Zum Kreiswald
Regional. Saisonal. Bio. Das findet jeder gut. Und jeder redet darüber. Und doch meint jeder etwas anderes und handelt – wenn auch in bester Absicht – entsprechend individuell. Michael Frank hat einige Gastronomen in der Gegend dazu befragt. Begleitet ihn auf seiner Tour, lernt die Leute kennen und das, was dort auf den Tisch kommt.
Wenn du von Norden nach Rimbach kommst, nennt sich die B 38 Staatsstraße, kommst du von Süden heißt sie Schloßstraße. Und genau dort wo sie mitten in Rimbach ihren Namen wechselt, findest du ein Schild, das dir zeigt, wo es lang geht, wenn du zum Kreiswald willst. Diesen Hinweis nimmst du ernst und verlässt die Bundesstraße in der angezeigten Richtung. Und jetzt nur nicht ungeduldig werden, denn nach rund zehn Minuten erreichst du auf dieser Straße dein Ziel – das Odenwaldgasthaus „Zum Kreiswald“.
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Hier präsentiert das Team um Gerhard Fritz im Restaurant und im Biergarten leckere Gerichte, in denen man seine regionale Verbundenheit und seinen hohen Qualitätsanspruch schmeckt. Das Angebot reicht dabei von der Odenwälder Vesper über die klassische regionale Küche bis hin zu Menüs für wahre kulinarische Feingeister – abgerundet durch Edelbrände und Apfelwein aus eigener Herstellung. Michael Frank hat Gerhard Fritz unsere fünf Fragen zum Thema gestellt.
Frage 1:
Was verstehen Sie unter dem Begriff „regionale Küche“?
GF: „Der Begriff Regionalität wird ja auch sehr zweckentfremdet … bei der Metro zum Beispiel. Die bietet das ja auch an – was immer das auch ist. Rewe in Heppenheim macht viel Werbung mit Regionalität. […] Ich sage mal ein oder zwei Prozent vom Sortiment sind regional. Aber vorne haben sie Schautafeln mit Bildern dazu und da frage ich: Ist das die richtige Gewichtung? Selbst MacDonald’s macht Werbung mit Regionalität – also das ist kritisch.
Unter „Regionale Küche“ verstehe ich eigentlich, dass die Produkte vorwiegend aus der Region sind. Gut, bei Gemüse, das man vom Markt kriegt, ist das schon relativ schwierig.
Ich fange gleich mit dem Kritischen an. Ja, der einzige, der da wirklich ein Hardcore-Verfechter ist – sage ich mal – ist der Rainer Schäfer mit seinem Treibhaus hinterm Haus – da kriegen Sie im Januar auch keinen Kopfsalat. Da ist der Fall halt erledigt. Entweder Sie essen Endivien oder eingelegten Bohnensalat und fertig. Das ist eigentlich regional, ja? Er und seine Frau, die machen das. Der Rainer geniert sich auch nicht und sagt, wenn Ihr das nicht wollt, könnt Ihr wonders hingehen. Das achte ich und schätze ich. Wir sind aber ein bisschen größer, haben Personal. Das macht uns abhängig. Ich kann zu keinem mehr sagen, dann geh’ halt.
Beim Metzger kann ich sagen, das Rindfleisch ist absolut aus der Region, aus dem Odenwald oder dem angrenzenden Spessart – das lasse ich noch als Regionalität laufen. Schweinefleisch versuchen wir regional, wobei das Einzelhandel-Schweinefleisch ist … aus Fleischfabriken und da weiß man im Grunde genommen nicht, kommt es von hier oder nicht.
Regional bedeutet für mich auch, einen langjährigen Lieferanten zu haben. Einen konstanten und gleichmäßigen Geschäftspartner, bei dem ich weiß, die Qualität habe ich von dem. Ich habe meinen Metzger jetzt 35 Jahre. Einen Teufel werde ich tun – ich habe auch noch nie überlegt zu wechseln.
[…] Das ist auch ein Stück Regionalität: Einkaufen bei Lieferanten vor Ort. Weil auch die werden platt gemacht. Für die Fische, da habe ich noch die Frau Lehmann, die ist Mitte Siebzig und macht noch ihre Fischzucht in Mittershausen. Jetzt bei der Fischwoche, da haben wir Zander oder Saiblinge zugekauft. Die gibt es hier ja nicht oder sie sind nur schwer zu bekommen. Aber die Forellen: Alle aus Mittershausen.
