Kulinarische Abenteuer im Odenwald und an der Bergstraße

Die Krautwurst

Der heiße Snack zur fünften Jahreszeit

Wenn am 11.11. um 11:11 Uhr die Narren das Zepter übernehmen, beginnt in Groß-Umstadt und Umgebung die Zeit der Krautwurst. Die Weininsel im nordöstlichen Odenwald wird zur Wurstinsel. Zur Krautwurstinsel. Aber am Aschermittwoch ist alles vorbei.

 

Die Wurst gilt weltweit als typisch deutsch und so manch einer spricht gern von den Krauts, wenn er über die Deutschen schwadroniert. Also wäre die Krautwurst doch ein ganz prima »German Signiture Dish«, aber so einfach ist es nun mal nicht. Denn diese wenig bekannte Wurstsorte ist ein sehr regionales Phänomen und im Odenwald sogar nur ein lokales.

 

Wer hat’s erfunden?

Nun, die Schweizer waren es diesmal nicht, obwohl sich ja so einige von denen nach dem Dreißigjährigen Krieg im heutigen Südhessen niedergelassen haben. Nach allem, was ich herausgefunden habe, stammt die Krautwurst wohl aus dem Fränkischen und ist auch im Vogelsberg sehr bekannt. Im Odenwald jedoch hat diese Wurst einen Migrationshintergrund. Einer unbestätigten Erzählung nach hat wohl ein Metzgersgeselle aus dem Vogelsberg die Rezeptur mit nach Groß-Umstadt gebracht. Weiter nach Süden ist der Mann jedenfalls nicht vorgedrungen. Denn allen, die ich dort nach der Krautwurst gefragt haben, entfuhren mit entgeistertem Blick nur solche Laute wie: Häh? Ach? Nee. Und weitere ähnlich klingende Laute des Erstaunens.

Aber auch auf der Weininsel ist diese Wurst nicht an jeder Ecke zu haben. Mir bekannt sind zwei Metzgereien, in der diese Wurst produziert wird. Das sind die Metzgereien Popp in Groß-Umstadt (Mühlstraße 2) und Reitzel in Otzberg-Hering (mit Verkaufsstellen in Eppertshausen, Hauptstraße 36 und Groß-Umstadt, Georg-August-Zinn-Straße 34). Spontankäufe sind möglich, aber Vorbestellungen wohl empfehlenswert, habe ich jedenfalls gehört.

 

Arme Leute können auch lecker

Von wegen nur Schnitzel und Filet – früher war Fleisch nicht gerade unser täglich Brot. Man schlachtete pro Familie auf dem Land zweimal im Jahr ein bis zwei Schweine. Und das war’s. Es galt, aus wenig möglichst viel zu machen. Eben aus wenig Schwein, möglichst viele Würste. So entstand die Idee, das Brät (die Füllung) der Wurst zu verlängern. Die bekanntere Kartoffelwurst war geboren und auch ihre weniger bekannte kleine Schwester, um die es heute geht.

Beide Sorten bestehen im Prinzip aus Schweinefleisch, Zwiebeln, Kohl (oder Kartoffeln) und Gewürzen im Naturdarm. Die verwendeten Teile vom Schwein, sowie die Gewürzmischungen variieren von Metzger zu Metzger. Der Anteil des Kohls beträgt etwa zehn bis zwanzig Prozent.

Dazu werden zuerst die Zutaten einzeln gegart, dann durch den Fleischwolf gelassen und anschließend mit den Gewürzen gründlich vermengt. Die so entstandene Masse wird in Naturdärme gefüllt und ist verzehrfertig. Ihr Brät erinnert durch seine feine Konsistenz und Farbe an Frankfurter Würstchen. Sie ist mild im Geschmack und bekommt durch den Kohl eine leichte Süße.

Die Krautwurst zählt auf Grund ihrer Verarbeitung zu den sogenannten Kochwürsten. Das heißt, sie kann sowohl warm als auch kalt genossen werden, weil sie komplett gegart ist. Im Kühlschrank hält sie sich einige Tage, kann aber auch eingefroren werden.

 

Ohne Senf, oder was?

Im nordöstlichen Odenwald betrachtet man die Krautwurst als pures Vergnügen. Sie wird wie Bockwürstchen in Wasser erwärmt. Dazu gibt es Brezeln, Brötchen oder Pellkartoffeln, aber keine weiteren Beilagen. Und schon gar keinen Senf, denn so würde die feine Kohlnote im Geschmacksnirwana verduften.

Wem das nun zu trocken klingt, kann ja etwas dazu trinken. Ortsübliche Getränke wie Bier, Weißwein oder Apfelwein drängen sich geradezu auf. Und hier kommen noch einige Ideen zur Zubereitung.

 

… immer eine gute Suppe

Essen ist nicht Maggi, essen ist Magie – das habe ich irgendwo gelesen. Und tatsächlich kann man durch einen einfachen Trick der Krautwurst eine neue Bestimmung verleihen. Man erhitzt sie nicht einfach in Wasser, sondern in einer Suppe. Denn was ein Frankfurter in der Linsensuppe ist, kann die Krautwurst im Gemüseeintopf oder in der Kartoffelsuppe sein – eine passende Einlage.

 

Gegrillt? Gebraten? – Geht ganz gut!

Während man im Odenwälder Krautwurst-Hotspot dieselbe nur bockwurstmäßig heiß macht, wird sie in Franken und im Vogelsberg eher als Bratwurst-Variante betrachtet und deshalb auf den Grill oder in Pfanne gelegt.

