Heimkehr und Schluss
Regional. Saisonal. Bio. Das findet jeder gut. Und jeder redet darüber. Und doch meint jeder etwas anderes und handelt – wenn auch in bester Absicht – entsprechend individuell. Michael Frank hat einige Gastronomen in der Gegend dazu befragt. Heute endet seine Tour.
Wenn eine Reise endet, stellt sich eigentlich immer ein gewisses Bedauern ein, andererseits bist du froh, wieder zuhause zu sein. Du hast dich unterwegs auf fremdes Terrain begeben, Menschen kennengelernt und überraschende Einsichten gewonnen. Aber dann ist es auch wieder Zeit sich dem Vertrauten hinzugeben. Das Erlebte in gewohnter Umgebung zu verarbeiten.
Jetzt ist es Sonntagnachmittag in Darmstadt. Es sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten und draußen schneit es wie lange nicht mehr. Zeit mal ganz in Ruhe bei einem Glas Rotwein die Interviews, die Michael Frank im Rahmen dieser Serie führte, noch einmal zu lesen und vielleicht ein Fazit zu ziehen, wenn das überhaupt möglich ist. Das mache ich im engsten Kreise mit mir selbst, denn der Herr Frank beglückt gerade die hungrigen Massen auf dem Michelstädter Weihnachtsmarkt mit Odenwälder Kochkäs’ in der Dose.
Vielleicht beginnen wir mit den Fakten
Hunderte Kilometer sind wir gefahren, sieben Kleinbildfilme haben wir belichtet (ja wir haben alles analog fotografiert) und anschließend Collagen für jeden Beitrag aus den Bildern gebastelt. In zwölf gastronomischen Betrieben der Region sind wir aufgeschlagen (meistens Michael Frank allein), haben gefragt, zugehört, aufgezeichnet und fotografiert. Anschließend galt es stundenlang die aufgezeichneten Interviews abzutippen und so zu bearbeiten, dass alles lesbar ist.
Die anschließenden Veröffentlichungen erreichten allein auf Facebook tausende Nutzer und auch auf unserer Website ergaben sich Spitzenwerte. Für uns bedeutet das: Dieser Themenkreis interessiert da draußen, inwieweit dieses Interesse aber das Verhalten der Gäste in den besuchten Betrieben beeinflusst, wissen wir nicht.
Von einigen der Befragten wissen wir, dass sie sehr zufrieden mit dieser Aktion waren und von einem, dass er es nicht war. Uns macht das insgesamt jedoch zufrieden.
Kommen wir zu unserer Interpretation der einzelnen Fragen, wobei wir nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen – schließlich haben wir Gastronomen befragt und keine PR-Manager:
Frage 1:
Was verstehen Sie unter dem Begriff „regionale Küche“?
Einigkeit besteht darin, dass die verarbeiteten „Grundprodukte“ aus der Region stammen müssen und da wird auch schon ein sehr enger Radius um den eigenen Betrieb gezogen, der diese Regionalität definiert. In den Gasthäusern „Zum Hirsch/Bad König-Fürstengrund“ und „Zum Rebstock/Fürth-Steinbach“ wird der überwiegende Teil der verwendeten Produkte sogar selbst erzeugt. In beiden Fällen erklärt sich diese „Sonderstellung“ durch die jeweilige betriebliche Entwicklung in Verbindung mit der eigenen Landwirtschaft und den sympathischen Sturkopf der Betreiber, ohne den es hier sicherlich nicht geht.
Tatsächlich entspricht diese Fokussierung auf Erzeugnisse aus unmittelbarer Nähe aber einem Trend in der Spitzengastronomie europäischer Großstädte. Der Food Report 2017 spricht hier von „brutal lokal“ und beschreibt es als Zuspitzung des inflationär gebrauchten Begriffs „Regionalität“.
Die Willkür, wie Lebensmittel beispielsweise von Supermärkten als regional gekennzeichnet werden, wird von den meisten Befragten durchaus zähneknirschend gewürdigt. Schließlich betreten die Märkte ein Terrain, auf dem sie nichts zu suchen haben, wenn sie so agieren, wie sie es tun – eine „wahre Regional-Kartoffel“ reist nicht dreihundert Kilometer durch die Republik. So aber wird durch diese industrielle Pervertierung der Begriff „Region“ entwertet. Und damit aber auch die Lebensgrundlage vieler Betriebe. Slow Food spricht hier inzwischen von einem „Werbeschlager ohne Aussagekraft“.