Das Regionale findet sich auch in der Brennerei, was ich anbiete ist zu 98% regional. Das Hochprozentige wächst bei mir draußen auf der Wiese. Wenn Sie raufgefahren sind, haben Sie ja die Bäume gesehen. Dieses Jahr gibt es halt wenig Kreuzschmerzen, aber das ist halt so. (gemeint sind die geringen Erntemengen im Herbst 2017 … Anm. des Verfassers)
Mirabellen haben wir zugekauft, Wildkirschen kaufen wir immer zu, weil wir Probleme mit dem Pflücken haben – da kriegen Sie ja niemanden. Und ich bekomme sie aus dem Fränkischen, da hinten vom Main. Das ist jemand, der sich darauf spezialisiert hat. Der macht pro Saison fünfhundert Tonnen. Diese Wildkirschen sind Kirschen, die wild wachsen. Ja im Wald. […] Nix Plantagen. Deshalb ist der Wildkirschenbrand auch eher doppelt so teuer wie der normale Brand. […]
Äpfel haben wir selbst, Zwetschgen haben wir. […] Und Quitten. Mirabellen haben wir die letzten zwei Jahre zugekauft. Williams haben wir zum Teil selbst, zum Teil kriegen wir die von der Guldenklinger Höhe. Das ist zwei Kilometer weiter hier. Das Bier (zum Brennen … Anm. des Verfassers) bekommen wir aus Fürth – wie heißen die Jungs, Weschnitztaler. Sonst haben wir Schmucker. Wir haben auch schon Schmucker-Schnaps gemacht, aber letztes Jahr Weschnitztaler. Die Johannisbeeren, die wir gebrannt haben sind vom Bocksberg. Bei Michelstadt den Berg hoch, Eulbach und dann kommt der Bocksberg. Beerenhof Münkel ist da ein Stück weiter, also das lasse ich auch noch unter Regionalität laufen. Ja?
Was ich vor allen Dingen noch unter Regionalität sehe, ist auch diese handwerkliche Machart. Die Brände sind eben aus der Frucht und nicht mit einem Aromastoff angereichert. […] Und so ist auch meine Küche. Ich habe kein Fertigschnitzel, keine Fertigrouladen. Suppenfleisch wird noch gekocht.
Wild bekommen wir zum großen Teil von einem Jäger – das reicht nicht, aber wir versuchen dann auch dergestalt eine ganzheitliche Verarbeitung zu machen. Wenn Sie ein Reh sehen – auf den Rippen ist ja nix drauf, die sind ja mitunter dünner als ein Finger. Deshalb haben wir auf der Speisekarte ein Reh-Allerlei: Ein Gulasch, ein Medaillon vom Rücken und etwas von der Keule. Insofern hat dann der Gast drei Sorten vom Reh eigentlich. Ein Schmorgericht, das richtig gekocht worden ist und etwas Kurzgebratenes aus Rücken und Keule. […] Das ist natürlich ein Kontrastprogramm, das auch dazu dient, das Tier ganzheitlich zu verarbeiten. Und nicht einfach zu sagen, wir machen Rehkeule und bestellen beim Wildhändler fünfundzwanzig Rehkeulen, alles ohne Knochen, fertig aus.
Und auch die Sauce machen wir selbst. Und das ist das, was ich eigentlich noch rüberbringen will. Dass dieses Handwerk – die Sauce selber zu kochen, die Suppe selber zukochen – noch dazugehört. Daher habe ich auch keine Probleme mit Allergikern, insofern sie wirklich Allergiker sind und keine Kopfallergiker, oder wenn jemand ein Handicap hat. Ich habe Gäste, die bewusst hierher kommen und essen.
Das (Handwerk … Anm. des Verfassers) ist natürlich auch eine Sache, dass viele heute gar nicht mehr können. […] Das ist am Aussterben. Das kommt durch diese fortwährende Industrialisierung. Auch in unserem Gewerbe. Wenn Sie sich also mal so absolut den Appetit verderben wollen, fahren Sie mal auf die ANUGA. ANUGA kennen Sie? Köln. Weltgrößte Ernährungsmesse, Schweine-Eintrittspreis. Da kriegen Sie alles. Rohe Steaks, Steaks mit Knochen, Steaks einzeln vakuumiert – die hängen dann alle aneinander wie so Rolladenstreifen. Auch der Lachs natur, gewürzt, vorgegart, oder, oder, oder.