Dem steht nichts entgegen. Wer aber auf krosse Röstaromen steht sollte beachten, dass er / sie es nicht zu heiß angeht. Denn sonst ist die Wurst außen schon verbrannt, während sie innen nicht mal lauwarm ist. Bringt sie zuerst bei mäßiger Hitze auf Temperatur und heizt ihr dann so richtig ein, um die gewünschte Pellen-Bräune zu erzielen. Das ist so ein wenig wie sous-vide Garen von Fleisch, nur ohne das Vakuum-Gedöns.

Gebraten wird die Krautwurst intensiver im Geschmack. Deshalb verträgt sie jetzt ganz selbstbewusst auch eher Begleiter. Meine Brat-Krautwurst wird übrigens nur von etwas Honig-Senf und Röstzwiebeln getoppt, sowie von etwas Salat umzingelt. Ketchup, scharfer Senf oder Curry-Sauce übertünchen auch hier nicht nur optisch die Wurst, sondern auch den Krautgeschmack.

 

Geschmort mit Sauce

Der gemeine Krautwickel / die gemeine Kohlroulade besteht innen aus einer Hackfleischmischung und außen aus Weißkohl oder Wirsing. In der Krautwurst steckt beides zusammen im Naturdarm. Also warum nicht die Wurst wie die Roulade schmoren – allerdings bei geringer Hitze – und mit Sauce und Kartoffeln auftischen? Sozusagen als Rapid-Roulade.

Ich war so frei und es hat geschmeckt. Der Saucenansatz bestand aus Zwiebeln, Gemüsebrühe und Sahne. But: Feel free, wie Mützchen, der Präsident aller Amerikaner (auch der Kanadier, Mexikaner, Grönländer und Panamänner, wenn es nach ihm ginge) sagen würde.

 

Ganz und gar nicht Wurst …

… ist mein Dank an Gerd J. Grein aus Lengfeld. Der bekannte Heimatkundler, langjährige Mueseumsmacher der Veste Otzberg und Museumsleiter vom Museum für Odenwälder Volkskultur, Otzberg-Lengfeld hat mich mit seinem Wissen und seiner Begeisterungsfähigkeit auf die richtige Spur gebracht. Und ich danke Jan Th. Steinert aus Groß-Umstadt. Der Künstler, Musiker und Hut tragende Flaneur hatte die Idee zu diesem Artikel und überließ mir völlig selbstlos das Verwursten einer Spezialität aus dem Nordosten von Hessens tiefem Süden, von der ich nie zuvor gehört hatte.

PS            Eine Sache bleibt jedoch noch ungeklärt: Warum tragen in Schaafheim eigentlich alle den Nachnamen Krautwurst, wenn sie nicht gerade Sauerwein heißen? Lasst es mich wissen.

Fotos: Thomas Hobein

(Beim Aufschreiben der Gedanken unter anderem gehört: »All Possibilities« von Badly Drawn Boy)

3 Kommentare zu “Die Krautwurst

  1. Da fällt mir doch mein früherer Schulfreund ein, der wegen seines Namens „Krauskopf“ von allen nur „Krautkopf“ gerufen wurde. Der Arme hatte wohl keine allzu rosige Schulzeit – Kinder können so grausam sein!

    Aber Moment mal, war da nicht auch ein Herr „Krautwurst“ unter meinen Kunden? Lange ist es her, doch da war doch was …

    Tatsächlich: Eine kurze Recherche zeigt, den Nachnamen „Krautwurst“ gibt’s wirklich – aktuell 578 Mal in online einsehbaren Verzeichnissen. Hochgerechnet sind das um die 1.500 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Und damit landet „Krautwurst“ auf Platz 6639 der „häufigsten“ Nachnamen. Immerhin!

    Ist das Zufall?

    „Wir befinden uns im Jahre 2024 nach Christus. Ganz Deutschland ist von den unterschiedlichsten Nachnamen bevölkert. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Krautwürsten bewohntes Gebiet in Darmstadt-Dieburg hält hartnäckig an seinem herzhaften Namen fest. Und genau da steht die Krautwurst noch heute auf dem Speiseplan!“

    Zufall? Wohl kaum – scheinbar trägt man in Darmstadt-Dieburg den Namen nicht nur im Pass, sondern auch auf dem Teller!

    https://geogen.stoepel.net/index.html?q=Krautwurst

    1. Thomas Hobein

      Tatsächlich konzentriert sich der Nachname hier auf einen Ort namens Sxhaafheim direkt an der Grenze zu Bayern und – deiner Karte nach – auf einen kleinen Spot im Norden Frankens.

  2. Übrigens sagt man bei uns gerne: „Kraut fillt em Bauern die Haut.“ Und genau so ist es! Kraut war und ist einfach anzubauen, günstig und ertragreich – dazu noch gesund und lecker. Früher stand bei fast jedem ein Fass Sauerkraut im Keller. Die gute Witwe Bolte liebte ihren „Sauerkohl“ so sehr, dass sie sogar eine Portion zu ihren Brathühnern genießen wollte – aber das ist eine andere Geschichte….

    Logisch also, dass man das wertvolle Fleisch früher ein bisschen „gestreckt“ hat, um mehr Würste daraus machen zu können. Dadurch wurden die Bauern nicht nur schneller satt, sondern konnten auch noch Geld sparen. Eine klassische Win-Win-Situation

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