Frage 2:
Beschränkt sich „regionale Küche“ für Sie auf die regionaltypische Zubereitung regionaler Produkte?
Man legt Wert auf solides Handwerk, frische Zubereitung und eine individuelle Note. Damit bewegt man sich im befragten Kreis fernab jeglicher kulinarischen Gleichschaltung weltumspannender System-Gastronomie. Und der Beweis dafür, liebe Leser und Gäste, liegt darin, dass es vielleicht mal einige Minuten länger dauert, bis etwas auf den Tisch kommt – wird ja auch frisch gemacht. Und auch darin, dass mal ein Gericht „aus“ ist. Alles Gute ist schließlich endlich.
Eine regionale Kochphilosophie oder bestimmte Zubereitungsmethoden dagegen bringen nur wenige der Interviewten in Zusammenhang mit der Fragestellung – man landet dann doch eher bei typischen Gerichten, zubereitet nach den klassischen Zubereitungs- und Garmethoden, wie sie überall angewendet werden.
Aber glücklicherweise wird nicht nur die Asche bewahrt, sondern das Feuer auch weitergegeben. Das zeigt sich in den modernen Interpretationen klassischer Gerichte, überraschenden Variationen von Bekanntem und vielfältigen Einflüssen. Impulse kommen von überall und fließen in die Rezeptgestaltung ein – wie Ceviche aus Südamerika in „Treuschs Schwanen/Reichelsheim“ oder vegane Desserts und Super-Food im „Heiping/Darmstadt“.
Frage 3:
Handelt es sich dabei ausschließlich um saisonale Produkte?
Ja, ja – die Erdbeeren und der Spargel sind die gern zitierten und äußerst populären Beweise für saisonale Küche. Und der Salatteller dafür, dass man aufgrund der Nachfrage durch die Gäste „etwas flexibler“ agieren muss. Doch Spaß beiseite: Im Prinzip legen die Befragten schon Wert darauf, den Jahresverlauf durch ihr Angebot abzubilden – manche sehr direkt, indem ihre Speisekarten dem Jahr folgen, andere durch eine saisonale Zusatzkarte, die das für sie unverzichtbare Standard-Angebot ergänzt.
Ausnahmen bilden hier wieder die Gasthöfe „Zum Rebstock/Fürth-Steinbach“ und „Zum Hirsch/Bad König-Fürstengrund“. Die Gründe dafür liegen auch hier in der Verarbeitung von Erzeugnissen aus eigener Landwirtschaft. Die Speisekarte vom Rebstock enthält nichts, was nicht das ganze Jahr über erhältlich ist. Kochkäse und Bratwürste kann man immer machen, Brot wird dreimal die Woche gebacken und Latwerge kommt im Herbst fürs Jahr ins Glas.
In Bad König kommt frisch aus dem Garten auf den Tisch, was Saison hat. Der größte Teil der Ernte wird allerdings auf verschiedene Weise „haltbar“ gemacht und bestimmt dann das Angebot, wenn es wie im Winter nun mal nix gibt – auch wenn einige Gäste nicht kapieren (wollen), das Zucchini aus eigenem Anbau nun mal nur frisch sind, wenn die Zeit dafür reif ist. Schließlich hat der Rewe von nebenan ja das ganz Jahr welche.
Der Erntezyklus lässt sich natürlich auch gut bei denen nachverfolgen, die Apfelwein selbst erzeugen, wie „Dornrös’chen/Höchst-Annelsbach“, „Treuschs Schwanen/Reichelsheim“ und „Zum Rebstock/Fürth-Steinbach“ oder eine Brennerei betreiben wie „Zum Kreiswald/Rimbach“.
Frage 4:
Gibt es „das“ regionale Gericht schlechthin?
Der Kochkäse (mit und mit ohne Schnitzel) hat die Nase vorn. Aber bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die Beantwortung dieser Frage eigentlich immer zum Blick in die eigene Speisekarte führt – das „regional“ wird zum „Ich“ oder zum „Wir“, also auch zur persönlichen Note und Handschrift.