Sie brauchen dann (beim Kochen in der Systemgastronomie … Anm. des Verfassers) nur noch wissen: Roter Karton, rotes Blech, roter Knopf. Und wenn sie mal was Neues machen wollen: Grüner Karton, grünes Blech, grünes Programm.
Und deshalb wissen die jungen Leute gar nicht mehr, wo was dazugehört. So ein Tier besteht ja für die mindestens zu fünfundneunzig Prozent aus Steak. Das ist gar nicht mehr bewusst. Das ist erschreckend!
Gerade bei einem Reh; Sie haben die zwei Keulen. Eine Keule macht etwa ein Sechstel aus, dann haben Sie den Rücken, der Rücken ist ein Stück. Wenn ich Reh-Allerlei mache, ergibt das vielleicht vierzehn Portionen. Dann kann ich die eine Rehkeule noch als Rehkeule verkaufen, und habe ich noch drei bis vier Portionen Rehgulasch übrig, für den, der es bewusst essen will.
Aber wenn ich jetzt zum Beispiel Rehrücken auf die Karte schreiben will, dann habe ich vier Portionen Rehrücken. Dann kommen Sie […] um 12:00 Uhr und wollen Rehrücken essen. Ihr Kollege kommt aber erst um halb Eins – Ach! Rehrücken ist aus! Und jetzt haben sie sich so darauf gefreut. Das gibt dann die Bewertungen im Internet, die zeigen, dass die Leute nicht mehr wissen, das frisch Gemachtes auch ausgehen kann. Gehen Sie zu Mac Donald’s, da geht nie was aus. Das ist Industriegastronomie. Dagegen versuche ich halt meinen Beruf noch ein bisschen hochzuhalten.“
Frage 2:
Beschränkt sich „regionale Küche“ für Sie auf die regionaltypische Zubereitung regionaler Produkte?
GF: „Ausschließlich regional zu kochen ist ja heute fast nicht möglich. Nur ganz wenige sind z.B. bereit im Januar auf Salat zu verzichten, da muss man dann halt ausweichen. Für mich ist es grundsätzlich so, dass die Regionalität den Vorrang hat. Im Ried gibt es einige Gemüsebauern und wenn es da etwas gibt, dann kaufe ich auch bei denen. Schweinefleisch – in Hessen gibt es noch zwei öffentliche Schlachthöfe, daraus können Sie die hiesige Regionalität schon ableiten, verstehen Sie? Rindfleisch – das wird bei meinen Metzgern selbst geschlachtet, da kann ich, wie gesagt, garantieren, die sind aus Odenwald oder Spessart.
Und jetzt die Gänse: Bei mir kostet die Gans 135 Euro. Die ist vom Langklingerhof in Mörlenbach-Weiher. Und für die garantiere ich. Kollegen bieten die Gans für 85 Euro an. Dann ist das ganz klar, die kommt aus Polen oder der Ukraine oder sonst irgendwo her. Ich meine, das sind fünfzig Euro Unterschied, auch schon fast im Einkauf. Und dann kommt dazu, wenn ich eine frische Gans mache für Gäste, dann ist die nicht nur frisch im Sinne von frisch aus dem Odenwald, sondern das ist auch eine, die nicht eingefroren war und nix. Ich habe Gäste, die kommen deshalb seit acht oder zehn Jahren und essen immer eine frische Gans, weil sie die Qualität schätzen.
Ich brate sie komplett und und präsentiere den Gästen »ihre Gans« in einem Stück. Dann zerlege ich sie in der Küche und serviere sie portionsgerecht auf einer Platte – in Stücken von Brust und Keulen. Die Leute sind zwar eingeschossen auf die Keule, weil die saftiger ist. Aber der Langklinger Hof kann dir nicht fünfzig Schlegel in der Woche richten und die Gänsebrust werden sie nicht los. Und deshalb mache ich Gänsebraten von ganzen Gänsen […] Und wenn man mit den Leuten spricht und ihnen die Problematik näher bringt, dann klappt das auch und alle sind zufrieden.“
(zu den Zubereitungsmethoden) GF: „Wir versuchen schon, uns an das Althergebrachte anzulehnen. Wobei Braten, Backen, Kochen – das sind alte Techniken, die sich eigentlich kaum verändert haben. Natürlich probiert man auch mal was Neues, aber das hat eigentlich einen ganz minimalen Anteil. “
Frage 3:
Handelt es sich dabei ausschließlich um saisonale Produkte?
