneten Partner für den Ausbau der Weine – das (Bio) Weingut Geheimrat Dr. Schnell in Guntersblum.
In den folgenden Jahren übernahmen die Feligrenos nach und nach Weinberge in der Nachbarschaft, reaktivierten Flächen und schützten sie vor Verwilderung. Gleichzeitig begann die Umstellung des Betriebs auf Bio-Anbau nach EU-Norm. Und 2010 kelterten sie den ersten zertifizierten Biowein der Hessischen Bergstraße. Gleichzeitig schlossen sie sich Ecovin an, dem größten Verband ökologisch arbeitender Weingüter in Deutschland.
Die ehemaligen Freizeitwinzer hatten hohe professionelle Ansprüche entwickelt und das wachsende Weingut erforderte immer mehr Zeit und Arbeit. Vielleicht zu viel. Zwei der Gründerfamilien stiegen aus.
Heute führt das Ehepaar Maria Hahn und Gerold Hartmann das Projekt weiter. Der studierte Biologe beendete im Frühjahr 2014 seine Arbeit bei der Kreisvolkshochschule Groß-Gerau, wechselte in den Ruhestand und widmet sich nun komplett Feligreno, unterstützt von Jannik Jährling.
Damit das klar ist. Wir reden hier über Berufung und nicht über Beruf und über Leidenschaft für den Wein, die Natur und die Kulturlandschaft. Deshalb geht das Engagement des Teams weit über die reine Tätigkeit eines Bio-Winzers hinaus. Unterhaltsame Weinbergführungen gehören ebenso dazu wie kulturelle Veranstaltungen.
Während mir die Sonne auf den Pelz brennt und ich nach Westen ins Rheintal schaue, schießt mir der Schluss von Goethes Osterspaziergang in den Kopf: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein.“
Exkurs: SoLaWi schafft klare Verhältnisse
Die Solidarische Landwirtschaft beschreibt den Schulterschluss zwischen einer Gruppe von Verbrauchern und einem oder mehreren Landwirten aus der Region. Dabei garantieren die Verbraucher den Erzeugern die Abnahme einer bestimmten Menge von deren Ernte und im Gegenzug lassen sich die Landwirte in die Karten schauen. Teilweise stellen sie sich auf die Wünsche dieser Solidargemeinschaft sogar ein und lassen die „Städter“ im Rahmen des Möglichen mitarbeiten. Im Detail unterscheiden sich die SoLaWis voneinander, wichtig jedoch ist, dass Erzeuger und Verbraucher tatsächlich zusammenrücken.
Kurz: Die einen werden mit regionalem und saisonalem Obst und Gemüse aus nachhaltigem Anbau versorgt. Die Anderen haben einen festen Umsatz und damit eine höhere Planungssicherheit. Wer es in unserer Region genauer wissen will, sollte sich die SoLaWi Darmstadt* ansehen. Wie es für den Bereich Weinbau gehen kann, zeigt uns Gerold Hartmann.
Und jetzt aber endlich zur SoWeinWi von Feligreno
Eigentlich ist der Entschluss eine Solidarische Weinwirtschaft aus der Taufe zu Heben nur die konsequente Fortsetzung des bei Feligreno längst Begonnen. In ihr gipfeln die zukunftsweisende Hinwendung zum biologischen Weinbau, das Bestreben, Natur zu schützen und Kultur zu bewahren auf den Punkt. Sie bringt den Menschen und die Welt unter einen Hut. So lebt er mit ihr, in ihr, von ihr, aber auch für sie.
Doch natürlich spielen auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle – gerade hinsichtlich der Zukunft dieses an der Bergstraße einzigartigen Betriebs. Gerold ist zum Zeitpunkt meines Besuchs einundsiebzig Jahre alt und er will, dass die Weinberge auch weiterhin in der von ihm initiierten Weise bewirtschaftet werden können.