Uns gefällt das, denn alle Nennungen zeigen trotzdem deutliche regionale Bezüge. Und wer will schon überall das gleiche essen, außer bei Burger King?
Frage 5:
Welche Bedeutung messen Sie „Bio“ bei?
Das Ungemach, das landwirtschaftliche Erzeugnisse verursachen, die in industriellen Dimensionen entstehen, zieht sich deutlich spürbar durch alle Interviews – die daraus resultierende Handlungsweise unterscheidet sich aber dennoch erheblich voneinander.
Und damit werden die befragten Gastronomen zum Spiegel der Gesellschaft. Betrachtet man die Medienpräsenz von „Bio“ und nimmt die Umfragen in Funk und Fernsehen unkritisch für bare Münze, kommt man automatisch zu dem Schluss, dass konventionell erzeugte Lebensmittel keine Chance bei den Verbrauchern mehr haben. Tatsächlich machen nachhaltig produzierte Nahrungsmittel und Getränke aber nicht mal fünf Prozent (Quelle: foodwatch, 2015) des Gesamtmarktes aus.
Aber deshalb die nachhaltige Erzeugung von Nahrungsmitteln in Frage zu stellen oder als Geldmacherei (Mehrfachnennung) abzutun, vollziehen wir nicht nach. Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich täglich für bessere Lebensmittel abrackern.
Sicherlich ist die Zertifizierung nach EU-Norm eine Hürde für potenzielle Erzeuger, da sich die Gestaltung der Vorschriften wie immer in Brüssel an den Belangen großer Produzenten orientiert (Scheiß-Lobbyismus), aber es geht ja nicht immer um Siegel. Es geht um Einsicht, Vertrauen und Zukunftsfähigkeit. Immer mehr Erzeuger produzieren auf einem Standard, der höher ist, als es das EU-Biosiegel fordert und verzichten dennoch auf eine Zertifizierung. Hier lohnt es sich, genauer hinzusehen und nachzufragen. Wer es dennoch amtlicher als amtlich will, findet in den durch Bioland (Zentrale in Mainz), Naturland (München) oder Demeter (Zentrale in Darmstadt, also in der Region) zertifizierten Betrieben, Partner, die es mit der Nachhaltigkeit sehr genau nehmen (müssen).
Und jetzt mal unter uns: Wehren würde sich sicherlich niemand unter den Gästen gegen so ein durch und durch anständiges „Bio-Futter“ – da stellt sich dann eher die Frage nach einer angemessenen Preisgestaltung.
Und Schluss, liebe Leserinnen und Leser
Draußen hat es aufgehört zu schneien, die kontemplative Stimmung ist tristem Grau gewichen. Zeit zum Schluss zu kommen:
Seit wir unterwegs sind im Auftrag des „Endlich! Guten.“ betonen wir immer wieder, dass wir keine Restaurant-Kritiker sind und auch nicht sein wollen. Und so bleibt das auch. Diese Serie gewährt aber Einblick. Einblick in ein nicht ganz einfaches Gewerbe. Seht euch doch nur einmal an, wie schnell in den Städten Restaurants öffnen und wieder schließen – oft weil sie zu trendy sind und damit nur kurzfristig Erfolg haben.
Hier in der Region spielen ganz andere Faktoren eine beherrschende Rolle. Faktoren wie Personalmangel, die Nachfolgefrage und veränderte touristische Gewohnheiten. Dann kommen wir auch noch mit „Bio“ und so – und bekommen trotzdem Antworten. Danke dafür an alle, die sich Zeit für uns genommen haben.
Fotografie: Michael Frank und Thomas Hobein
(Beim Schreiben habe ich diesmal nix gehört – außer vielleicht: Kennt ihr das Geräusch vom fallenden Schnee?)
Weitere Beträge der Serie „Regional? Saisonal? Bio?“:
Folge 01: Einleitung
Folge 02: Hotel Waldesruh und Restaurant Pichlers
Folge 03: Zur Schmelz
Folge 04: Labsal
Folge 05: Treuschs Schwanen und Johanns-Stube
Folge 06: Zum Löwen
Folge 07: Geiersmühle
Folge 08: Zum Hirsch – Fürstengrund
Folge 09: Zum Rebstock
Folge 10: Dornröschen
Folge 11: Alte Dorfmühle
Folge 12: Heiping
Folge 13: Zum Kreiswald