GF: „Da versuchen wir darauf einzugehen. Gerade haben wir Steinpilze. Jetzt im Herbst gibt es ja viele Gemüsesorten … Kraut usw., das stellen wir dann schon in den Vordergrund. Und das sind ja auch die Themen der saisonalen Aktionswochen der Odenwaldgasthäuser … Saisonalität und Regionalität. So unterstützen wir uns gegenseitig, das ist ja so gewollt.“
Frage 4:
Gibt es „das“ regionale Gericht schlechthin?
GF: „Die geschmorte Ochsenbacke in Zwetschgensauce mit Zwetschgenbrand, dazu Rahmkartoffeln und frisches Gemüse – die wir beim Brennerzertifikat auch gemacht haben.“
Frage 5:
Welche Bedeutung messen Sie „Bio“ bei?
GF: „Eigentlich eine geringere Bedeutung. Die Betriebe unserer Produzenten sind zu klein; sie bekommen die Zertifizierung nicht. Sehen sie, beim Schäfer (Zum Hirsch/Fürstengrund … Anm. des Verfassers) ist alles hundertprozentig Bio, sage ich jetzt, aber der hat kein Zertifikat. Was er auf dem Acker hat, reicht nicht für die Zertifizierung, sein Umsatz nicht für die Zertifizierungsgebühr.
Ich will »Bio« jetzt nicht ins schlechte Licht rücken, aber da steckt halt auch viel Geld dahinter. Ist eigentlich eine tolle Sache, aber jeder erzählt Ihnen, was das für einen Haufen Geld kostet.“
Vielen Dank für ihre Zeit, Herr Fritz.
Mal so ganz offen über veränderte Gewohnheiten und Erwartungen von Gästen zu sprechen und über den Gegensatz von klassischem Gasthof gegenüber der Systemgastronomie – das beleuchtet schon ein kontrastreiches Spannungsfeld, in dem sich die regionale Gastronomie bewegt und regt zum Nachdenken an. Wer aber dann die oben erwähnten Ochsenbäckchen probiert, weiß ziemlich schnell, auf welche Seite er sich schlägt.
Zum Kreiswald
Im Kreiswald 9
64668 Rimbach
Tel. +49 6253 972146
info@kreiswald.de
Samstag und Sonntag 10:00–21:00 Uhr
Montag, Dienstag, Mittwoch ab 11:00 Uhr (in den Wintermonaten nur bis 17:00 Uhr)
Donnerstag und Freitag ist Ruhetag
Das Interview führte Michael Frank. Die Aussagen der Befragten sind inhaltlich unverändert, jedoch der hochdeutschen Schriftform angepasst. Für eine bessere Vergleichbarkeit entspricht die Reihenfolge der Fragen und Antworten dem Konzept und deshalb in Ausnahmefällen nicht dem Interviewverlauf. Auslassungen, die zu unnötigen Längen führen oder die Leser in der geschriebenen Form verwirren würden, sind gekennzeichnet.
Fotografiert haben Michael Frank und Thomas Hobein.
(Unterwegs im Auto u.a. gehört: „M16“ aus dem Album „Still Live With Guitar“ von Kevin Ayers)
Nächste Woche: Schluss
Weitere Beträge der Serie „Regional? Saisonal? Bio?“:
Folge 01: Einleitung
Folge 02: Hotel Waldesruh und Restaurant Pichlers
Folge 03: Zur Schmelz
Folge 04: Labsal
Folge 05: Treuschs Schwanen und Johanns-Stube
Folge 06: Zum Löwen
Folge 07: Geiersmühle
Folge 08: Zum Hirsch – Fürstengrund
Folge 09: Zum Rebstock
Folge 10: Dornröschen
Folge 11: Alte Dorfmühle
Folge 12: Heiping
Folge 14: Heimkehr und Schluss