Dazu schreibt er im Januar 2021 in seinem Rundbrief: „Der Aufbau des Betriebes (…) war nur mit der großartigen Unterstützung zahlreicher Idealisten/innen möglich, ergänzt durch die Tatsache, dass mein und das Einkommen meiner Familie nicht aus diesem Betrieb, sondern aus anderen Quellen – Gehälter, Rente – gesichert war. Da diese Form der Subvention durch ein einziges Privatbudget irgendwann zu Ende sein wird, braucht es neue, zusätzliche Arbeitskraft und weitere externe Finanzmittel in Form von materieller Entlohnung.“
Es geht also darum die aktuellen und zukünftigen Betriebskosten zu sichern und weitere Investitionen möglich zu machen – beispielsweise in die Einstellung einer Fachkraft oder die Kosten, die durch die aktuelle Flurbereinigung entstehen.
Wie könnt ihr Teil von Feligreno werden?
Nun, ihr könnt Anteile an der Ernte eines Jahrgangs erwerben – entweder 1/250 oder 1/500. Entsprechend eurer Beteiligung erhaltet ihr eine Anzahl von Flaschen jeder Weinsorte, die sich aus der Erntemenge ergibt – in guten wie in schlechten Zeiten.
Außerdem seid ihr eingeladen im Weinberg mitzuarbeiten, aber nicht dazu verpflichtet. „Nein, wir freuen uns aber natürlich über tatkräftige Hände beim Schneiden, Hochbinden, Lesen etc. … und beim Trinken unseres Produktes nach getaner Arbeit am Ort des Geschehens. ;)“ So heißt es in der offiziellen SoWeinWi FAQs von Feligreno. Hier findet ihr auch alle Details zu dem Projekt.
Dass die Beteiligung an der SoWeinWi ein attraktives Angebot ist, zeigt sich darin, dass bereits über dreißig Interessierte gezeichnet haben, und nur etwa doppelt so viele sind angestrebt. Zögert also nicht, euch zu informieren oder einfach mal am Freitagnachmittag auf dem Bauernmarkt in der Orangerie in Darmstadt vorbeizuschauen. Dort findet ihr Feligreno, den Wein und die Menschen, die euch alles viel besser erklären können als ich.
Mein Besuch auf dem Weingut Feligreno endet. Gerold fährt mich nach Alsbach zur Straßenbahnhaltestelle. Dann sitze ich in der Bahn nach Darmstadt und lasse den Tag Revue passieren. Vieles, was ich heute in Seeheim und Zwingenberg gesehen habe, gefällt mir. Was mich aber am stärksten beeindruckt hat, ist die tiefe Überzeugung in all dem Tun. Überzeugung, die aus purer Lebensfreude erwächst und der Lust, Wissen weiterzugeben – nicht missionarisch, sondern lustvoll und natürlich voller Genuss. Hier in Hessens tiefem Süden.
Fotos: Thomas Hobein
(Beim Aufschreiben u.a. gehört: „Kouseiji“ von Hauschka)
Zuerst einmal: Toller Beitrag! Es gibt einfach Themen (egal ob regional, wie in diesem Fall, oder überregional), die bekommen deutlich zu wenig Aufmerksamkeit. Landwirtschaft und alteingesessene Betriebe sind natürlich nicht von der rasanten Entwicklung unseres Alltages und Konsumverhaltens ausgeschlossen. Grade diesen Berufsgruppen aber eine gewissen Planungssicherheit über Jahre hinweg direkt aus der Gemeinschaft heraus zu sichern ist eine fabelhafte Methode der Solidarität.
Die Einladung zum Mitarbeiten finde ich persönlich auch toll. Häufig denkt man doch, dass die Experten da lieber für sich sind, dabei sind besonders in der Erntezeit helfende Hände immer gerne gesehen. Auch das ist eine tolle Möglichkeit mit anzupacken und vielleicht eine Bekanntschaft aufzubauen. Ich sehe das bei meinen Eltern, die auch nach Umzug ins Rheinland noch immer regelmäßig Weinlieferungen für lau (O-Ton: „Sind eh grad auf Liefertour in der Kante“) aus der pfälzischen Heimat bekommen. 🙂
Mein Interesse ist geweckt. Interessanter Bericht.